In Ibind ist kaum mehr ein Parkplatz zu finden. Autos mit Kennzeichen aus den Landkreisen Coburg, Bamberg, Schweinfurt und natürlich Haßberge drängen sich an den Straßenrändern von Ibind. Im Gasthaus Faber-Rädlein startet nach der langen Sommerpause die 13. Saison des „Iwinner Wirtshausgsang“. Seit 2004 lädt Wirt Uwe Rädlein von Mai bis Oktober jeden zweiten Dienstag zum offenen Wirtshaussingen ein.

Zu den üblichen rund 80 sangesfreudigen Gästen meldete sich zum Saisonstart der Gesangverein „Liederkranz“ aus dem hessischen Sterbfritz an. Um die zusätzliche Busladung mit 50 Personen unterzubringen, ist man von der Gaststube in den Tunnelsaal umgezogen. Dort ist bereits eine Stunde vor Beginn jeder Platz besetzt. Geschirrklappern, Gläserklirren, lautes Stimmengewirr.
Waschbrett und Tuba
Bis es um acht Uhr losgeht, stärkt man sich mit einer Auswahl an warmen fränkischen Spezialitäten. Der später beim Singen aufkommende Hunger wird mit belegten Broten oder Kuchen gestillt.
Musizierend ziehen die „Iwinner Wirtshausschroller“ ein und begrüßen singend die Gäste. Sogleich steigt das Stimmungsbarometer, und kräftig wird zum Vortrag von Uwe Rädlein (Gesang), Michael Brembs (Steirische), Bernhard Valtenmeier (Gitarre) und Bruno Schorn (Waschbrett und Gesang) mitgeklatscht. Den erkrankten Dieter Meisch ersetzt dieses Mal Michael Röll, einer der hessischen Gäste, an der Tuba.
Vorab gezogene Losnummern bestimmen, wer sich ein Lied wünschen darf. Die Auswahl ist groß: Vom Volkslied über alte Schlager bis hin zu sogenannten Lumperliedern sind rund 400 Lieder in den verteilten Ordnern gesammelt. Doch die alten Hasen unter den Besuchern brauchen längst keine Textvorlage mehr. Von der ersten bis zur letzten Strophe haben sie den Text im Kopf.

Zu den Stammgästen gehören Josef und Luzia Reuß. Seit über zehn Jahren ist das Ehepaar aus Gemeinfeld immer dabei. „Hier kennt sich jeder mit Namen“, sagt Josef Reuß, „das ist wie eine große Familie“.
Früher habe man viel mehr gesungen, „wenn man auf der Dorfbank zusammenkam, in der Lichtstube, in den Vereinen.“ Schon in der Volksschule habe man die Volkslieder gelernt und konnte alles auswendig singen, bedauert Reuß, dass dies nun nicht mehr so sei.
Kreuzberg und Frankenland
Schlag auf Schlag folgt ein Lied dem anderen. 130 begeisterte Sänger besingen aus voller Kehle die Heimat, den Kreuzberg, den Böhmerwald und das Frankenland.
Nichts für zartbesaitete Gemüter sind die anzüglichen Texte manch deftiger Wirtshauslieder. So haben Schornsteinfeger oder Pfannaflicker allerlei Zweideutiges mit Besen oder Flickwerkzeug zu schaffen. Zum Thema Liebe und Treue wird das Meer befragt, mit Matrosen und Seemännern geht's hinaus in die blauen Wellen und mit der Drudl wird gar bis nach Schweinau getanzt.

