Die gute Nachricht vorneweg. Allen Bewohner geht es derzeit gut. Es schaut so aus, als wäre die Senioreneinrichtung „Schloss Ebracher Hof“ in Mainstockheim tatsächlich knapp an einer Katastrophe vorbeigeschrammt. Am Samstag, 18. April, wurde ein Bewohner positiv auf Covid-19 getestet, eine Woche später ist er verstorben. Seit zwei Wochen befinden sich der Besitzer des Hauses, Peter Brandner, und seine Mitarbeiter im Ausnahmezustand. Für ein Interview mit dieser Zeitung nimmt sich Brandner Zeit.
Drei Bewohner und zwei Mitarbeiter sind positiv auf Covid-19 getestet. Wie geht es ihnen?
Brandner: Gut. Die betroffenen Mitarbeiter sind in Quarantäne, die Bewohner haben wir noch am selben Tag, als wir von dem positiven Test erfuhren, in andere Zimmer verlegt.
In Würzburg hat sich das Virus schnell in den beiden betroffenen Heimen verbreitet. Was haben Sie anders gemacht?
Brandner: Zum Glück haben wir auf dem Gelände zwei Häuser. Da können wir die Bewohner gut voneinander trennen. Entscheidend war, dass wir sehr schnell reagiert haben. Die positiv Getesteten wurden gleich am Samstag verlegt, am Sonntagvormittag erhielten alle Bewohner und Mitarbeiter einen Abstrich, das Ergebnis lag am Montag vor. Die Zusammenarbeit mit den Behörden vor Ort war wirklich vorbildlich. Und es hat sich ausgezahlt, dass wir schon vor Beginn der Krise aufgefordert wurden, einen Pandemie-Plan zu erstellen.
Das heißt?
Brandner: Die Abläufe waren allen bekannt. Wir haben sofort einen Krisenstab gebildet, haben alle Mitarbeiter – von der Pflege über die Technik bis hin zur Reinigung – eingespannt. Dennoch hat nicht alles reibungslos funktioniert.
Was ist schief gelaufen?
Brandner: Es hat beispielsweise fast vier Stunden gedauert, bis wir die Sicherheitsschleuse in dem Gebäude errichtet hatten. Aufregung und Nervosität waren einfach zu groß. Normalerweise wären wir nach eineinhalb Stunden fertig gewesen. Entscheidend wird sein, dass wir künftig solche Abläufe regelmäßig üben und Schulungen anbieten.
Wie gehen die Bewohner mit der Situation um?
Brandner: Sie sind natürlich verunsichert. Viele haben Demenz. Da wirken die Pfleger mit ihren Masken immer wieder aufs Neue erschreckend. Am meisten fehlt ihnen der Besuch von Verwandten, ganz allgemein der körperliche Kontakt.
Was ging Ihnen durch den Kopf, als die Nachricht vom positiven Test eintraf?
Brandner: Diese Bestätigung traf unsere Einrichtung wie ein Schlag. Wir hatten uns immer sehr sicher gefühlt in unserem kleinen und familiären Seniorenheim, geschützt durch die Klostermauern. Wir hatten das Gefühl, das Virus würde über uns hinwegziehen.
Dennoch hatten Sie sich vorbereitet und mit ausreichend Schutzmaterialien eingedeckt?
Brandner: Natürlich, aber ich empfinde es immer noch als regelrecht kriminell, wie hilflos und machtlos wir als Einrichtung den Lieferanten aus Fernost ausgeliefert sind.
Sie meinen die Preissteigerungen für Masken und anderes Schutzmaterial?
Brandner: Normalerweise kostet eine 50er-Packung Einweg-Masken 3,50 Euro, wir zahlen jetzt über 70 Euro. Aber dieser Wucher ist gar nicht das Entscheidende. Irgendwann kam die Zeit, wo wir verzweifelt auf die Suche gegangen sind, auf ebay und bei dubiosen Händlern Waren bestellt haben. Jede Lieferung wurde wie ein Erfolg gefeiert. Und dann stellte sich beim Auspacken öfter heraus, dass das Material im Grunde genommen nutzlos war.
Warum?
Brandner: Wenn die Masken für den Transport nicht einmal steril eingepackt sind, dann weiß man schon Bescheid. Ein weiteres Problem: Die DIN-Normen für die Produkte änderten sich fast täglich. Und dann versuchen Sie einmal, die chinesischen Schriftzeichen auf den Verpackungen zu entziffern. Es gab tatsächlich einen Moment, wo wir uns alle total hilflos fühlten, wo wir beinahe aufgegeben hätten.
Was hat Ihnen die Kraft gegeben?
Brandner: Der Wille meiner Mitarbeiter. Trotz der enormen psychischen Belastung haben sie weitergemacht und die Bewohner versorgt. Und wir haben immer wieder selbst genähte Masken von Ehrenamtlichen erhalten. Diese Hilfe hat uns gut getan. Außerdem war uns immer klar, dass es uns trotz all der Probleme in Deutschland vergleichsweise gut geht.
Ihre Frau kommt aus Frankreich.
Brandner: Wir haben viele Kontakte ins Nachbarland. Eine Krankenschwester hat uns berichtet, dass sie Müllsäcke aufschneidet, um sie im Dienst als Schutzkleidung zu verwenden. Unglaublich. Wir haben ein Paket Hilfsmaterial rüber geschickt.
Wie geht Mainstockheim mit der Nachricht um, dass ein Bewohner des Heims an Corona gestorben ist?
Brandner: Es hat mich schon überrascht, wie schnell Gerüchte aufgetaucht sind und Mutmaßungen angestellt wurden, wie das Virus ins Haus kam. Vor allem in den sozialen Medien gab es schnell Anschuldigungen, die jeglicher Grundlage entbehren. Wir haben gleich gesagt, dass wir so transparent wie möglich mit der Situation umgehen wollen.
Welche Konsequenzen ziehen Sie aus den letzten zwei Wochen?
Brandner: Vieles ist gut gelaufen, aber wir sollten für die Zukunft in jedem Landkreis ein Depot an Hilfsmaterialien anlegen, auf das alle Einrichtungen im Notfall zurückgreifen können.
Wie geht es jetzt weiter in Ihrem Heim? Die Gefahr ist noch nicht gebannt.
Brandner: So ist das, wir sind nach wie vor angespannt und wachsam, kontrollieren die Bewohner regelmäßig auf mögliche Symptome. Sollte ein Verdacht auftreten, werden wir sofort das Gesundheitsamt informieren. Außerdem stehen wir ständig in Kontakt mit unseren Hausärzten. Wenn wir eines gelernt haben, dann das: Wir müssen ständig wachsam sein. Schnelles Handeln kann Leben retten.