Wir können heil froh darüber sein, dass das Gauklerische des Zahnbrechens oder Zahnausreißens der vergangenen Jahrhunderte vorbei ist. Erst waren die fahrenden Bader und Zahnkünstler auf Dorf- und Marktplätzen anzutreffen. Sie waren alles andere als zimperlich und rissen die Zähne mit brachialer Gewalt heraus. Schnelligkeit war das oberste Gebot, denn Narkosespritzen gab es noch nicht.
All das geschah unter den Augen staunender und schadenfroher Gaffer. Oft wurde dabei ziemlicher Lärm gemacht, um das Wimmern und Stöhnen der so malträtierten Patienten zu übertönen.
Im Mittelalter übten Barbiere und Bader die sogenannte kleine Chirurgie aus – das Zahnziehen gehörte dazu. Aus diesem Personenkreis stammten die geschäftstüchtigen Scharlatane, die auf Jahrmärkten öffentlich auftraten und reißerisch ihr Geschick anpriesen. Sie standen auf der gleichen Stufe wie Gaukler, Seiltänzer und Luftspringer. Noch bis 1825 galten derartige so genannte Zahnkünstler in Deutschland als Quacksalber.
Der erste Schritt der Zahnkünstler zu einer sesshaften Praxis bestand darin, sich zunächst in Gasthäusern einzumieten. Mit Ausrufen, Plakatanschlägen oder Annoncen in Zeitungen lockten sie die Patienten herbei. Waren die fälligen Zähne „ausgebrochen“, zog man weiter.
Kurpfuscher & Zahnpillen
Immer wieder beschwerten sich die Apotheken in Eltmann, Haßfurt und Zeil darüber, dass ihnen von „Kurpfuschern“ Konkurrenz gemacht werde. In Zeil bot 1864 der angesehene und geschäftstüchtige Kaufmann Johann Primus Pöllath, per Inserat im Haßfurter Intelligenz-Blatt „neu erfundene pflanzliche Zahnpillen an, die den Schmerz an kariösen Zähnen meistens augenblicklich, zuverlässig aber in wenigen Minuten stillen, so dass derselbe gewöhnlich für immer vom krankhaften Zahne entfernt bleibt.“
1874 warb der in Würzburg ansässige amerikanische Zahnarzt Mastny im Haßfurter Amtsblatt. Er gebe auf alle Operationen Garantie und er operiere zwischen 12 und 13 Uhr unentgeltlich. Muster von seinen zahnärztlichen Arbeiten lagen zur Ansicht auf.
Im gleichen Jahr machte ein Inserat im gleichen Blatt auf ein „sicher und nachhaltig wirkendes Mittel gegen Zahnweh“ aufmerksam, das vom königlich-bayerischen Obermedizinalausschuss geprüft und vom königlichen Staatsministerium genehmigt worden sein soll – „welches allein ächt zu haben ist bei Müller, jun. in Haßfurt“.
Der honorige Zahnarzt von heute hat sich erst allmählich entwickelt. Noch im 19. Jahrhundert übten Bader und Friseure diese Tätigkeit aus. Ein „pract. Zahnkünstler“ machte 1875 beim „hochzuverehrenden Publikum die ergebene Anzeige“, dass er an zwei Tagen im Haßfurter Hotel „Zur Post“ gastiere. Er empfahl sich für „schmerz- und gefahrlose Zahnoperationen, sowie zum Einsetzen künstlicher Zähne, ganzer Gebisse in Kautschuk nach neuester Methode, ebenso Plombieren hohler Zähne mit Gold, Platin und vieles mehr“. In der Heimatzeitung inserierten 1880 ein Haßfurter und ein Zeiler Kaufmann für Mittelchen, die Zahnschmerzen ein für allemal vertreiben sollten. Man bot 1000 Mark demjenigen, welcher bei Gebrauch von „Goldmann's Kaiserzahnwasser“ jemals wieder Zahnschmerzen bekommen sollte. Da muss es damals wohl enttäuschte Gesichter gegeben haben. Denn Zahnschmerzen lassen sich sogar heute noch nicht mit einem Wässerchen verscheuchen, geschweige denn für immer vertreiben.
