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KITZINGEN: Der Angst auf den Zahn fühlen

KITZINGEN

Der Angst auf den Zahn fühlen

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    Spritze, Zange, Bohrer: All die „Folterinstrumente“ beim Zahnarzt, die Stefan Münch Angst gemacht haben, hat er inzwischen im Griff – im wahrsten Sinn des Wortes und zur Freude von Iris Soldner (Zahnmedizinische Fachangestellte) und Zahnärztin Katharina Orlob.
    Spritze, Zange, Bohrer: All die „Folterinstrumente“ beim Zahnarzt, die Stefan Münch Angst gemacht haben, hat er inzwischen im Griff – im wahrsten Sinn des Wortes und zur Freude von Iris Soldner (Zahnmedizinische Fachangestellte) und Zahnärztin Katharina Orlob. Foto: Foto: Diana Fuchs

    Der Mund wird trocken, die Hände feucht. Das Herz rast. Die Gedanken fahren Achterbahn. Allein die Vorstellung, ausgeliefert auf dem „elektrischen Stuhl“ zu liegen, inmitten von Zangen und Bohrern, sorgt für Panikattacken und Alpträume. Wer solche Szenen kennt, der leidet unter einer so genannten Dentalphobie. Diese übermächtige Angst vor der Zahnbehandlung ist nicht selten. Schätzungen der Krankenkassen gehen davon aus, dass jeder zehnte Bundesbürger mehr oder weniger stark betroffen ist. Einer von ihnen ist bereit, seine Furcht zu schildern – und den Weg, wie er sie in den Griff bekommen hat.

    „Der Patient muss wissen, dass er während der Behandlung der Chef ist.“

    Katharina Orlob, Zahnärztin

    Stefan Münch ist einer, der zupacken kann: groß, breitschultrig und durch seine offene, freundliche Art auf Anhieb sympathisch. Er ist 31 Jahre alt, von Beruf Finanzbeamter. In seiner Freizeit fährt er ehrenamtlich den BRK-Rettungswagen und tut Dienst bei der Feuerwehr. Der gebürtige Sinsheimer ist vor fast sieben Jahren, nach dem Ende seiner Bundeswehrzeit, nach Kitzingen gezogen. Er fühlte sich hier von Anfang an ebenso wohl wie seine Frau – wäre da nicht dieses eine, kleine Problem, das er gern verdrängte.

    „Ich hatte als Kind eine kieferorthopädische Behandlung, die ich als ziemlich übel in Erinnerung habe. Und bei der Bundeswehr gab es dann einen Zahnarzt, der gar nicht goldig war“, erzählt Münch freimütig. Diese Erlebnisse haben ihn wohl mehr geprägt, als er lange Zeit wahrhaben wollte. Jedenfalls nahm er nach der Zeit beim „Bund“ sein ziviles Leben wieder auf – allerdings ohne Zahnarzt. „Mir einen neuen, zivilen Zahnarzt zu suchen, hab' ich immer vor mir hergeschoben.“

    Doch dann kam „der“ Tag. Es war der 7. September 2012. „Nach zwei schon wirklich schlimmen Wochen waren die Schmerzen unten rechts jetzt unerträglich“, erinnert sich Stefan Münch. „Nichts hat mehr geholfen.“ Zuvor war Münch immer ganz, ganz schnell an dem Hinweisschild auf die Zahnarztpraxis von Dr. med. dent. Katharina Orlob vorbeigegangen, den Blick in die andere Richtung gewandt, „obwohl ich nur zwei Häuser weiter wohne“. Doch an jenem warmen Herbsttag konnte er nicht anders: Auf Empfehlung einer Bekannten betrat er nach Jahren erstmals wieder eine Zahnarztpraxis. Ziemlich blass im Gesicht, erzählte er von seiner Furcht und seinem Schmerz.

    „Ich hab' mich richtig geschämt. Für meine Angst und die Karies.“ Stefan Münch beschreibt etwas, das Katharina Orlob gut kennt. „Viele schämen sich. Das ist verständlich. Allerdings – und das sage ich den Leuten auch immer – gibt es wohl nichts, was wir Zahnärzte noch nicht gesehen haben.“ Es sei jedes Mal ein richtig positives und berührendes Erlebnis, jemandem aus der Angst zu helfen und ihm ein ordentliches Mundgefühl zu geben. „Ich habe einen Patienten, der 60 Jahre nicht beim Zahnarzt gewesen war“, berichtet Orlob. Als Zehnjähriger hatte er Schlimmes erlebt und den Doktor danach einfach boykottiert. Dieser Mann kam, weil er letztendlich nur noch mit den Schneidezähnen essen konnte. „Inzwischen hat er wieder alle Zähne – und wir haben beide vor Freude geweint, als er wieder richtig kauen konnte.“ Der über 70-Jährige kommt inzwischen regelmäßig in die Praxis.

