Der heute 79-jährige Klaus-Michael von Keussler grub in den Jahren nach dem Mauerbau mit anderen Studenten der Freien Universität Berlin mehrere Tunnel von West- nach Ost-Berlin. Bei der spektakulärsten dieser Aktionen konnten 57 Flüchtlinge in den Westen gebracht werden, bevor die durch einen Verrat alarmierten ostdeutschen Grenztruppen den Eingang fanden.
Nun berichtete er Schülern der Fachoberschule Kitzingen von seinem damaligen Abenteuer, wie es in einem Schreiben an die Presse heißt. Obwohl die Veranstaltung fast drei Schulstunden gedauert habe, lauschten die drei 11. Klassen gebannt seiner lebendigen Schilderung, bei der er auch einen vom Hausmeister spontan ausgeborgten Zollstock benutzte, um den geringen Querschnitt des 145 Meter langen Tunnels unter der Bernauer Straße zu demonstrieren. Bilder, etwa vom Belüftungssystem aus Konservendosen und dem behelfsmäßigen Lift aus Flaschenzug und Holzbrett, unterstützten seinen Vortrag.
Die Nachricht über den Mauerfall hielt er erst für ein Hörspiel
Sein spannendes und abwechslungsreiches Leben lieferte auch den Stoff für weitere Anekdoten, zum Beispiel wie er im Auftrag der Vereinten Nationen in Äthiopien tätig im britischen Rundfunk vom Mauerfall erfuhr, den Bericht aber für ein Hörspiel hielt. Ein Missverständnis, wie es für die jugendlichen Zuhörer im Zeitalter der Sozialen Medien kaum mehr vorstellbar sei.
Der gelernte Volljurist lebt heute in Erfurt und widmet sein Leben sowohl der Erinnerung an die damaligen Geschehnisse als auch der Betreuung syrischer Flüchtlinge. Als Fünfjähriger mit seiner Mutter von Ostpreußen nach Brandenburg geflohen, nachdem sein Vater bei Minsk gefallen war, prägten Flucht und Vertreibung schon früh sein Leben, daher spricht er auch von seiner Lebensspanne als dem „Jahrhundert der Flüchtlinge“, wie es in der Mitteilung heißt.
Von einem Zuhörer auf seine Verantwortung beim Rechtsbruch – seine Gruppe verstieß damals auch gegen bundesdeutsche Gesetze – vor dem eigenen Gewissen antwortete er: „Das Studium der Rechte erfordert nicht unbedingt den Rechtsgehorsam“. Sichtlich zu schaffen macht ihm allerdings immer noch, dass damals der DDR-Soldat Egon Schultz bei dem Schusswechsel am entdeckten Eingang des Tunnels versehentlich erschossen wurde, auch wenn der tödliche Schuss von einem eigenen Kameraden kam, wie erst nach der Wiedervereinigung und der Öffnung der Archive der Öffentlichkeit bekannt wurde.