Am 23. April ist Tag des Bieres. Der Gerstensaft hat in Deutschland einen besonders hohen Stellenwert, gilt sogar als Volksgetränk. Und im Freistaat Bayern ist Bier von jeher mehr Nahrungsmittel, denn Getränk. Bereits im frühen 19. Jahrhundert ergingen von den bayerischen Behörden Verordnungen, welche die Güte des Bieres betrafen. Auf die Erzeugung eines gesunden und kraftvollen Bieres wurde stets größter Wert gelegt. Die Bürgermeister mussten – oft unter Einbeziehung eines Ratsmitglieds – regelmäßige Visitationen vornehmen und schlechtes, trübes, geringhaltiges und gehaltloses Bier ausschütten lassen. Um den Bedarf im Sommer zu decken, ermahnte der Eltmanner Landrichter Kummer die Brauereien, für entsprechende Biervorräte zu sorgen um Unruhen vorzubeugen. Das königliche Landgericht Eltmann verlangte von den Stadt- und Landgemeinden, neben Brot und Fleisch stets auch für ausreichend Bier „in gehöriger Güte“ zu sorgen. Schon zwei Jahre vor der Märzrevolution kam es 1846 wegen des Bierpreises im Königreich erstmals zu gewalttätigen Exzessen.
Mit dem fortschreitenden Aufkommen der Steinindustrie zwischen Ebelsbach-Eltmann und Zeil sowie im Steigerwald, wurde dem Gerstensaft eine immer größere Bedeutung zuteil. Der Staat sah daraufhin eine zusätzliche, ergiebige Steuerquelle. Da die größten Bierkonsumenten zumeist Arbeiter waren, wurde die Brausteuer ein politisches Thema ersten Ranges. Doch nicht nur der Staat, auch die Gemeinden versuchten über den Bierpreis ihren Haushalt aufzubessern. Als 1896 der Etat der Stadt Zeil beträchtliche Löcher aufwies, führte der Stadtrat kurzerhand den sogenannten „Bierpfennig“ ein.
„Es habe sich - so klagten die Herren Räte - in Zeil durch den Aufschwung der Stein- und Webereiindustrie eine Bevölkerungsklasse gebildet, deren Erwerbsweise und genügender Verdienst der mühevollen und sich wenig lohnenden landwirtschaftlichen Beschäftigung gegenüber ungleiche Vorteile bietet“, kam es aus dem Stadtrat. „Deshalb könne diese Bevölkerungsklasse auch direkt zur Erhöhung der gemeindlichen Einnahmen durch die Erhebung des Bierpfennigs herangezogen werden.“
Die bayerischen Bierkriege
Vom Durst der Steinhauer ist die Rede, wenn in Zeil das Steinhauerlied angestimmt wird. Der Steinstaub machte ihre Kehlen trocken, wogegen sich Bier als das geeignete Getränk erwies. Kein Wunder also, dass die Arbeiter auf die Barrikaden gingen, als der Landtag in München 1910 eine Biersteuer einführte und die Brauereien diese auf den Bierpreis abwälzten.
Wie wichtig der Gerstensaftes damals war, wird offenkundig, wenn man sich die Unruhen vergegenwärtigt, die es 1910 anlässlich der Biersteuererhöhung gab. Der „Bierkrieg“ erschütterte damals das gesamte Königreich. Die Steinhauer im Raum Zeil riefen zum Bierboykott auf, um das „übermütige Braukapital“ zu zwingen, seinen „Wucherpreis“ zurückzunehmen. Ein Liter Bier sollte um 2 Pfennige teurer, von 20 auf 22 Pfennige erhöht werden. Selbst bei Festlichkeiten wurde daraufhin Sprudel oder Milch getrunken. Besonders erfolgreich verlief der Bierstreik dabei, wenn reichlich Äpfel für Most zur Verfügung standen oder kühle Witterung herrschte. Einigkeit und Disziplin der Streikenden bewirkten schließlich den gewünschten Erfolg. Auch im Steigerwald geriet „die sonst gemütliche Bevölkerung in Empörung wegen der anstehenden Bierpreiserhöhung“.
