Wer vom Königsberger Schlossberg herab nach Westen blickt, sieht am Rande des Städtchens die großen Werkhallen eines Rohrherstellers. Das Unternehmen produziert pro Jahr Abermillionen Meter Rohre. In einem Affentempo entstehen dort aus Kunststoff Rohre: große, kleine, dicke, dünne, in verschiedenen Farben und zu unterschiedlichen Zwecken.

Vor 200, 300 Jahren, oder noch weiter zurück in der Geschichte, war das Herstellen von Rohren noch keine Massenfertigung. Um eine Wasserleitung herzustellen, wurden jahrhundertelang Baumstämme durchbohrt. Dieses uralte Handwerk ist so gut wie ausgestorben. Einer der wenigen, die es noch beherrschen, ist Erhard Ankenbrand. Er wird am Sonntag auf der Staufer-Burg in Königsberg in der Praxis zeigen, wie die alte Technik funktioniert hat – und jeder darf mitmachen.
Der 75-Jährige aus Prappach ist jemand, den man getrost als Handwerker vom alten Schlag bezeichnen darf. In seiner Werkstatt, in einer Scheune direkt neben seinem Haus, drängen sich Werkzeuge, Bretter und Werktische. Auf dem Boden schlängeln sich Holzspäne. Unwillkürlich denkt der Besucher an die Werkstatt von Meister Eder aus den Pumuckl-Büchern von Ellis Kaut. Man spürt: Hier hat jemand sein Leben lang gerne gearbeitet.
„Wie das funktioniert, das vergisst du nicht.“
Erhard Ankenbrand, Zimmermann aus Prappach
Und selbst jetzt noch, im hohen Alter, werkelt Ankenbrand bald täglich in seinem Reich, statt seinen Lebensabend auf der Wohnzimmer-Couch zu verbringen, auch, wenn dem Zimmermann seit einem Schlaganfall manches nicht mehr ganz so leicht von der Hand geht, wie in jüngeren Jahren.
Vor drei Jahren war dies noch anders. Damals hat er mit Hilfe seines Schwiegersohns Christian Trapp, einem gelernten Schreiner, in einer Aktion mit dem Königsberger Arbeitskreis für Heimat und Geschichte demonstriert, wie nach alter Methode ein Baumstamm durchbohrt wird. Etliche Helfer haben sich damals mit geplagt, um den knapp zweieinhalb Meter langen Lerchen-Stamm zu durchbohren – mit reiner Muskelkraft. Zum Einsatz kamen drei Bohrer mit fünf, sieben und zehn Zentimeter Durchmesser. Nach und nach haben die Männer mit diesen den Kern des Stammes herausgebohrt, so dass eine Röhre entstand.
Das dafür benötigte Werkzeug hat Erhard Ankenbrand von seinem Vater Joseph, der eine Zimmerei betrieb. Bereits als Bub war der 75-Jährige das erste Mal dabei, als sein Vater zusammen mit dem Gesellen Wilhelm Ehrhard aus Römershofen eine solche Holzröhre bohrte. Seine zweite Röhre fiel in seine Lehrzeit in Obertheres. Die damals gefertigte Röhre steht heute noch an einem Brunnen in der Ortschaft, erzählt Erhard Ankenbrand. Dann ruhte das Werkzeug zum Wasserleitungsbohren, zu dem eine vier Meter lange Bohrstange und ein Hebel zum Drehen gehören, einige Jahrzehnte, bis zum Jahr 2014, als Ehrhard Ankenbrand das alte Werkzeug seines Vaters vor seiner Werkstatt in Prappach aufbaute. „Wie das funktioniert“, sagt er, „das vergisst du nicht.“

Damals zeigte sich auch, dass das Baumstammbohren nicht nur viel Kraft erfordert und schweißtreibend ist. Die Arbeit erfordert auch Augenmaß und Präzision. Der Bohrer muss exakt nivelliert sein und während des Bohrens nachjustiert werden, um völlig waagrecht ausgerichtet genau die Mitte des Stamms zu treffen. Vor drei Jahren gelang dies in Prappach so gut, dass der Bohrkopf am anderen Ende des Stamms nur um einen halben Zentimeter vom Kern des Stammes versetzt zum Vorschein kam, berichtet Ankenbrand.
Er hofft, dass dies am Sonntag in Königsberg wieder so gut funktioniert.
Der Zimmerer wird da in erster Linie als Berater vor Ort sein und mit seinem reichhaltigen Wissen aushelfen. Das Drehen des Bohrers überlässt er gerne jüngeren Besuchern des Burgentags, der passenderweise das Motto „Mittelalter zum Anhören, Anfassen und Reinbeißen“ trägt. „Mitmachen darf bei uns jeder, je nach Lust und Luft“, sagt Ankenbrand.
Während das Stammbohren mit über 100 Jahre altem Werkzeug heutzutage eine Form experimenteller Archäologie darstellt, die vergessene Arbeitsweisen aus alter Zeit ausprobiert, war dieses Handwerk einst etwas Alltägliches und ein angesehener Beruf. Bis Ende des 19. Jahrhunderts waren Holzrohre als Wasserleitungen weit verbreitet. Fast jeder Dorfbrunnen, von denen in den Ortschaften meist mehrere standen, hatte solche Holzröhren, die auch Deichel genannt werden.
Über Metallringe, die am Ende der jeweils drei bis vier Meter langen, durchbohrten Holzrohre ins Stirnholz geschlagen werden, lassen sich die Rohrstücke zu einer Leitung verbinden, durch die Wasser – bei passendem Gefälle – über weite Strecken geleitet werden kann. Die Anschlussstellen dichtete man beispielsweise mit Hanf ab, erklärt Erhard Ankenbrand.

