„Eigentlich ist es eine Spinnerei“, sagt Ralf Wunderlich. „Eine positive Spinnerei“, schiebt der 41-Jährige allerdings sofort nach. Er spricht von einem Fahrzeug. Dieses steht draußen vor seinem Haus am Ortsrand von Sulzbach. Es steht auf einer tief verschneiten Wiese und ist nicht etwa von Straße abgekommen, sondern gehört genau dort hin. Mit der orangefarbenen Lackierung hebt das Fahrzeug sich am Mittwochnachmittag deutlich vom vielen Weiß ringsherum ab. Auch beim zweiten Hinschauen steht die Pistenraupe noch immer im Schneetreiben – also doch keine Fata Morgana. Aber es bleibt ein ungewöhnliches Bild für einen Hügel in den Haßbergen.
Ralf Wunderlich ist es anzumerken, dass er mit seinen Gedanken noch im Cockpit der Pistenraupe ist, während er sich am Küchentresen über „Bombi 100“ unterhält; so hat Hersteller Bombardier den Fahrzeugtyp genannt. Ohne Zweifel: Wunderlich ist wirklich „glücklich“, wenn er dies jetzt behauptet. Er lacht wie ein Bub, dessen Papierflieger in der Luft gerade besonders tolle Pirouetten gedreht hat. Pistenraupenfahren beflügelt offenbar die Glückshormone erwachsener Männer.
Erschwinglicher Preis
Die Pistenraupe hat Ralf Wunderlich vor zwei Jahren im Internet ersteigert. Zu einem erschwinglichen Preis, wie er meint. Ein gebrauchter Kleinwagen wahrscheinlich mehr, verrät er. Einen echten Markt für gebrauchte Pistenraupen gebe es nicht, auch nicht im Internet. Der Preis sei Verhandlungssache, gibt Wunderlich seiner Erfahrungen weiter.
Das 36 Jahre alte Kettenfahrzeug, das nun in Sulzbach fährt, musste in Memmingen abgeholt werden. Es war zuletzt für die Stadt Bad Wörishofen im Allgäu im Einsatz, berichtet Wunderlich. Den Transport des 900 Kilogramm schweren Gefährts hatte ihm ein Freund, Mario Häpp aus Hofheim, zum 40. Geburtstag geschenkt.
Am Dienstag dieser Woche hatte die Pistenraupe ihren ersten Einsatz auf Sulzbacher Schnee. Nach den ziemlich weißen Wintern der Jahre zuvor, war ausgerechnet im zurückliegenden Winter Schnee Mangelware in den Haßbergen. So hatte sich Ralf Wunderlich bis jetzt gedulden müssen, bevor er mit der Raupe auf die Piste konnte.
Apropos Piste. Um auf diese zu gelangen, muss Wunderlich nur hinters Haus fahren. Auf der Wiese dort ist ein Seil-Schlepplift aufgebaut – vor einigen Jahren ein Weihnachtsgeschenk von Ralf Wunderlichs Vater an seine 15 Enkelkinder. Dank der Pistenraupe kann die rund 170-Meter-Abfahrt jetzt auch professionell planiert und präpariert werden.
Doch das ist quasi nur ein Nebeneffekt. Denn in erster Linie, erzählt Ralf Wunderlich, sei es ihm beim Kauf der des „Bombi 100“ vor allem darum gegangen, bei Sulzbach Langlaufloipen zu ziehen. „Vor drei Jahren haben meine Frau und ich mit dem Langlaufen begonnen“, sagt er. Während eines Winterurlaubs im Thüringer Wald sei ihnen bewusst geworden, dass es auch vor der eigenen Haustür, in den Haßbergen, hervorragende Langlaufstrecken geben könnte – nur gespurte Loipen fehlen bisher an den meisten Orten. Mit einem kleinen Umbau kann Wunderlichs Pistenraupe diesen Mangel ausmerzen und Spuren für Langläufer im Schnee ziehen.
Ralf Wunderlich hat sich am Mittwoch noch ans Steuer der Pistenraupe gesetzt und eine erste Langlauf-Rundstrecke gespurt. Kurzentschlossene Langläufer können so an diesem Donnerstag ab dem Ortsausgang von Sulzbach in Richtung Fahresmühle einen etwa einen Kilometer langen Parcours im Baunachgrund nutzen.
Während der Fahrt ruckelt es in der Pistenraupe gewaltig. Der 54-PS-Benzinmotor von Ford dröhnt laut und bewegt das Fahrzeug nicht eben sanft über die verschneiten Wiesen. „Die Raupe fährt sich wie ein Panzer“, sagt Wunderlich, während der kleine Scheibenwischer vor ihm verzweifelt versucht, halbwegs klare Sicht im Schneegestöber zu schaffen. Will heißen: Gelenkt wird mittels der Ketten, die über zwei Hebel im Cockpit gebremst werden. Je nachdem, ob die linke, oder die rechte Kette blockiert wird, bewegt sich „Bombi 100“ nach links oder rechts. „Wie man die Raupe steuern muss, das lernt man schnell“, sagt Wunderlich.
Schaden war schnell behoben
Als er die Pistenraupe vor zwei Jahren ersteigert hat, war diese quasi betriebsbereit. Nur der Motor musste nachträglich eingestellt werden. Geübt hat Wunderlich das Fahren damit auf der grünen Wiese. Und dabei hat er gleich unfreiwillig eine Lektion gelernt: Wenn beim Fahren auf feuchtem Untergrund nicht aufgepasst wird, können die Ketten von den Antriebsrollen abscheren. Die Kfz-Werkstatt Willner in Reckertshausen konnte den ungewöhnlichen Schaden jedoch schnell beheben.
Nutznießer des Traums, den sich Ralf Wunderlich mit dem Kauf der Pistenraupe erfüllt hat, sind vor allem dessen Kinder Linus (7) und Paula (12). Während ihr Vater von seiner Errungenschaft erzählt, sausen sie mit ihrer Freundin Franziska Gräf (13) auf Skiern die frisch präparierte Piste hinterm Haus hinunter. Später am Nachmittag werden es noch mehr Kinder, die zu Wunderlichs Haushang zum Skifahren kommen.
Angesichts der aktuellen Wetterprognosen, die zum Wochenende Tauwetter mit Regen vorhersagen, wird das Skivergnügen in Sulzbach vorerst nicht allzu lange andauern. Dann heißt es auch für Wunderlichs Pistenraupe „ab in die Garage“. Doch der Winter hat ja erst begonnen, gibt sich der Sulzbacher gelassen. Er hofft darauf, dass er noch viele Stunden am Steuer der Raupe verbringen kann. Und um ja nichts zu verpassen, verabschiedet er sich: „Ich fahre mal noch Runde.“
Die Sulzbacher Pistenraupe ist nicht das einzige Pistenfahrzeug im Landkreis Haßberge. Der Skiclub Neuschleichach im Steigerwald hat seinen Angaben im Internet nach zwei Schneekatzen im Einsatz, mit denen er seinen Skihang fahrtauglich macht. Dort hat laut Skiclub am Mittwoch ebenfalls die Skisaison begonnen. Von 13.30 bis 16.30 Uhr läuft dort der Schlepplift wochentags, am Wochenende bereits ab 10 Uhr.