Auf der kleinen Bühne und drumherum sitzen gut drei Handvoll Musikanten. Sie geben Tonart und Takt vor. Mitspielen kann jeder, der ein Instrument beherrscht. Die Akkordeons und die Steirischen sind eindeutig in der Überzahl.
„Die spielen alle Melodie, darum spiele ich mit meinem Tenorhorn nur Begleitung“, sagt Hans Weiglein. Früher habe er Kirchenmusik gemacht. Nach 50 Jahren Pause fing er erst vor fünf Jahren wieder mit dem Spielen an. Der 81-Jährige aus Pfarrweisach sitzt dicht neben einer Akkordeonspielerin. Das ist „die Anni“, seine Frau. „Wenn ich nicht mitmache, geht meine Frau alleine fort, und ich bleibe daheim hocken“, scherzt Hans Weiglein und beteuert, dass das Wirtshaussingen einfach richtig Spaß mache.
Mitspielen klappt ohne Noten
„Hier baue ich den ganzen Krampf von der Woche wieder ab“, sagt „die Anni“ im reinsten Oberbayerisch. „Ich komme daher, wo der Stoiber wohnt, aus Wolfratshausen“, erklärt sie ihren Dialekt. Noten könne sie keine einzige, aber das Mitspielen klappe auch ohne.
Selbst die Singpausen sind diesmal mit Musik gefüllt. Als „Die alten Säcke“, lassen neun Männer aus dem angereisten Chor aus Sterbfritz hessische Töne im Tunnelsaal erklingen. „Wir sind die Jungs aus dem Kinzigtal“ stellen sie sich vor. Auch wenn nicht jeder der Franken wusste, was eine „Pullbump“ ist, hinderte dies niemanden daran, kräftig mitzusingen.
Für Stimmung sorgten auch die mitgereisten „Öbern Wirtshausmusikanten“ aus dem benachbarten Weiperz. Der Kontakt zwischen den Hessen und den Franken kam im österreichischen Lechtal auf der Stablalm zustande – natürlich beim Musizieren. „Bei uns in der Ecke gibt es das Wirtshaussingen nicht“, berichtet Gerhard Muth, der die Fahrt nach Ibind organisierte. „Das wollten wir unbedingt einmal kennenlernen.“
Im Saal brodelt inzwischen die Stimmung. Es wird geschunkelt, geklatscht und manchmal hält es die Leute nicht mehr auf den Stühlen. Dann geht es im Stehen mit dem Maderl in die Heimat, übers Meer und schließlich geradewegs hinein in den Himmel. Wäre ein Bürger aus Sand am Main unter den Sängern, könnte der mit der Lösung des Gänseproblems in der Tasche zurückkehren. Im Lied„Die Sander Wiwerla“ wird gans(z) genau beschrieben, wie man der Plage Herr werden kann.
Uwe Rädlein steht unter Dauerstrom. Der Vollblutwirt ist voll und ganz in seinem Metier. Immer einen flotten Spruch auf den Lippen, ruft er die Nummern auf, die mit Wünschen dran sind. „Mir ham fei auch lustige Lieder“, mault er augenzwinkernd, wenn's gar zu gemütvoll wird.
Vibrato und Tremolo
Mit kräftiger Stimme singt er ein jedes Lied mit. Gleichzeitig ist seine Aufmerksamkeit überall: Den einen bringt er kleine Leselampen an den Tisch, hier noch ein paar zusätzliche Liederordner, ein paar launige Worte hierhin und dorthin verteilt, ein Hinweis an die Bedienung und weiter geht's im Takt.
Musikanten und Sänger beweisen außerordentliches Durchhaltevermögen. Mit einer gehörigen Portion Vibrato und Tremolo legen sich alle noch einmal mächtig ins Zeug, bevor die ersten Gäste gegen halb zwölf aufbrechen. Voller Hingabe versichert man sich, dass es weit und breit kein schöner Land als das unsere gibt. Und auch wenn der Feierabend inbrünstig besungen wird, Schluss mit Singen ist für manch unermüdlichen Sänger auch danach noch lange nicht.
Auf dem Nachhauseweg fragt sich derweil der ein oder andere, wo denn wohl „des Gerchla“ (der Georg) sein könnte. Diesen Ohrwurm bekommt man so schnell nicht wieder los.