Für Königsberg ist nachgewiesen, dass schon vor dem 30-Jährigen Krieg (1618-1648) eine etwa drei Kilometer lange Rohrleitung von einer Quelle am historischen Rennweg bis zur Burg führte. Diese Holzröhren-Leitung versorgte die Bewohner der Burg mit Wasser. So ist es an einer Station des Historischen Rundwanderwegs bei Königsberg nachzulesen, an der auch die 2014 in Prappach gebohrte Holzröhre ausgestellt ist.
Die Lebensdauer solcher Deichel-Leitungen schwankte erheblich. Wenn die Rohre in feuchter Erde luftdicht vergaben liegen, können sie 100 Jahre lang ihren Dienst tun, oder gar noch länger. Wenn Luft ans Holz gelangt, beginnt es zu modern und die hölzerne Wasserleitung ist vielleicht schon nach zehn Jahren hinüber. Reste solcher Rohrleitungen, die bei Ausgrabungen gefunden wurden, sind teilweise jedoch mehrere Hundert Jahre alt und mitunter versteinert.
„Als Lehrling habe ich mit keinem einzigen elektrischen Werkzeug gearbeitet.“
Erhard Ankenbrand über den Wert alter Handwerkstechniken
Auch Erhard Ankenbrand hat bei sich zu Hause ein Stück einer sehr alten Leitungsröhre, die in Prappach gefunden wurde.
Mit Ankenbrands beinahe historischem Bohrer-Werkzeug lässt sich eine Holzröhre nicht am Stück durchbohren. Die Bohrstangen haben – anders als die heute industriell gefertigten Bohrer – kein durchgehendes Bohrgewinde, weshalb der Bohrer nach einigen Umdrehungen bereits wieder herausgezogen werden muss, um die sich stauenden Späne zu entfernen. Dann wird erneut angesetzt. So verlangt die Prozedur nicht nur viel Kraft, sondern der Bohrer arbeitet sich wie in Zeitlupe durch den Stamm. Vor drei Jahren haben sie drei Stunden gebraucht, um den Stamm zu durchbohren. Es bleibt abzuwarten, wie schnell es dieses Mal geht.
Erheblich leichter täte man sich, wenn der Bohrer von einem Motor betrieben würde. Dies wäre sicherlich möglich, bejaht Zimmermann Ankenbrand. Doch damit würde das Ganze seinen Flair verlieren. Schließlich geht es ihm auch darum, mit solchen Aktionen, wie jetzt am Sonntag in Königsberg, das Wissen um alte Handwerkstechniken möglichst unverfälscht weiterzugeben.
„Als Lehrling habe ich mit keinem einzigen elektrischen Werkzeug gearbeitet“, sagt er. Am liebsten wäre es ihm, wenn es gelänge, das alte Werkzeug, das er sein Leben lang gesammelt und gepflegt hat, an die nächste Generation weiterzugeben – nicht in Form von Exponaten in einem Museum, sondern in einer Werkstatt, wo Handbohrer, Schubsäge und Schlagbeil regelmäßig Verwendung finden.
Burgentag in Königsberg Der Zweckverband Deutscher Burgenwinkel sowie mehrere Königsberger Vereine, darunter der Arbeitskreis Heimat und Geschichte, die Schlossberggemeinde und das Freie Burgvolk, laden am Sonntag, 9. Juli, ab 11 Uhr auf die Staufer-Burg auf dem Schlossberg ein. Ein Schwerpunkt liegt auf Mitmach-Aktionen für die Besucher: Neben dem Holzstammbohren gibt es für Kinder ein Ringleinstechen. Zudem wird über die Wasserversorgung der Burg informiert und den Wiederaufbau der Burg. Ein Vortrag beschäftigt sich mit einer Brunnenbefahrung. Eine Vorführung zur „praktischen Astronomie vor Regiomontanus“ steht ebenso auf dem Programm, wie ein Schaukampf mit Langschwertern. In einem Wettrennen geht es darum, die „schnellste Unterhose der Haßberge“ zu ermitteln.