„Das Amtsgericht steht und fällt mit seinen Mitarbeitern.“
Walter Konrad
Im Juli 2013 trat Walter Konrad in Kitzingen als Amtsgerichts-Direktor in Kitzingen an, Ende dieses Monats verabschiedet er sich in den Ruhestand. Nicht jedoch ohne ein Abschluss-Gespräch über die Justiz (Archivfoto: Regina Sterk).
Frage: Was hat Sie bewogen, die Justizlaufbahn einzuschlagen?
Walter Konrad: Als Jura-Student waren Praktika bei Gericht und bei Verwaltung zu absolvieren. Da saß ich im Amtsgericht Aschaffenburg bevorzugt in Sitzungen von Zivilrichtern. Kurze, mündliche Verhandlungen, in denen die beteiligten Rechtsanwälte ihre Argumente im Zug und im Gegenzug wie in einem Schachspiel austauschten. Schließlich entschied der Richter anhand der ausgetauschten Argumente und der Schlusslage. Seitdem war für mich Richter zu werden ein Ziel.
Zum Thema Gerechtigkeit fällt mir ein . . .
Konrad: Vieles. Zum Beispiel 'Die Kluge' von Carl Orff, der drei Halunken angetrunken singen lässt, dass die Gerechtigkeit verloren sei, aber dies ist natürlich ein schalkhaftes Schlaglicht. Ich selber wünschte mir, dass bei einem Jüngsten Gericht zu erfahren wäre, was nun tatsächlich richtig oder falsch war.
Ihr schwierigster Fall als Zivilrichter?
Konrad: Es gab einige Straf- und Zivilverfahren, die aufwendig waren und Kopfzerbrechen bereitet hatten. Wenn ich so überlege: Vor vielen Jahren gab es ein Berufungsverfahren in der Strafkammer des Landgerichts Würzburg. Es ging um einen Unfall, den Absturz der still gelegten Eisenbahnbrücke über den Main bei Kreuzwertheim während des Rückbaus, und dessen technisch-statische Aufarbeitung. Als langjähriger und eingefleischter Zivilrichter war es ein Schadenersatzprozess wegen einer fehlgeschlagenen Erprobung eines Medikamentes an freiwilligen Probanden. Diese Erprobung ist ordentlich daneben gegangen und es ging um die Entschädigung der Probanden und deren Angehörigen.
Wie viele Urteile fällt ein Richter eigentlich so im Schnitt?
Konrad: Im ersten Halbjahr dieses Jahres waren es bei mir 66 Zivilurteile. Aber man muss sehen, dass sehr viele Entscheidungen im Wege von Beschlüssen zu treffen sind. Wichtig sind auch die Vergleiche, mit denen die Streitparteien im gegenseitigen Nachgeben sich einigen.
Würden Sie zustimmen, dass Recht nicht immer Gerechtigkeit ist?
Konrad: Das Zitat 'Summa jus summa inuria' oder 'Höchstes Recht ist höchste Ungerechtigkeit' erinnert daran, das gefundene juristische Ergebnis nochmals mit praktischen und kritischen Augen ähnlich den Vorgaben des Rechtsphilosophen Gustav Radbruch zu betrachten, um eine Schräglage erforderlichenfalls anhand der Grundsätze von Treu und Glauben und der Billigkeit zu korrigieren. Manchmal muss man zugestehen, dass man nicht helfen kann, weil die Position einer Partei juristisch nicht angreifbar ist.
Wenn ich auf meine Zeit in Kitzingen zurückblicke, dann . . .
Konrad: . . . denke ich an alle Mitarbeiter des Amtsgerichts, denke ich an die Menschen der Stadt und des Landkreises Kitzingen, geprägt von Lebenslust und Gemeinschaftssinn.
Wie ist das Amtsgericht aufgestellt?
Konrad: Das Amtsgericht Kitzingen steht und fällt mit dem Willen seiner Mitarbeiter. Das kleine aber feine Amtsgericht hat eine knappe Personaldecke, angesichts der ein Ausfall zum Beispiel wegen Erkrankung oder wegen Elternzeit die wenig verbliebenen Kräfte stark beansprucht. Solange die Mitarbeiter weiterhin so motiviert sind, habe ich keine Angst.