Gegen Zahnschmerzen bot 1883 auch der schon erwähnte A. Müller, jun. in Haßfurt exklusiv ein „berühmtes indisches Extrakt“ an, „das den Schmerz augenblicklich und dauernd beseitigt“. Nach dem er schon seit 1881 regelmäßig in Haßfurt gastierte, eröffnete 1888 der Zahnarzt V. Geist im „Gasthaus Lamm“ in der Brückenstraße eine Praxis. Täglich, auch sonntags, offerierte er seine Dienste wie Reinigen, Plombieren, Einsetzen künstlicher Zähne und Gebisse; Operationen „auf Wunsch auch schmerzfrei mittelst Narcose“. Seine Reputation versuchte er damit zu begründen, dass er auf eine frühere Tätigkeit an der chirurgischen Klinik am königlichen Juliushofspital in Würzburg verweisen konnte.
Ein alter Schäfer warb als Zahnarzt
„Langjährige Garantie des Gutpassens und der Dauerhaftigkeit von künstlichen Zähnen und Gebissen“, versprach auch das zahntechnische Atelier Heinrich Eyrich aus Bamberg im Haßfurter Amtsblatt. In Eltmann offerierte 1888 gar „ein alter Schäfer“, er könne bei Zahnschmerzen, Gicht und Krampf abhelfen und wartete im „Goldenen Engel“ auf Kundschaft.
Allmählich sahen die Barbiere und Bader in der Behandlung von Zähnen eine einträgliche Marktlücke. Sie drängten mehr und mehr die reisenden Scharlatane zurück. 1914 gab der Knetzgauer Michael Schnös bekannt, dass er sich im Haus Nr. 210 als approbierter Bader und Zahntechniker niedergelassen habe.
Die Allgemeine Ortskrankenkasse Haßfurt beauftragte bei ihrer Gründung 1914 folgende Personen mit der Zahnheilkunde: Michael Konrad, approbierter Bader, in Haßfurt; Franz Herbert, Zahntechniker in Haßfurt; Josef Konrad, Zahntechniker und approbierter Bader in Haßfurt; Georg Scheuring, approbierter Bader in Eltmann; Michael Schnös, Zahntechniker und approbierter Bader in Knetzgau; Johann Schönhöfer, approbierter Bader in Westheim; Konrad Eichelsdörfer, approbierter Bader in Wonfurt; Josef Schwinn, approbierter Bader in Zeil.
Ein schauriger Brauch
Bis 1850 wurden Prothesen mit Zähnen von Toten angefertigt, diese bezeichnete man als „Waterloo-Gebisse“ nach der Schlacht von 1815, bei der Napoleon eine vernichtende Niederlage erlitt: Dort wurden die Zähne der gefallenen Soldaten ausgebrochen und zu Prothesen verarbeitet. Erst später entwickelte man die ersten Porzellanzähne und setzte damit diesem schaurigen Brauch ein Ende.
Bei der Erfindung der Tretbohrmaschine – die noch der Zeiler Dentist Aquillin Markl gebraucht haben soll – wurde die Antriebsform von einem Spinnrad abgeschaut. Durch die Betätigung mit dem Fuß blieb die zweite Hand des „Zahntechnikers“ zum Arbeiten frei.
1957 kamen die ersten Luftdruckturbinen als „Zahnarztbohrer“ auf den Markt. Die sorgten dafür, dass sich die Schmerzen beim Bohren stark verringerten.
Noch während des Krieges machte 1915 Franz Herbert in Haßfurt auf sein „Zahnatelier“ aufmerksam. Auf seinen künstlichen Zahnersatz gab er Garantie. In Hofheim bot 1917 Hans Kuhn seine Dienste an, wobei der sich bereits als Dentist bezeichnen durfte.