    „Er übt eine gewisse Macht aus“

    Wie das möglich geworden ist? Ähnlich wie bei Stefan Münch. „Am liebsten hätte ich alles in Vollnarkose hinter mich gebracht, aber dass diese körperliche Belastung in keinem Verhältnis steht, war mir auch klar.“ Um die Angst wirklich zu bezwingen, müsse man sich ihr stellen. In vollem Bewusstsein. Ohne Lachgas, Hypnose oder sonstige Hilfsmittel. Sondern durch Kommunikation. „Nur so konnte ich meiner Angst tatsächlich auf den Zahn fühlen.“

    Also besprachen Münch und Orlob, woher Furcht und Panik kommen. Orlob: „Das ist individuell verschieden. Meist sind es jedoch Erlebnisse aus der Kindheit, körperlich bedrängendes Verhalten des Arztes, Gewalt und die Tatsache, dass der Zahnarzt durch seine Instrumente eine gewisse Macht ausübt.“ Es sei keine Frage der Intelligenz oder Bildung, ob jemand eine tief sitzende Angst entwickle oder nicht. „Das betrifft alle Bevölkerungsgruppen, Frauen und Männer gleichermaßen.“

    Zwischen Arzt und Patient müsse sich zunächst ein Vertrauensverhältnis bilden, beschreibt Dr. Orlob die erste Gegenmaßnahme. „Der Patient muss wissen, dass er während der Behandlung der Chef ist. Sobald er sich rührt oder Handzeichen gibt, unterbreche ich meine Arbeit, gehe auf ihn ein.“ Stefan Münch nickt. „Es kostet mich zwar immer noch Überwindung, in die Praxis zu gehen“, beschreibt er seine Lage. „Aber ich mache das jetzt regelmäßig und weiß, dass nichts gegen meinen Willen geschieht. Eine gewisse Kontrolle über das Ganze zu haben, ist wichtig für mich. Und auch die Kommunikation während der Behandlung.“ Die Ärztin und ihr Team erklären dem 31-Jährigen stets genau, was gemacht wird. „Sie sagen mir auch, dass es jetzt kurz wehtun kann.“

    An jenem Septembertag 2012 hat Katharina Orlob die schmerzende Zahnwurzel ihres Angstpatienten erst mal ruhig gestellt. „Aber man hat mir auch gleich ehrlich gesagt, dass der Zahn nicht zu retten ist“, konstatiert der Finanzbeamte. Nach wenigen Tagen brach ein Stück ab – und Stefan Münch entschied, sich der nötigen OP zu stellen. „Ich fühlte mich gut aufgehoben.“

    Katharina Orlob hat ihre Praxis speziell auf Angstpatienten hin ausgerichtet. Bohrer, Zangen, Spritzen und Co. liegen nicht abschreckend im Behandlungsraum herum. Duftlampen vertreiben den typischen Zahnarztgeruch, die Patienten können ihre individuelle Lieblingsmusik hören. Sowohl die Ärztin als auch ihre Helferinnen sind psychologisch geschult und wissen, wie ihre Stimme, ihr Verhalten und ihre Körperhaltung auf den Menschen im Stuhl wirken. „Ich habe seit jeher ein großes Interesse an Psychologie“, verrät die Ärztin. Deshalb nahm sie vor etlichen Jahren an einem Kurs der Münchner Psychotherapeutin Dr. Gruber teil, in dem es um „verbale Intervention“ geht. „Das war bahnbrechend für mich und die Entwicklung meiner Praxis.“

    Woher ihr Interesse kam? Vielleicht daher, dass Orlob am eigenen Leib erfahren hat, was Angst ist: „Als Kind habe ich alle vier Weisheitszähne entfernt gekriegt und hatte eine große Gaumen-OP. Ich verstehe jeden, der eine Dentalphobie entwickelt hat.“

    Übermächtige Angst - Heute Ratgeber-Aktion

    "Furcht"bar: Laut djd (Deutsche Journalisten Dienste) ist der Behandlungsstuhl in einer Zahnarztpraxis für zwölf Millionen Bundesbürger einer der furchtbarsten Orte überhaupt. Viele von ihnen nehmen lieber starke Schmerzmittel, als zum Zahnarzt zu gehen. Sie entwickeln im Lauf der Jahre eine echte Dentalphobie, die übrigens – sobald ein Fachmann sie attestiert – eine offiziell von den Krankenkassen anerkannte psychische Krankheit ist.

    Expertenrunde: Die Furcht vor dem Zahnarzt lässt sich überwinden. Tipps und Hilfestellung geben die örtlichen Zahnmediziner und heute per Internet mehrere Fachmänner. Von 18 bis 19 Uhr beantworten unter anderem Dr. Michael Leu (Gründer der Deutschen Gesellschaft für Zahnbehandlungsphobie e.V.) und Dr. Andre Wannemüller (Psychotherapeut und wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Ruhr-Uni Bochum, Bereich klinische Psychologie und Psychotherapie) die Fragen, die ihnen unter www.experten-im-chat.de zugesandt werden. ldk

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