„Menschenrechte werden nur gewahrt, wenn es Menschen gibt, die dafür eintreten.“
Kitzingens Oberbürgermeister Müller in seiner Rede zur Gedenkfeier an die Pogromnacht
„Wir alle tragen Verantwortung, dass es keine schweigenden Mehrheiten mehr gibt und dass die Menschenrechte in unserem Land für alle gelten. Denn jeder Angriff darauf bedroht unsere Gesellschaft. Wir dürfen nicht schweigen und nicht wegsehen, sondern sind gehalten, die Würde und Freiheit Einzelner zu verteidigen. Das sind wir den Opfern des Holocaust schuldig.“ Klare Worte des Kitzinger Oberbürgermeisters Siegfried Müller bei der Gedenkfeier am Mittwochabend zur Pogromnacht des Jahres 1938. Er verneigte sich vor den damaligen Opfern der jüdischen Gemeinde Kitzingen.
Siegfried Müller erinnerte an das Leid, das der jüdischen Bevölkerung infolge des nationalsozialistischen Rassenwahns angetan wurde. Es seien auch in Kitzingen Scheiben eingeschlagen, Geschäfte und Wohnungen geplündert, die Synagoge angebrannt und viele jüdische Mitbürger in Konzentrationslager verschleppt und ermordet worden. „Dieser Terror traf Menschen, die sich nichts zu Schulden hatten kommen lassen“, sagte der OB, der die Geschehnisse in der Nacht vom 9.
auf den 10. November 1938 als Schock für Juden einstuften, die um ihr Leib und Leben fürchten mussten.
Viele hätten damals verzweifelt ihre Emigration beschlossen und ihre Rettung in letzter Minute geschafft. Doch Millionen Juden aus Deutschland und Europa sei dieser Ausweg versagt geblieben, „sie fielen dem Rassenwahn und der Mordmaschinerie der Nazis zum Opfer“, was Siegfried Müller sehr traurig stimmte.
Welches Ausmaß die Judenverfolgung annehmen sollte, habe sich am 9. November 1938 erstmals angedeutet. Leider sei die Reichspogromnacht lange als Reichskristallnacht verharmlost worden und die Menschen hätten wegen Einschüchterung oder Angst geschwiegen oder sich abgewandt.
Der ehemalige Generalsekretär der Vereinten Nationen, Kofi Annan, habe einst festgestellt, dass „das Schweigen der Mehrheit das sei, was der Böse benötigt um zu triumphieren“, wie Siegfried Müller zitierte.
„Deshalb rufen wir heute die Geschehnisse der Reichspogromnacht ins Gedächtnis“, die zu den dunkelsten Zeiten unserer Geschichte zählt. Wir würden heute in einer Demokratie leben, in der die Gleichheit aller Menschen Verfassungsrang habe und höchsten Wert auf Menschenrechte gelegt werde. „Menschenrechte werden nur gewahrt, wenn es Menschen gibt, die dafür eintreten“, erklärte der OB und verwies darauf, dass die Würde des Menschen nur unantastbar bleibe, wenn sie von Menschen geachtet und verteidigt werde.
„Wir haben heute wieder jüdische Gemeinden in Deutschland“, stellte der Oberbürgermeister fest. Diese Entwicklung sei nach dem Zivilisationsbruch des Holocaust kaum vorstellbar gewesen. „Wir gedenken heute des Tages, an dem die Würde und das Recht unserer jüdischen Mitbürger mit Füßen getreten wurden“, sagte Siegfried Müller und legte einen Kranz vor der Alten Synagoge nieder. „Wir empfinden Trauer, Entsetzen und Scham angesichts dessen, was vor 78 Jahren in unserer Stadt und unserem Land geschah“, sagte der OB und verwies auf die Verpflichtung, die daraus für die Menschen in der Gegenwart erwachse. Es brauche Menschen, die aktiv für die Werte eintreten und den Rechtsstaat couragiert verteidigen.
Solche Menschen seien wichtig in Zeiten, in denen Diskriminierung von Minderheiten wieder zunehmend toleriert werde, und in Zeiten, da nicht nur in den USA, sondern auch in unserem Land die Spaltung der Gesellschaft immer spürbarer werde.
Im Anschluss an die Gedenkveranstaltung referierte der Redakteur und Historiker Roland Flade, der Autor des Buches „Jüdische Familiengeschichten aus Unterfranken“, über die Lebensbilder von jüdischen Menschen aus Kitzingen und der Umgebung. Den Abend gab Hemos Saxbar den musikalischen Rahmen.