Was werden Ihre letzten Worte an die Mitarbeiter sein?
Konrad: Danke und weiter so!
Wie hat sich die Justiz während Ihrer Laufbahn verändert?
Konrad: Das Personal im mittleren, gehobenen und höheren Dienst wurde im Vergleich zu meinem Arbeitsbeginn 1979 deutlich reduziert. Es wurde aber auch die Arbeitsweise optimiert und es kommt der Einsatz der EDV hinzu. Die Anzahl der weiblichen Kollegen im gehobenen und im höheren Dienst hat sich – im Gegensatz zu 1979 – umgekehrt, die Frauen sind in der Mehrheit.
Was vermissen Sie im Vergleich zu früher?
Konrad: Zeit zur Sachaufklärung und zur Entscheidungsfindung. Die in den 70er Jahren eingeführte Beschleunigung des Zivilprozesses hat sich seit Jahren durchgesetzt. Der richterliche Anfänger hat es schwerer, der Routinier hat mitunter Zeit, sich weitere Gedanken über seine gefundene Entscheidung zu machen.
Was ist besser geworden?
Konrad: Das Verhältnis der Mitarbeiter miteinander, es ist lockerer, es ist noch kollegialer geworden. Und: das Amtsgericht sieht sich als Dienstleister.
Warum ist die Juristerei ganz und gar nicht trocken?
Konrad: Als Zivilrichter lerne ich in vielen Lebensbereichen interessante Sachverhalte. Wer weiß schon was über 'zeitweilig anstehendes Wasser' an einer Kellerwand, über hinnehmbare Geräuschimmissionen bei einem Stadtfest, über die Passgenauigkeit eines Westernsattels.
Vor welchen Herausforderungen steht die Justiz in den nächsten Jahren?
Konrad: Das ist die Umstellung weiter Bereiche auf digitale Verarbeitung. Derzeit ist gerade der elektronische Eingangsbriefkasten beim Amtsgericht Kitzingen eingeführt, für die ausgehende Gerichtspost kommt dies noch. Das Grundbuch wird zu einem echten digitalen Grundbuch werden. Ein weiterer Meilenstein wird die Einführung der elektronischen Akte sein.
Bleibt das Kitzinger Amtsgericht auch in Zukunft bestehen?
Konrad: Ja. Anders kann ich es mir nicht vorstellen. Allerdings wird die Zeit zeigen, ob es in dem Umfang bestehen wird wie heute – und ob nicht Teile von Abteilungen, die nur noch digital arbeiten, nicht doch zentral optimiert werden.
Vor Gericht und auf hoher See ist man in Gottes Hand – mehr als ein Spruch?
Konrad: In gewisser Weise kann sich dieser Spruch manchmal aufdrängen. Man muss bedenken, dass die Parteien von ihrer Sicht der Dinge ausgehen. Dann bringt ein Dritter, sei es ein Zeuge oder ein Sachverständiger, Umstände auf, die den Ausgangssachverhalt unvorhergesehen und ungeahnt auf den Kopf stellen. Ich ziehe es daher vor, mich in privaten Angelegenheiten mit meinem Vertragspartner – vorgerichtlich – zu einigen.
Ihr schönstes Zitat zum Thema Recht?
Konrad: Nach Goethe und mit Schalk im Nacken: 'Im Auslegen seid frisch und munter! Legt ihr's nicht aus, so legt was unter!' Da ich es weniger mit der Lyrik, eher mir der Prosa halte, empfehle ich als Lektüre: Meister Floh von E.T.A. Hoffmann.
Wann ist Ihr letzter Arbeitstag – und wie sieht der aus?
Konrad: Am Freitag, 29. September, – ein normaler Arbeitstag. Allerdings mit Rückgabe meiner Hausschlüssel zu Dienstschluss.
Wie sieht Ihr Ausstand aus?
Konrad: Ich habe meine Mitarbeiter zu einem Abendessen in einem fränkischen Gasthof eingeladen.
Als nächstes freue ich mich auf . . .
Konrad: . . . Wandern in den einheimischen Kleingebirgen wie Steigerwald, Fränkische Schweiz, Frankenwald und Eifel.