Doch auch die Boykottmaßnahmen in Kirchaich führten zu einer Rücknahme der Preisanhebung. In Zeil dauerte der Bierkrieg hingegen etwas länger an. Viele Arbeiter verzichteten lange Zeit auf ihr Leibgetränk, das für die einfachen Bürger damals nicht hauptsächlich als Genussmittel, sondern in erster Linie als flüssiges Nahrungsmittel galt – das „Brot der Armen“ wurde Bier genannt.
Nach einem Bericht der Heimatzeitung, bestanden die Mahlzeiten in den 20er Jahren bei den meisten Handwerkern, Arbeitern und Landwirten von Juni bis September aus Bier, Brot und Butter; oder Bier, Brot und Käse; häufig nur aus Bier und Brot. Da die Menschen zu der Zeit einen 18-Stunden-Tag lebten, waren fast alle auf billigen Gerstensaft angewiesen. Bei hohen Bierpreisen jedoch führte der rege Zuspruch zu Bier und Alkohol zwangsläufig in den Ruin. Da ein einfacher Arbeiter für eine Maß Bier beinahe eine Stunde lang arbeiten musste, war es ein Leichtes, den kargen Wochenverdienst zu versaufen. Oft blieb dabei kaum noch Geld für die Familie übrig.
Einführung der Biersteuer
Die Biersteuer ist eine klassische Verbrauchssteuer die in der Kaiserzeit und noch in den 20er Jahren Gegenstand erbitterter Auseinandersetzungen war. Die Gewerkschaften nahmen den damaligen hohen Bierpreis zum Anlass, die Arbeiter der hiesigen Sandsteinindustrie von dem Getränk abzubringen. Der Nährwert des Bieres wurde bezweifelt, im Übrigen sei der Bierkonsum mehr Gewohnheit als Bedürfnis, so die Gewerkschaften. „Dass das gefärbte Wasser viel zu teuer ist, unterliegt keinem Zweifel“, schrieb 1919 eine in Schweinfurt erscheinende Zeitung und riet den Arbeitern dazu, natürliches Brunnenwasser zu trinken und so Geld für die Familie zu sparen. Nach der Gewerbeordnung mussten Arbeitgeber für ihre Angestellten in Steinbrüchen und Werkplätzen stets frisches Wasser bereithalten.
1926 kam es dann erneut zu einem großflächigen Bierkrieg. Obwohl zwei Zeiler Gastwirte sich bereit erklärten, das elfprozentige Bier zu 34 Pfennigen zu verzapfen, wurde ein Boykott verhängt. Die Streikleitung verlangte, den Liter Bier für 30 Pfennig zu verkaufen. Die Wirte jedoch erklärten sich außer Stande, ihr Bier zu dem Preis anzubieten. Auch für die Mitglieder des bürgerlichen „Sängerkranzes“ war der Bierpreis ein Politikum. Bei der jährlichen Entscheidung über das Vereinslokal wurde zur Bedingung gemacht, dass der Bierpreis für längere Zeit festgeschrieben wurde. In den Dienst des Bierboykotts stellte sich indirekt sogar die Zeiler Stadtverwaltung. Sie ließ 1926 ihren Stadt- und Polizeidiener Schöpf folgende Bekanntmachung verkünden: „ Am 3. Mai ist für Zeil der Bierstreik mit annähernd 500 Unterschriften vollzogen. Die Unterzeichneten verpflichten sich, bei einer Strafe von 5 Mark – welche der Armenkasse zu Gute kommt – kein Bier mehr über 30 Pfennige pro Liter zu trinken.“
Hartnäckig war der Bierstreik auch in Eltmann. Am Ostersonntag waren die mit den Bierpreisen unzufriedenen Bürger mit Musik nach Weißbrunn gezogen. Dort genossen sie den „edlen Stoff“ für 30 Pfennig pro Liter. Am zweiten Feiertag zogen sie dann mit klingendem Spiel nach Roßstadt. Die Eltmänner Wirte hatten das Nachsehen, gaben aber nicht nach. Der Bierstreik dauerte mehrere Wochen, die Streikleitung kontrollierte während des „Bierkrieges“ sogar die Wirtschaften auf Streikbrecher.
