Sprechstunden nur noch vormittags, keine Bereitschaftsdienste mehr und „nur“ noch rund 1000 Patienten – das sind die einzigen Zugeständnisse, die Dr. Wolf-Rüdiger Weise angesichts seines Alters macht. Denn am Mittwoch feiert der Allgemeinarzt 75. Geburtstag.
Trotzdem führt er seine Praxis in der Kitzinger Siedlung weiter. Aufhören mag er aus zwei Gründen nicht: Über die Jahre sind ihm seine Patienten ans Herz gewachsen; teilweise drei Generationen einer Familie hat er bei sich in der Praxis. Und ohne ihn gäbe es in der Siedlung nur noch einen weiteren Hausarzt – für rund 5000 Einwohner.
Von der Falterstraße in die Siedlung
Im Oktober 1978 kam Dr. Weise nach Kitzingen und eröffnete eine Praxis für Allgemeinmedizin. Zunächst in der Falterstraße. „Doch hier habe ich schnell gemerkt, dass ich nicht so richtig gebraucht werde, da es genug Ärzte gab“, sagt Dr. Weise. Deshalb verlegte er seine Praxis in die Kitzinger Siedlung. Seit 35 Jahren praktiziert er nun in der Thüringer Straße. Neben seinen Praxishelferinnen hat ihn auch seine Frau Dietlind immer sehr unterstützt. „Hier hat sich die Praxis auch schnell gut entwickelt“, erzählt Dr. Weise. Geboren wurde er in Görlitz, kam dann aber bald mit seiner Familie nach Franken und studierte in Erlangen Medizin.
Gerade in den letzten Jahren habe er gemerkt, dass er immer begehrter werde. „Zwar gehen nur wenige vor dem 65. Lebensjahr in Rente, doch mit 66 oder 67 ist meist Schluss“, sagt der Arzt. Von seinen ehemals vier Kollegen in der Siedlung sind zwei in den Ruhestand gegangen – ohne einen Nachfolger gefunden zu haben. Neben ihm gibt es jetzt nur noch eine Allgemeinarztpraxis in dem Stadtteil. „Damit ist es natürlich relativ eng“, sagt Dr. Weise.
Große Hindernisse Honorar und Bürokratie
Warum es so schwer ist, einen Nachfolger zu finden? Laut Dr. Weise gibt es zwei Hauptgründe, die junge Ärzte davon abhalten, Allgemeinarzt zu werden: das Honorar und die Bürokratie. Neu sei das nicht: „Seit 20 Jahren ist bekannt, dass wir auf einen Ärztemangel zusteuern.“ Man müsse beim Verdienst daran denken, dass Ärzte in der Regel erst mit 35 Jahren voll verdienen. So lang dauere es, bis man mit Studium und Facharztausbildung fertig sei. „Das muss man erst einmal wieder reinholen“, sagt der Arzt. Denn dazu kämen eventuell Schulden von einer Praxiseröffnung; außerdem gründen viele in dieser Zeit eine Familie. „In meinem Alter ohne Verpflichtungen ist das Einkommen natürlich gut“, sagt Dr. Weise.
Dokumentation nimmt überhand
Das zweite große Hindernis: die Bürokratie. „Jeder weiß es, jeder sagt es, doch es wird immer schlimmer“, kritisiert der selbstständige Mediziner. Die Dokumentation habe in dem Beruf sehr stark zugenommen. Hinzu kommt, dass diese Arbeit nicht vergütet wird. „Das machen wir abends, wenn die Praxis geschlossen ist“, sagt Dr. Weise. Schuld an dem „Wahnsinn“ seien die Krankenkassen, die sich mit Kontrollen immer weiter ausbreiten. „Deshalb muss ich mich rechtfertigen, wenn ich jemandem Gummistrümpfe verschreibe.“
Der Gesundheitsminister sei der einzige, der die Macht hätte, daran etwas zu ändern. „Doch der tut einfach nichts“, sagt Dr. Weise. Lediglich Minimalkorrekturen gebe es in der Politik ab und zu. Er selbst habe sich inzwischen ein sehr dickes Fell zugelegt und nehme das einfach hin. „Doch vielen Kollegen macht das sehr zu schaffen. Das ist auch ein Grund, warum viele nicht länger arbeiten.“
Hausarzt war die zentrale Figur
In seinen 40 Arbeitsjahren hat sich neben großen Fortschritten in der Wissenschaft in seinem Beruf vor allem eines geändert. „Als ich begonnen habe, war der Hausarzt noch die zentrale Figur“, erinnert sich Dr. Weise. Alle Befunde liefen zentral bei ihm ein, Überweisungen konnte nur der Hausarzt ausstellen. Mit der Einführung der Versichertenkarte hat sich das nach und nach aufgelöst, Patienten konnten eigenständig zu Fachärzten gehen. „Der Hausarzt hat so ein Stück weit den Überblick verloren, was für die Versorgung nicht gut ist“, stellt der Mediziner fest.
Triathlon und Singen halten fit
Doch trotz vieler Widrigkeiten denkt der Kitzinger Arzt nicht ans Aufhören. Ob es schon einen Plan gibt, wie lange er noch weitermachen wird? „Das kann ich noch überhaupt nicht sagen“, sagt Dr. Weise. „Es geht mir zurzeit gesundheitlich sehr gut, mit viel Spaß an der Arbeit.“
Solange sich das nicht wesentlich verändere, wolle er auf jeden Fall noch einige Zeit arbeiten. Deshalb habe er auch noch nicht versucht, einen Nachfolger zu finden. Fit hält sich der bald 75-Jährige mit viel Sport. Zuletzt hat er den Kitzinger Triathlon in seiner Altersklasse gewonnen. Außerdem hat er viele Jahre am Würzburger Theater im Laienchor mitgesungen. „Ich weiß aber auch, dass ich Glück habe“, sagt der Arzt, „dass es mir so gut geht.“