„Der Aussetzer“ beginnt mit einem gehörigen Paukenschlag. Nicht im wörtlichen, sondern vielmehr im dramaturgischen Sinne. „Warum hast du es so weit kommen lassen?“, fragt sich die Lehrerin Julika Stöhr und schon ist man mitten im Geschehen. Einmal mehr dient der Morphclub nach „Bash“ sowie „Clyde und Bonnie“ als Außenspielstätte für eine E.T.A. Hoffmann-Produktion. Die Stücke sollen besonders das junge Publikum ansprechen.
Die Bühne: direkt im Zentrum der Tanzfläche – die Zuschauer: ringsherum. Das junge Schauspiel nach dem Drehbuch von Lutz Hübner widmet sich gesellschaftskritischen Fragen im Schulalltag: Worunter leiden ausgebrannte Lehrer? Warum gehen gewisse Schüler im Schulsystem unter? Welchen seelischen Belastungen sind sie ausgesetzt? Wie lassen sich Schüler-Lehrer-Konflikte lösen?
Laut der Berliner Längsschnittstudie Aida ist hoher Leistungsdruck die häufigste Ursache für eine ablehnende Haltung der Schüler – in 85 Prozent der Fälle trägt das Elternhaus die Schuld.
Gleich zu Beginn wird der Zuschauer durch innere Monologe und Erinnerungsmonologe in die Gedankenwelt der beiden Figuren Schüler und Lehrerin entführt. Beide fühlen sich von dem System Schule überfordert, was sich eingangs in einem Gewaltakt entlädt.
Lehrerin kurz vor dem Scheitern
Sie sind gezwungen zu reagieren, doch welche ist die angemessene Reaktion? Verzweifelt wägt Frau Stöhr (Verena Ehrmann) alle Möglichkeiten gegeneinander ab und zerbricht fast daran: „Ich habe mich gefragt, was ich in dem Beruf eigentlich mache.“ Sie steht kurz vor dem Versagen: vielleicht ein Burnout, vielleicht auch eine tiefe Depression.
Der schwierige Schüler Christopher Neumann (Felix Pielmeier) befürchtet das Schlimmste: Anzeige, Schulrausschmiss, vielleicht kein Abschluss, keine Perspektiven. Und dann sein Alter, der schon seit Stunden daheim wartet. Dann der letzte Ausweg: Ein gemeinsamer Deal. Beide sehen darin eine Chance, das Chaos wieder zu ordnen. Er braucht seinen Abschluss, sie bangt um ihren Lehrberuf – sie wurden zu Opfern des Systems. Aus den Monologen entspinnen sich zunehmend Dialoge. Es gilt die Hürden gemeinsam zu meistern. Zeitweise geht es rabiat zu. Die Auseinandersetzungen sind von Aggressivität geprägt, die sich in Tonhöhe und Lautstärke niederschlägt. Der psychische Druck wird für den Zuschauer fast physisch wahrnehmbar, lässt ihn mitfühlen und mitleiden. Dabei verstärken Spezialeffekte aus Licht und Ton die theatralische Stimmung.
Sowohl Verena Ehrmann als auch Felix Pielmeier gelingt die Verkörperung der zwei starken, antagonistischen Charaktere auf sehr authentische Weise. Für Authentizität sorgt auch die vom Autor gewählte Bühnensprache – die Ausdrucksweisen der Figuren passen wie die Faust aufs Auge.
Das futuristische Bühnenbild (Denise Leisentritt) aus großen weißen Würfeln erschließt sich nicht auf Anhieb. Zusammen mit den Papierstößen, die mal durch die Luft wirbeln und mal als Papiergeschosse abgefeuert werden, ergibt die Ausstattung eine sehr vielfältige und flexible Konstruktion. Diese zeigt nicht den realen Handlungsort, sondern verdeutlicht vielmehr die Beziehung der Protagonisten zueinander.
Sie bilden gegensätzliche Punkte, nehmen im Laufe des Stücks immer chaotischere Anordnungen an, treiben in die Enge oder symbolisieren schlicht und einfach Trümmer des fragilen Konstrukts Schule. Die Würfel erzählen sozusagen eine Geschichte.
Unerwartetes und Fremdes
Der 35-jährige Regisseur Manfred Riedel erklärt: „Natürlich kann man das Stück in einer Art Klassenzimmer mit Schulbänken spielen“, aber er und Denise Leisentritt bevorzugten eher etwas Fremdartiges und Seltsames. Die meisten Monologe finden als Erinnerungsmonologe statt, beide Figuren treffen sich also in ihrem Kopf, dann „gleiten sie in Spielszenen ab, die das Ganze wieder etwas plastischer und in der Jetzt-Zeit ansiedeln“. So können die Würfel mal Pult, mal Telefon darstellen. „Das ist natürlich ein Kunstgriff, bei dem man nicht sagt: Ja klar, das habe ich jetzt genauso erwartet“, sagt der ursprüngliche Allgäuer schmunzelnd.
Weitere Aufführungen: 4. und 5., 18. bis 20., 26. und 27. Januar in der Außenspielstätte Morphclub, Obere Königsstraße 39, Bamberg.