Die Aktionen schwappten bald auch in den Steigerwald über. Die Brauerei Zenglein in Oberschleichach hatte den Bierpreis um nur einen Pfennig angehoben. Offiziell boykottierten die Männer von Fabrikschleichach ihr Gasthaus, weil der Bierdurst jedoch zu groß war, tranken viele den Gerstensaft heimlich in der Wirtsküche. Es kam wie es kommen musste: Die mangelnde Disziplin führte unweigerlich zum Scheitern des Bierboykotts. In der Wirtsstube der besagten Brauerei hängt übrigens noch heute eine Urkunde, die an die Auseinandersetzung um den Bierpreis erinnert.
Im Jahr 1927 sprach bei einer Gewerkschaftsversammlung in Haßfurt der Arbeitersekretär Fritz Soldmann die Bierpreiserhöhung an. „Bei richtigem Instinkt der Brauereigewaltigen für die Volkspsyche hätte man lieber eine solche Erhöhung unterlassen. Denn wenn eine Ursache gegeben sei, die Massen der Bevölkerung der Abstinenz in die Arme zu treiben, so sei es hier.“
Auch Unternehmen boykottierten
Gegen die Bierpreiserhöhungen wurden auch 1952 noch einmal Boykottmaßnahmen in den damaligen Landkreisen Haßfurt und Ebern in Gang eingeläutet. In einer Betriebsversammlung der Waldi-Schuhfabrik in Haßfurt beschlossen über 400 Beschäftigten, dass für die nächsten 14 Tage kein Bier mehr in der Kantine ausgeschenkt wurde. Die Firmenleitung stellte die kostenlose Ausgabe von Kaffee, Tee und Kakao in Aussicht. Daraufhin erklärte sich die zuständige Brauerei bereit, das Bier auch in Zukunft zu den bisherigen Bedingungen zu liefern. Zur selben Zeit war auch die Belegschaft der Eberner Firma Kugelfischer in den Bierstreik getreten. Während in der Fabrik sonst wöchentlich etwa 1.800 Flaschen Bier umgesetzt wurden, betrug der Umsatz jetzt lediglich 40 Flaschen. Bis zur Durchsetzung der Forderung versprach man, nur noch Limonade zu trinken. Jeder verpflichtete sich, bis zur siegreichen Beendigung des Boykotts den Gerstensaft zu verschmähen – mit Erfolg. Schon nach 48 Stunden prangten an den Anschlagtafeln des Ortes grelle Plakate: „Eine Maß kostet ab sofort 80 Pfennige!“ Die Neubrunner hatten ihre Forderung durchgesetzt.
Im Nachbarort Kirchlauter ließ sich allerdings der Neubrunner Erfolg nicht wiederholen. Die Brauereien blieben eisern. Die Ermäßigung, so hörte man später, sei in Neubrunn nicht „in Anerkennung berechtigter Forderungen, sondern eher als Belohnung für die schöpferische Idee“ gewährt worden. Die Brauereien nutzten indes beide Aktionen: Während die Neubrunner ihren Sieg kräftig und feuchtfröhlich mit dem billigen Bier feierten und dadurch den Umsatz steigerten, spülten die Kirchlauterer ihren Zorn über den misslungenen Streik mit entsprechend teuererem Bier hinunter.
Am Arbeitsplatz Bier zu trinken war bis in die 60er Jahre noch vollkommen üblich. Heute ist der Biergenuss während der Arbeitszeit in der Regel nicht mehr erlaubt. Ein Bierstreik, der früher noch eine Option gewerkschaftlicher Agitation war, wäre heute allenfalls Privatangelegenheit. Das Streikmotiv Bierpreis ist in den Satzungen der Gewerkschaften jedenfalls nicht mehr enthalten.