Die Wallfahrt nach Vierzehnheiligen ist fest im Terminkalender eingeplant. Ewald Baetz dankt dem Herrgott, dass er wieder laufen und seinen Alltag bewältigen kann. Die Folgen eines Sturzes Anfang des Jahres im Badezimmer hätten für den 77-Jährigen auch mit einer Querschnittlähmung enden können. Dem umsichtigen Handeln der Retter ist es zu verdanken, dass die schweren Verletzungen des Seniors erkannt und durch die anschließende schonenden Rettung gravierende Folgen vermieden werden konnten.
Wie ein rohes Ei transportiert
Ewald Baetz steht zusammen mit seiner Ehefrau Helga im Badezimmer im ersten Stock des schmucken Wohnhauses am Ortsrand von Memmelsdorf und blickt durch ein kleines Fenster nach draußen ins Grüne. Am Dreikönigstag dieses Jahres wurde der 77-Jährige durch dieses Fenster mithilfe einer Feuerwehrdrehleiter und unter Versorgung durch die Rettungskräfte auf einer Spezialtrage wie ein rohes Ei aus seiner misslichen Lage gerettet und anschließend mit einem Rettungswagen ins Klinikum Coburg eingeliefert. Jegliche unnötige Bewegung wurde vermieden, der Patient auf einer Vakuummatratze immobilisiert. Es bestand der dringende Verdacht auf Wirbelsäulenverletzung.
Wenn der Rentner an den besagten Morgen zurück denkt, ist er sich bewusst, wie viel Glück er hatte und dass die von Notarzt und Rettungsteam veranlasste Rettung mithilfe der Drehleiter keinesfalls übertrieben war, wie er damals insgeheim dachte. Ehefrau Helga war die Aufregung am 6. Januar frühmorgens ebenfalls deutlich anzusehen: die Sorge um ihren Mann, Notarzt, Rettungsdienst und dann auch noch die Feuerwehren aus Memmelsdorf und Seßlach im Haus. So hatte sich das Ehepaar den Start in den Dreikönigstag weiß Gott nicht vorgestellt.
Vier Monate später treffen sich das Ehepaar Baetz, Notarzt Dr. Wolfgang Egelseer aus Ebern und Notfallsanitäterin Julia Neubauer von der BRK-Rettungswache Ebern an der Einsatzstelle in Memmelsdorf. Ewald und Helga Baetz danken den Rettern für ihren professionellen Einsatz. Das ist dem Ehepaar ein Bedürfnis; auch bei der Feuerwehr Memmelsdorf hatten sie sich schon bedankt, demnächst will das Ehepaar auch der Freiwilligen Feuerwehr Seßlach, die mit ihrer neuen Drehleiter im Einsatz war, einen Besuch abstatten und für die schnelle Hilfe danken.
Was genau am 6. Januar kurz nach 7 Uhr im Bad passiert ist, daran kann sich Ewald Beatz nicht erinnern. Zusammen mit seiner Frau hat er versucht, die entscheidenden Sekunden anhand von Spuren im Badezimmer zu rekonstruieren. Der 77-Jährige wachte morgens auf und hatte ein Durstgefühl. Er ging ins Bad, beugte sich Richtung Wasserhahn. Dann der Filmriss.
Erst Sekunden später kommt Baetz zu sich. Er liegt auf dem Boden, irgendwie zwischen Waschbecken und Heizung, die Nase blutet. Er ist kollabiert, hat das Bewusstsein verloren. Danach ist er vermutlich mit dem Kopf auf den Rand des Waschbeckens geprallt und auf den Boden gestürzt. Als Ehefrau Helga den stumpfen Schlag hört und nach dem Rechten sieht, findet sie ihren Mann auf dem Boden liegend vor. Versuche, wieder aufzustehen, scheitern. Der Rücken schmerzt.
Zum Glück auf dem Teppich
Zum Glück liegt Ewald Baetz auf einem kleinen Teppich. Den zieht die Ehefrau zusammen mit ihrem Mann aus der Ecke an der Heizung in die Mitte des kleinen Badezimmers. Jetzt liegt der 77-Jährige neben der Badewanne. Er versucht erneut, sich am Rand der Wanne nach oben zu ziehen und aufzurichten. Das klappt nicht, die Schmerzen sind zu stark, die Kraft zu gering.
Ehefrau Helga wählt den Notruf 112, meldet den Sturz im Bad. Von der Integrierten Leitstelle Schweinfurt wird sofort ein Rettungswagen der BRK-Rettungswache Ebern nach Memmelsdorf geschickt. Notfallsanitäterin Julia Neubauer und Rettungssanitäterin Katrin Habermann haben an dem Feiertag Frühschicht. Nach dem Eintreffen und einer ersten körperlichen Untersuchung erkennt Julia Neubauer die Brisanz der Lage: „Ich habe den Zustand von Herrn Baetz als potenziell kritisch eingestuft und zur Schmerzbekämpfung einen Notarzt nachgefordert“, berichtet die 21-Jährige.
Lagerung auf Spineboard
Bis der nach rund zwölf Minuten eintrifft, beginnen die beiden Retterinnen gemeinsam, den 77-Jährigen, der zu diesem Zeitpunkt auf dem Bauch liegt, mithilfe eines Spineboards – ein Art hartes Brett zum Umlagern von Wirbelsäulenverletzten – achsengerecht auf den Rücken zu drehen. Während Katrin Habermann dabei den Kopf mit beiden Händen fest fixiert, wird Ewald Baetz behutsam und durch das Spineboard stabilisiert, auf den Rücken gedreht.
