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LANDKREIS KITZINGEN: Das falsche Rezept?

LANDKREIS KITZINGEN

Das falsche Rezept?

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    Unzufrieden: Dr. Thomas Krichenbauer und Dr. Edgar Gramlich sind mit dem Gesetzesentwurf alles andere als einverstanden.
    Unzufrieden: Dr. Thomas Krichenbauer und Dr. Edgar Gramlich sind mit dem Gesetzesentwurf alles andere als einverstanden. Foto: Foto: ralf dieter

    Sie haben kein Verständnis für den Gesetzesentwurf. Und sie wollen dagegen ankämpfen. Dr. Thomas Krichenbauer und Dr. Edgar Gramlich haben als Mediziner schon vieles erlebt. Eine politische Reform, die ihnen und den Patienten tatsächlich weiter hilft, leider noch nicht.

    Der Bundestag berät in diesen Tagen das so genannte Versorgungsstärkungsgesetz. Die Absicht ist gut. Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe will damit eine bedarfsgerechte und flächendeckende ärztliche Versorgung im ganzen Land erreichen. Denn die Praxis sieht oftmals so aus: Patienten müssen lange Fahrten zum nächsten Arzt auf sich nehmen oder teilweise monatelang auf einen Termin warten.

    „Wir brauchen heute in der Regel mehr Zeit für Behandlungen als früher.“

    Edgar Gramlich, Hausarzt

    In manchen Gegenden Deutschlands muss ein Hausarzt laut Gramlich mehr als 3000 Patienten pro Quartal betreuen. In Bayern hat ein Durchschnitts-Hausarzt etwa 1000 Patienten pro Quartal. In manchen Großstädten liegt das Verhältnis bei 1 zu 300. Ein krasses Missverhältnis. Krichenbauer und Gramlich kennen diese Probleme und heißen sie keinesfalls gut. Die Lösungen aus dem Gesundheitsministerium aber auch nicht.

    Ein Ziel des Versorgungsstärkungsgesetz lautet, Arztsitze in den überversorgten Gebieten abzubauen, um sie in den unterversorgten Gebieten aufzubauen. So soll die Versorgung auch in strukturschwachen Gegenden wie im Bayerischen Wald oder in Mecklenburg-Vorpommern gesichert werden. Kitzingen zählt laut den aktuellen Erhebungen der Kassenärztlichen Vereinigung zu den überversorgten Gegenden.

    Eineinhalb Sitze würden bei den Hausärzten gekürzt, wenn das Gesetz greift, so Gramlich. Bei den Neurologen wären es sogar zwei Sitze. „Das ist keinesfalls vorausblickend“, warnt Dr. Krichenbauer. Schon jetzt liegt das Durchschnittsalter der Hausärzte in Kitzingen deutlich über 50 Jahre. Seine Befürchtung: Sind die Sitze erst einmal weggefallen, werden sie nicht mehr ersetzt.

    „Wenn wir hier Sitze einsparen, dann bedeutet das für die Menschen in Mecklenburg-Vorpommern keine Verbesserung“, warnt der Neurologe. Denn junge Ärzte werden nach seiner Meinung deshalb noch lange nicht in diese ländlichen Gegenden ziehen. Sein Argument: Mehr als 60 Prozent der jungen Ärzte sind mittlerweile weiblich. „Und diese Frauen haben nach ihrer langen Ausbildungszeit ganz andere Wünsche.“ Sie wollen in ihrem vertrauten Umfeld bleiben, wollen Teilzeit arbeiten, um Beruf und Familie unter einen Hut zu bringen.

    In manchen Hausarztpraxen wird das längst praktiziert. Doch jeder Sitz fließt in die Statistik ein. Eine Praxis mit drei Teilzeitkräften zählt auf dem Papier so viel wie drei Vollzeitstellen. Nicht der einzige Punkt, der laut den beiden Mediziner für eine ungenaue Statistik sorgt. Ihr Vorwurf: Die Bedarfszahlen, die dem Gesetzesentwurf zugrunde liegen, sind veraltet. Sie stammten aus den 90er Jahren und würden die Entwicklungen in der medizinischen Versorgung in den letzten 20 Jahre nicht berücksichtigen. Die Bedarfszahlen seien zwar angepasst worden, aber lediglich in Bezug auf die Bevölkerungsentwicklung. Die Fortschritte in der Medizin seien dagegen nicht berücksichtigt worden.

    So ist etwa die Lebenserwartung gestiegen und mit ihr die ärztliche Betreuung. Die Fallzahlen haben in etlichen Facharztpraxen zugenommen, die Therapieangebote ebenso. „Wir brauchen heute in der Regel mehr Zeit für Behandlungen als früher“, sagt Dr. Gramlich. Hausärzte hätten auch deshalb mehr Arbeit als früher, weil Kliniken ihre Patienten im Schnitt früher entlassen als noch vor 20 Jahren. Ein Ausfluss des so genannten Fallpauschalengesetzes von 2002, nach dem Kliniken nicht mehr nach der Liegedauer, sondern nach der Diagnose bezahlt werden.

    Lange Wartezeiten gibt es auch in den Bereichen Kardiologie, Rheumatologie, Orthopädie, Neurologie oder Psychiatrie. Dr. Krichenbauer und Dr. Gramlich streiten das gar nicht ab. „Wer heute bei mir einen Termin will, der muss bis Mai warten. Notfälle kommen natürlich sofort dran“, sagt der Neurologe.

    Das neue Gesetz will dem Abhilfe schaffen. Ein Patient soll künftig innerhalb von vier Wochen einen Termin bekommen.

    „Wer ein guter Arzt werden will, braucht nicht unbedingt einen Abiturdurchschnitt von 1,0.“

    Thomas Krichenbauer, Neurologe

    So genannte Terminservicestellen sollen das bewerkstelligen. Für Dr. Krichenbauer der falsche Weg. Er will auch künftig zwischen dringlichen und weniger dringlichen Patienten unterscheiden können. Eine entsprechende Überweisung des Hausarztes könne dem Facharzt signalisieren, wie dringend eine Behandlung ist. Dank der guten Verbindungen untereinander wird dieses System in vielen Kitzinger Praxen bereits angewandt.

    Die Vorschaltung eines Hausarztes hält Dr. Krichenbauer für absolut notwendig. „Sie glauben gar nicht, wie viele Patienten zu mir kommen, obwohl sie hier falsch sind“, sagt er. Ein „Filter“ beziehungsweise „Wegweiser“ sei notwendig. Aber die Zukunftsaussichten für Hausärzte seien derzeit alles andere als erfreulich. Lange Arbeitszeiten, überbordende Bürokratie: Zwei Gründe, die junge Leute abhalten. „Dabei bräuchten wir dringend mehr Ärzte“, sagt Dr. Krichenbauer. Das wäre viel dringlicher als ein Versorgungsausgleich. Wie das bewerkstelligt werden kann, ist dem Mediziner durchaus klar: Runter mit dem Numerus Clausus. „Wer ein guter Arzt werden will, braucht nicht unbedingt einen Abiturdurchschnitt von 1,0.“

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