Ortstermin in Schweinfurt, Frankenstraße 11. Im dreigeschossigen Haus aus dem Jahr 1937 wartet auf den Reporter ein imposantes Jagdzimmer mit stolzen Trophäen an den Wänden, stilgemäßem Mobiliar und Kaminfeuer. Es ist das ganz private Reich eines Mannes von stattlicher Statur. Der heißt Wolf Pösl, ist Vorsitzender des Jagdschutzvereines Schweinfurt, kredenzt nun Kaffee und nimmt im Fachgespräch den Laien mit auf die Pirsch. Die führt über ein weites, oft enorm über das Thema Jagd hinausragendes Feld.
Die Fachgespräch-Pirsch mit Pösl ist zunächst einmal eine Zeitreise. Zurück ins Jahr 1848, zur Revolution. Die scheitert politisch zwar letztendlich, schießt aber waidmännisch weit über das Ziel hinaus. Fortan nämlich ist die Jagd freigegeben auf jedem Grundbesitz, auch auf dem kleinsten. Fatale Folge: In kurzer Zeit wird das Wild stark dezimiert. Auch in Unterfranken, das damals ideale Heimstatt ist für eine „unwahrscheinliche Niederwilddichte“, so Pösl.
Eine große Antwort auf die vogelwilde Zeit nach 1848 ist das damals entstandene Jagdgesetz. Das zwingt Grundbesitzer zur Mitgliedschaft in größeren Jagdgenossenschaften. So werden die Jagden wieder ordnungsgemäß ausgeschrieben und verpachtet. Eine andere große Antwort ist der Allgemeine Deutsche Jagdschutz-Verein (ADJV). Die Geburtsstunde für den Vorgänger des Deutschen Jagdschutz-Verbandes (DJV) schlägt 1875 in Dresden. Eine Antwort auf die Zeit nach 1848 ist auch der Jagdschutzverein Schweinfurt, der 1879 entsteht.
Der große Bruch
Die Pirsch mit Pösl lenkt den Blick aber auch und vor allem auf eine andere Gegenreaktion auf 1848: auf jenes Hegeverständnis, dass nur derjenige ein guter Jäger ist, der möglichst wenig schießt. Ein Verständnis, das sich bis in die 70-er Jahre des 20. Jahrhunderts halten wird. Dann treiben „Forstrevoluzzer“ (Pösl) den großen Bruch, gerade auch im Hegeverständnis, voran. Einer von ihnen ist Georg Sperber. Der Mann, der 1972 das damalige Forstamt Ebrach übernimmt, baut den Wald um, macht Schluss mit dem Kahlschlag und damit auch mit einem nur auf gleicher Höhe emporwachsenden Hochwald, dessen dichtes, geschlossenes Kronendach „wenig Licht durchlässt“. So wird der Weg frei gemacht für den naturnahen, nachhaltig bewirtschafteten Wald, für stufige, artenreiche, nicht auf eingezäunte Pflanzungen, sondern auf Naturverjüngung basierende Bestände.
„Dieser umgebaute Wald ist auch in unserem Vereinsgebiet mittlerweile deutlich zu sehen“, berichtet Pösl. Und macht den Jägern zu schaffen. Zum einen bietet er beste Deckung für das Wild. „In den Beständen an den 'Drei Eichen' bei Schweinfurt beispielsweise bleiben die Rehe nur zehn Meter weit drinnen einfach stehen, obwohl dort Jogger vorbeilaufen und Hunde ausgeführt werden. Die Rehe sind eben gedeckt und so nur schwer zu bejagen“, weiß Pösl. Andererseits zwingen der reichlich gedeckte und damit populationsfördernde Naturnahrungstisch sowie das Wald-vor-Wild-Prinzip zu verschärftem Abschuss. Der wiederum die für viele traditionelle Jäger ungeliebte Drückjagd nach sich zieht, bei der das Wild in großen Stückzahlen erlegt wird.
Altjäger Pösl, von Kindesbeinen an durch Großvater Wilhelm Denninger mit dem Waidwerk vertraut gemacht, ist kein Freund der Drückjagd. Allein schon der Tatsache wegen, „weil sich meine jagdliche Tätigkeit ja nur noch auf meinen Hintern bezieht. Ich muss mich also hinsetzen und warten“. Andererseits sehe er die Notwendigkeit. „Wenn wir nicht so jagen, rutscht uns hier der Rehwildbestand aus den Fingern.“ Dann sei sie berechtigt, diese Reklamation über Rehe, „die die Naturverjüngung vom Boden wegfressen“. Und dann würde sie vielleicht wieder losgehen, diese unselige Diskussion, fürchtet Pösl, bei der die Gegner früher oft aus allen Rhetorik-Rohren feuerten.
Pösl akzeptiert die Priorität des Waldes. Allerdings dabei immer vorausgesetzt, dass dieser stets genügend Lebensraum für das Wild bietet. Denn Wald und Wild unter einen Hut zu bringen, dass sei die wahre Kunst. Sagt der erfahrene Waidmann, der in den letzten Jahren im Raum Schweinfurt eine „deutliche Annäherung“ zwischen den verschiedenen Parteien registrieren durfte. Das sei ein Verdienst von verständigen Leuten auf allen Seiten.
Die Pirsch mit Pösl mündet auf der Zielgeraden auch in Grundsätzliches. Leute, die Jäger als Mörder titulieren, würden die Wechselwirkungen in der Natur nicht akzeptieren oder nicht verstehen wollen, sagt er. Jagd sei aber notwendig, um Extreme in der Population zu vermeiden und den internen Wettbewerb des Wildes halbwegs zu regulieren. „Wenn ich den Fuchs machen lasse, was er will, gibt es bald keine Rebhühner mehr. Kurzum: Ich weiß, warum ich jage“, erläutert Pösl. „Dass mir die Jagd zudem noch Freude macht, dass kann und will ich einem nicht verklickern, der eine völlig andere Einstellung hat.“
Kritische Haltung
Auch das Jägerlatein ist Thema auf der Pirsch-Zielgeraden. Und Pösls kritische Haltung zu großen Sprüchen seitens seiner Zunft, die früher allein durch das Recht, Waffen tragen zu dürfen, in der Gesellschaft eine Sonderstellung eingenommen habe. Doch die Zeit der großen Sprüche, die sei eben vorbei. In einer demokratischen, pluralistischen Gesellschaft müsse der Jäger auf Fragen und Hinterfragen Antworten geben.
Dann ist die Pirsch vorbei. Nach zwei Stunden verlässt der Reporter das imposante Jagdzimmer – und wird noch lange denken an ein nicht minder imposantes Gespräch.