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LANDKREIS KT: Auch Flaschen werden knapp: Gibt es genügend Bocksbeutel für die 2022er-Ernte?

LANDKREIS KT

Auch Flaschen werden knapp: Gibt es genügend Bocksbeutel für die 2022er-Ernte?

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    _ Foto: Olga Kochina (439308724)

    Verrückte Welt! Viele Jahre lang hat man eine Bestellung aufgegeben – und ein paar Wochen später standen georderte Flaschen genau in der gewünschten Form und Farbe parat. Heute kommt bestellte Ware entweder mit großer Verspätung, in alternativer Ausführung – oder gar nicht. Die noch lieferfähigen Glashütten Europas kommen mit der Produktion nicht hinterher, zudem fehlen Rohstoffe. Wie kann das sein und wie reagieren unsere Winzer, die ihre Weine in Flaschen und Bocksbeutel abfüllen wollen?

    „Die aktuelle Situation der Warenbeschaffung spitzt sich unserer Meinung nach immer weiter zu. Es wird Veränderungen geben müssen“, sagt Martin Schmidt, der bei der Winzergemeinschaft Divino Nordheim/Thüngersheim für den Einkauf zuständig ist.

    Die letzten beiden Jahre – „Corona-Jahre“ – haben für Unsicherheiten auf dem Beschaffungsmarkt gesorgt, so Schmidt: Das „Hamstern“ vieler Unternehmen habe die Produktionskapazitäten der Lieferanten maximal ausgeschöpft. Dadurch erhöhten sich die Lieferzeiten zwischen 25 und 50 Prozent, so Schmidt. Plötzliche Produktionsverzögerungen seien auch entstanden, weil ganze Abteilungen in Quarantäne mussten. Davon abgesehen habe es „turbulente Kostenkurven“ gegeben: Der Preis für einen Artikel konnte in kurzer Zeit stark schwanken. „Und nach der Corona-Entspannung kam dann der Ukraine-Russland-Konflikt.“

    „Die Liefersituation war schon vor dem Krieg in der Ukraine angespannt“, analysiert auch Cornelius Lauter, Geschäftsführender Vorstand der Winzergemeinschaft Franken (GWF). „Der Krieg hat die Situation aber nochmal verstärkt.“ Dass große Glashütten in der Ukraine kriegsbedingt geschlossen sind, habe Auswirkungen auf den gesamten europäischen Markt: „Überall fehlen Kapazitäten.“ Ganz ähnlich äußert sich Martin Schmidt: „Die Stilllegung ukrainischer Glashütten musste der europäische Markt abfedern, was zu Lieferverzögerungen und Kostensteigerungen führt. Das betrifft auch den Bocksbeutel.“

    Obendrein seien die noch lieferfähigen Glashütten mit extremen Kostensteigerungen konfrontiert. Rohstoffe wie Soda und Quarz seien schwerer zu bekommen sowie teurer geworden. Vor allem aber das Gas. „Um Glas zu schmelzen, braucht man Gas. Da gibt es kaum Alternativen.“ Einfach rasch anderswo Glashütten zu bauen sei Utopie, sagt Lauter. „Jede einzelne Glaswanne kostet Millionen.“

    Worst-Case-Szenarien

    Für die GWF hat das alles bislang keine produktionskritischen Auswirkungen. „Aber wir bekommen aktuell zum Beispiel keine Flaschen in Lichtgrün – das ist weißliches Glas mit leicht grünem Schimmer.“ Generell habe man das Flaschenlager so gut aufgefüllt wie nur möglich, um einen gewissen Puffer zu haben. Denn man wisse ja nicht, ob sich die Situation entspannt oder weiter anspannt. „Ich hoffe sehr, dass die Glasindustrie zu den wichtigen Industrien gezählt wird, denen das Gas nicht gravierend reduziert wird“, sagt Cornelius Lauter. Er und seine Kollegen sprechen immer wieder Worst-Case-Szenarien durch, um bestmöglich agieren und reagieren zu können.

