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GRAFENRHEINFELD/SCHWEINFURT: Macht die Bürokratie Çat platt?

GRAFENRHEINFELD/SCHWEINFURT

Macht die Bürokratie Çat platt?

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    1982 gründete Çat 25-jährig seine Spedition mit einem Lastzug. Damit fuhr er selbst zwei Jahre lang Transporte in den Nahen Osten. Ohne jede Arbeitserlaubnis durfte er die türkischen Fahrer auf seinen in Deutschland gemeldeten Lkw fahren lassen. Das war auch wichtig, sagt der Unternehmer, weil deutsche Fahrer für diese oft vieltägigen Touren mit langen Wartezeiten erstens nicht zu finden waren und zweitens türkische Fahrer wegen ihrer Sprach- und Ortskenntnisse besser zurecht kamen. An der Istanbuler Firma Termo Trans Ltd., welche die Dienstleistungsfahrer stellt, ist Çat mit zwei weiteren Gesellschaftern beteiligt, jeder zu einem Drittel.

    Das Geschäft florierte. Bis 1994 wuchs die Fahrzeugflotte auf bis zu 30 Lkw. Dann das Jahr 1995: Plötzlich verbot das Arbeitsministerium den Einsatz der türkischen Fahrer ohne Arbeitserlaubnis auf deutschen Lkw. In einer zweijährigen Verlängerungsphase wurden Arbeitserlaubnisse noch erteilt. In den folgenden Jahren prozessierte der 51-Jährige erfolgreich vor Sozial- und Verwaltungsgerichten verschiedener Instanzen. Stets wurde ihm erlaubt, bis zur Hauptsache-Entscheidung seine türkischen Fahrer weiter einzusetzen.

    Einstweiliger Bestandsschutz

    Es war ein Art einstweiliger Bestandsschutz für sein Geschäftsmodell, denn dass die Politik unter dem damaligen Arbeitsminister Norbert Blüm diesem den Garaus machen würde, konnte Çat 1982 nicht ahnen. Viele seiner türkischen Spediteurs-Kollegen im Lande, die ebenfalls mit Agenturfahrern aus der Türkei arbeiteten, gingen in dieser Zeit entweder unter – oder sie haben „ausgeflaggt“: den Firmensitz nach Holland, in ein Ostblockland oder die Türkei verlegt, und schon konnten sie wie bisher auch in Deutschland weiterarbeiten.

    Osman Çat aber blieb. Er ist seit 1973 im Lande, fühlt sich als Schweinfurter, hat längst einen deutschen Pass, setzt sich vehement für deutsch-türkische Integration ein, wofür ihm – mit Foto dokumentiert – der seinerzeitige Bundespräsident Johannes Rau die Hand schüttelte. Doch für den Bestand seines Transport-Unternehmens muss er prozessieren, macht Druck über den Branchenverband, was viel Zeit kostet und bisher mehrere Ordner mit Schriftverkehr füllt.

    Die Osterweiterung der EU verschärfte den Wettbewerb im internationalen Gütertransport ab 2005 gewaltig. Neue Mautgebühren in gleich drei Ländern und steigende Diesel-Preise ließen die Kosten explodieren – auch bei Çat. Dies führte 2005 und 2006 zu erheblichen finanziellen Verlusten. Doch aufgeben kommt für Çat nicht in Frage. 2007 fuhr er ein positives Ergebnis ein, das freilich die Verluste der Vorjahre noch nicht ausgleichen konnte.

    Im Januar 2008 dann der Paukenschlag: Das Auswärtige Amt gab unvermittelt mit sofortiger Wirkung keine Visa mehr an Çats Dienstleistungsfahrer von der türkischen Termo Trans heraus. Begründung: Ein Urteil des Bundesverwaltungsgerichtes vom September, das in einem hessischen Einzelfall diese Fahrdienstleistung als illegale Arbeitnehmerüberlassung gewertet hatte.

    Die Folge: Seit Januar stehen die zehn Lkw anstatt zu rollen und Geld zu verdienen, was zu 200 000 Euro Verlust geführt hat, so der Unternehmer. Zwar könne er seit kurzem wieder zwei Transporter fahren lassen, nachdem vier Fahrern der Agenturfirma Visa für zwei Monate erteilt wurden, aber der große Rest des Geschäftes ruht: „Ein Lkw kostet im Monat 3500 Euro, ob er fährt oder nicht“, sagt Çat. Am Montag hat er Insolvenz angemeldet, diese Woche werden alle zurück kommenden Lkw an den Leasinggeber zurückgegeben, das Fahrgeschäft eingestellt.

    Millionenklage angekündigt

    Wenn der Insolvenzverwalter keine rettende Idee hat, ist dies das Aus für die Osman Çat Nahost-Transporte GmbH und ihre zehn Beschäftigten. Doch der 51-Jährige gibt noch immer nicht auf. Sein Anwalt forderte mit Schreiben vom Dienstag von dem Zuständigen im Auswärtigen Amt nach dessen telefonischer Information, dass Çats türkische Fahrer nicht mehr mit Visa rechnen könnten, einen rechtsmittelfähigen Bescheid und kündigte eine Schadensersatzklage in Millionenhöhe gegen die Bundesrepublik Deutschland an. Die für Çats Firma ruinöse Entscheidung verstoße gegen primäres EU-Recht im Zusatzprotokoll zum Assoziierungsabkommen zwischen der EU und der Türkei.

    Hätte er vor 13 Jahren auch „ausflaggen“ sollen? „Niemals“, sagt der Schweinfurter Patriot türkischer Herkunft. „Mein Opa hat gesagt, deine Heimat ist da, wo du satt wirst.“ Das hat er beherzigt und Schweinfurt als seine Heimat angesehen. Das könnte ihm und seiner Familie jetzt zum Verhängnis zu werden.

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