Anschließend legt Neubauer dem Verletzten einen venösen Zugang und schließt eine Infusion an. Kurz darauf trifft Notarzt Dr. Wolfgang Egelseer aus Ebern ein und untersucht den 77-Jährigen ebenfalls. Als dieser an einer bestimmten Stelle im Rücken einen punktuellen, starken Schmerz angibt, schließt der erfahrene Mediziner auf eine mögliche Wirbelsäulenverletzung. Es wird ein Schmerzmittel verabreicht und parallel dazu die Feuerwehr mit einer Drehleiter angefordert. Denn an einen Transport vom Bad durch das enge Treppenhaus hinunter zum Ausgang ist nicht zu denken. Zu groß wäre die Gefahr, dem Patienten zu schaden. Deshalb wird eine Rettung über das Badfenster ins Auge gefasst. Minuten später treffen die Feuerwehr Seßlach mit ihrer neuen Drehleiter und die Ortsfeuerwehr Memmelsdorf zur Unterstützung ein.
Gemeinsam mit der Feuerwehr wird der Schwerverletzte mit einer speziellen Trage über das kleine Fenster hinaus zum Korb der Drehleiter gehievt, dort fixiert und anschließend mit der Drehleiter sanft nach unten gefahren. Nach dem vorsichtigen Umlagern auf die Fahrtrage des Rettungsdienstes wird Ewald Baetz in den Rettungswagen geschoben, dort kurz weiter versorgt und schließlich ins Klinikum nach Coburg transportiert.
Einsatz bei strömendem Regen
Während sich der Rettungswagen auf den Weg macht, baut die Feuerwehr ihre Gerätschaften ab. Das alles bei strömendem Regen. Ihr Einsatzfahrzeug, das auf dem feuchten Wiesenboden etwas eingesunken ist, wird von einem örtlichen Landwirt mit einem Traktor wieder auf die Straße gezogen.
Ganz schön viel Aufwand, aber absolut gerechtfertigt, resümiert Notarzt Dr. Egelseer, der eine Fraktur eines Halswirbelkörpers befürchtet, die technischen Rettungsmaßnahmen. Er lobt das umsichtige Handeln des Rettungsteams ebenso wie die beteiligten Feuerwehren. Sie seien schnell zur Stelle gewesen: „Die Zusammenarbeit zwischen Feuerwehr und Rettungsdienst hat hervorragend funktioniert, davon hat der Patient profitiert.“ Ewald Baetz ergänzt: „Ich habe mich gut aufgehoben gefühlt.“
„Es war ein spektakulärer Rettungseinsatz“, erinnert sich Bürgermeister Helmut Dietz, der als Mitglied der Feuerwehr Memmelsdorf vor Ort war, „und von dem Gerät, der Drehleiter her, ein interessanter.“ Die Maßnahmen hätten sich im Nachhinein als notwendig und sinnvoll herausgestellt. Dietz: „Beeindruckend, was die Technik heute alles möglich macht.“
Das Neujahrskonzert, das die Eheleute am Dreikönigstag am Mittag in Coburg besuchen wollten, musste freilich ausfallen. Später wird im Klinikum Coburg bei dem 77-Jährigen eine schwere Verletzung des sechsten Halswirbels sowie verschiedener Bänder diagnostiziert. Ein paar falsche Bewegungen und Ewald Baetz hätte querschnittgelähmt sein können. „Verletzungen der Halswirbel sind so gravierend, dass der gesamte Körper vom Hals an abwärts komplett oder teilweise gelähmt sein kann“, verdeutlich Dr. Egelseer.
Im Klinikum veranlasste Prof. Dr. Stefan Piltz umfangreiche Untersuchungen, die schließlich zu einer fünfstündigen Operation führten. Nach kurzem Aufenthalt auf der Intensivstation musste der Senior acht weitere Tage auf Normalstation verbringen. Gleichzeitig begann die Physiotherapie.
„Ich bin froh, dass alles so gut ausgegangen ist“, atmet Ewald Beatz auf, der von 1978 bis 2008 Dritter Bürgermeister der Gemeinde Untermerzbach und 20 Jahre lang Zweiter Kommandant der FFW Memmelsdorf war. Umso mehr weiß er das Engagement vieler Ehrenamtlicher bei Feuerwehr und Rettungsdienst für die Gesellschaft zu schätzen. „Damals, als ich am Boden lag, habe ich die Tragweite nicht erkannt. Heute weiß ich, dass ich sehr viel Glück hatte“, sagt Baetz.
Freude auf die Wallfahrt
Die Wallfahrt nach Vierzehnheiligen ist dem Ehepaar angesichts der dramatischen Erlebnisse heuer ein ganz besonderes Anliegen. Bis dahin trainiert Ewald Baetz fleißig weiter und geht regelmäßig zur Physiotherapie. Als sich seine Retter nach dem Wiedersehen verabschieden, hat der 77-Jährige an diesem Tag noch einiges vor: „Jetzt mähe ich den Rasen und schneide die Hecke.“ Eine Selbstverständlichkeit, die dennoch so ganz und gar keine ist.
Anmerkung der Redaktion: Michael Will ist freier Mitarbeiter dieser Redaktion und Pressesprecher des BRK-Kreisverbandes Haßberge.