    Echte Alternativen zur Glasflasche sieht der Fachmann nicht: „Glas ist für Wein die ideale Verpackung.“ Bag-in-Box-Gebinde etwa – Plastikbeutel in Kartonagen – seien vielleicht fürs Campen und andere Outdoor-Aktivitäten nützlich, aber nur bedingt Wein-tauglich. „Wenn der Inhalt nicht absolut CO2-frei ist, bläht sich der Karton auf. Zum Lagern und Reifen von Wein eignen sich die Boxen nicht.“

    Lauters Fazit: „Flaschen sind derzeit deutlich schwieriger als sonst zu bekommen, aber es gibt noch welche, wenn auch mit Wartezeiten. Vielleicht gibt es nicht alle Formen, aber unser fränkischer Bocksbeutel ist erstmal nicht gefährdet.“ Die Lage sei „herausfordernd, aber nicht bedrohlich“. Es komme entscheidend darauf an, was künftig passiert, „aber das haben wir alle ja nicht in der Hand, leider“.

    Martin Schmidt von der Divino denkt aktuell oft an die möglicherweise kommende Energiekrise, die viele Branchen beträfe. „Die Unsicherheit diesbezüglich sorgt bei Produzenten dafür, eventuell ihr Sortiment zu reduzieren und möglichst sparsam zu produzieren.“ Schon vermeintlich „einfache“ Produkte wie Europaletten kosten derzeit den dreifachen Preis wie 2019, weiß Schmidt. „Der Logistik-Markt war schon vor den Krisen angespannt, auch das wird immer mehr zum Problem. Und der Fachkräfte-Mangel zieht in allen Bereichen Kreise.“

    Lieferzeiten bis zu einem Jahr

    Von „vielen Unwägbarkeiten“ spricht auch Peter Geil, Leiter der Domäne Castell. „Wir haben im März eine Zusatzmenge an Flaschen schon für kommendes Jahr bestellt, die wir bis heute noch nicht erhalten haben. Weitere Bestellungen werden aktuell nicht entgegengenommen.“ Zum einen liege das Problem sicher in einer erhöhten, von Angst gesteuerten Nachfrage, weil jeder denke, dass der Gashahn zugedreht wird und es keine Flaschen mehr gibt.

    Zum anderen hätten die großen Getränkekonzerne den Sog auf die verbliebenen Glashütten so sehr verstärkt, dass es dadurch zu noch mehr Kapazitätsengpässen kommt. Zu all dem kommen noch die Gaspreis-Explosion und zusätzlich sehr stark schwankende Logistikkosten seitens der Glashütte.

    Mangelware seien aber nicht nur die Flaschen, sondern auch die Verschlüsse und das Papier für Etiketten, stellt Geil fest. „Wir haben aktuell Lieferzeiten von bis zu einem Jahr, was hauptsächlich an der Auslastung der Werke liegt, nicht am Aluminiumpreis.“ Letzterer sei zum Teil sogar gesunken, aber es fehlten schlicht und ergreifend Fachkräfte, damit die Produktionsstätten voll ausgelastet werden können. „In diesem Fall zu versuchen, auf andere Firmen auszuweichen, bringt zum einen nichts, weil diese die gleichen Probleme haben, und zum anderen sind ja die ganzen Stanz- und Druckwerkzeuge für die Verschlüsse auch Mangelware und müssten erst wieder neu produziert werden. Dadurch wird das Spiel noch länger.“

    Von anderen abhängig

    Cornelius Lauter von der GWF kennt dieses Problem ebenfalls. „Früher waren die Verschlüsse nach ein paar Wochen da, heute dauert es Monate.“ Um bei Kartonagen nicht auch in die Bredouille zu geraten, habe man einen großen Vorrat angelegt. „Jetzt merkt man erst einmal, wie die europäischen Warenströme zusammenhängen“, stellt Lauter fest. „Der europäische Papiermarkt ist größtenteils in der Hand der Finnen. Die bezogen viel Holz aus Russland. Seit dem Krieg funktioniert das nicht mehr und man muss nach Alternativen suchen.“

    Für Peter Geil heißt das: „Wir müssen jetzt schon ungefähr die Ernte abschätzen, damit die Druckerei Papier für nächstes Jahr bestellen kann.“

    Martin Schmidt betont, die aktuelle Unternehmenspolitik der Divino sehe Kosteneinsparungen und mögliche Vereinheitlichungen vor. „Inwiefern der Handel und der Kunde bereit sind, diese Maßnahmen mitzutragen, können wir derzeit noch nicht abschätzen.“ Verrückte Welt.

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