Nach dem Krieg etablierten sich anstelle der gewöhnlichen Bader immer häufiger Dentisten. Die Heimatzeitung berichtete aus Knetzgau, dass der Baderlehrling Aquillin Markl seine Prüfung als Dentist bestanden habe. Zuvor absolvierte er seine Prüfung als Friseur mit der Note 1. Gelernt hatte Markl, der 30 Jahre später im Kreis Haßfurt eine herausragende Persönlichkeit des Roten Kreuzes werden sollte, bei dem approbierten Bader und Zahntechniker Michael Schnös in Knetzgau.
Drei Jahre später eröffnete Markl am Zeiler Marktplatz sein „Zahnatelier und Friseurgeschäft“, was belegt, dass bis dahin noch beide Tätigkeiten von einer Hand ausgeübt wurden. Das Haus hatte er – so wird erzählt – im Inflationsjahr 1922 für den Gegenwert einer Kuh erworben.
1925 lässt sich mit Dr. Hermann Jäger im „Gasthaus Schwan“ erstmals in Zeil ein promovierter praktischer Zahnarzt nieder. Schon zwei Jahre früher ist in Haßfurt der Zahnarzt Dr. Müller präsent. Er regte zahnärztliche Untersuchungen in den Schulen an.
Eine weitere Zahn-Praxis eröffnete 1919 der Dentist M.J. Herzog in der Truchseßgasse in Haßfurt. Er unterhielt ein Laboratorium für naturgetreuen Zahnersatz. Für fünf Mark versprach er künstliche Zähne, außerdem schmerzlose Zahnoperationen und Plomben in Gold, Platin, Silber, Porzellan und Harvard-Dentalzement. Er versprach außerdem „schonendste Behandlung für ängstliche und nervöse Patienten.“
1921 wird in Eltmann der Dentist H. Scheuring in der Mainstraße erwähnt. Am Marktplatz praktizierte der Dentist K. Scheu. Er empfahl sich 1922 unter anderem für Umarbeiten an schlecht sitzenden Gebissen. Er warb damit, dass er während des Krieges an einer Klinik in Würzburg durch Mithilfe bei Kieferoperationen besondere Kenntnisse erworben habe, die für eine gute fachmännische Ausführung bürgten.
1935 machte der Eltmänner Dentist Scheu von sich Reden. Bei einer internationalen Dental-Schau in Berlin stellte er vier neue Patente auf zahntechnischem Gebiet vor. Wie die Heimatzeitung damals schrieb, fanden sie bei den in- und ausländischen Firmen großen Anklang. Leider ist nicht bekannt, um welche Neuerungen es sich dabei handelte. Einige der heutigen Zahnarztpraxen können auf eine lange Tradition zurückblicken. So auch die Praxis Dr. Herbert in Haßfurt. Ein Vorfahr begann bereits 1914 als so genannter Zahntechniker. Und auch der Zeiler Arzt Dr. Tino Hartwig arbeitet bereits in der vierten Generation in der Zahnheilkunde. Seine Oma Charlotte, die in Zeil praktizierte, gilt sogar als eine der ersten weiblichen Zahnärzte in Deutschland.
Zahnwolle
Der Zeiler Kaufmann J.P. Pöllath handelte in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts mit einer erstaunlichen Fülle von Artikeln. Die unterschiedlichsten Wundermittel für allerlei Mängel und Wehwehchen waren darunter. Eigens von Apothekern aus Paris und aus Rochlitz in Sachsen bezog er zum Beispiel Eispomade zum Kräuseln und Kräftigen der Haare; Teerseife gegen Hautunreinlichkeiten; Gichtwatte, der bei allen Gichtleiden eine überraschende Wirkung zugeschrieben wurde. Schließlich durfte auch ein Mittel gegen Zahnschmerzen nicht fehlen: Pöllaths Zahnwolle sollte „augenblicklich jede Art von Zahnschmerzen stillen“.