Wo waren sie nur geblieben, all die Jahre ihres Lebens. Manches Mal saß sie stundenlang einfach nur da und war tief versunken in ihren Erinnerungen. Bilder aus ihrer Kindheit tauchten wieder auf. Damals auf dem kleinen Dorf, als die Großmutter noch lebte. Die Zeit kurz vor dem Zweiten Weltkrieg. Harte Jahre. Auch Jahre der Entbehrung. Als der Vater dann in Russland blieb. Und die Winter am Ende des Krieges. Meterhoch lag der Schnee. Eiskalt fegte der Ostwind über die verschneiten Felder. Plötzlich waren alle diese Bilder wieder ganz klar vor ihrem inneren Auge. Die guten Zeiten. Die große Liebe ihres Lebens. Die Zeit, als die Kinder noch klein waren. Der erste Urlaub. Die Jahre des wirtschaftlichen Aufschwungs. Das kleine Siedlungshaus, das sie sich vom Mund abgespart hatten. Dann verließen die Kinder das Haus, gingen ihre eigenen Wege. Und die Zeit flog dahin. Gute und schwere Zeiten kamen und gingen. „Je älter du wirst, umso schneller vergeht ein Jahr!“ Das hatte die Großmutter immer gesagt. Früher hatte sie dann nur mit dem Kopf geschüttelt. Zeit ist doch etwas Messbares: Sekunde um Sekunde, Minute um Minute, Stunde um Stunde. Aber das Leben hatte sie eines Besseren belehrt.
KITZINGEN