Die bewegendste Szene spielte sich beim Empfang im Rathaus Prichsenstadt ab, als der Koffer am DenkOrt Deportation enthüllt und alle Fotoapparate abgeschaltet waren. Avi Zoran, Urenkel der aus Prichsenstadt deportierten Martha Löwenberger, hatte eine höchst versöhnliche und einladende Rede gehalten. "Wir sehen Deutschland und das deutsche Volk als unsere wahren Freunde", sagte er. "Wir können zwar nicht vergessen, aber wir bewundern eure Bereitschaft, mit eurer Geschichte umzugehen, daraus zu lernen und die nächste Generation so zu erziehen, dass sich das alles nicht mehr wiederholt."

Nach der Feierstunde ging der Enkel von Heinrich Sauer, von 1934 bis 1945 Bürgermeister und Ortsgruppenleiter der NSDAP, auf Zoran zu. Der Enkel sprach dem Israli sein tiefstes Bedauern für das aus, was sein Großvater den Mitgliedern der jüdischen Familie Löwenberger während der Nazi-Zeit angetan hatte und bat ihn dafür um Vergebung. "Avi Zoran war sichtlich gerührt und geradezu fassungslos", berichtete Wolf-Dieter Gutsch dieser Redaktion von diesem Gespräch.
Mehrere Tafeln erinnern an die deportierten Familien

Doch nicht nur Zoran war gerührt angesichts der Feierstunde, zu der Bürgermeister René Schlehr eingeladen hatte und die musikalisch würdig von Ida Ernwein (Geige), Agathe Kestler (Querflöte) und Gerd Semle (Akkordeon, alle Gymnasium Wiesentheid) gestaltet wurde. Der Koffer steht auf einem Steinsockel rechts direkt im Eingangsbereich des Friedhofes, gegenüber vom historischen Stadttor. Links befindet sich das Kriegerdenkmal und an der Wand hinter dem Koffer hängen mehrere Tafeln, die an die deportierten Familien erinnern.
Die Gedenktafel an die ermordeten jüdischen Mitbürger, bislang unauffällig an der Friedshofsmauer angebracht, bildet den optischen Mittelpunkt an der Wand. Zentral trohnt der Koffer, gestiftet von Freihof-Chef Richard Gebert und von seinem Mitarbeiter Mehdi Emini aus wetterfestem Cortenstahl gestaltet. Das Gegenstück steht am DenkOrt Deportation am Hauptbahnhof in Würzburg.

Der DenkOrt, sagte Schlehr, sei so gewählt worden, "dass Vorübergehende ihn besuchen, innehalten und sich bewusst mit diesem Erinnern an fünf jüdische Familien aus Prichsenstadt und drei aus Altenschönbach erinnern, die deportiert und von den Nationalsozialisten ermordet worden sind".
Mit diesem Gedanken nahm Benita Stolz, Vorsitzende des Vereins DenkOrt, das notwendige "Nicht-Vergessen" auf. Mit dem zweiten Kofferort soll eine Stadt nicht ihre Erinnerung an Würzburg abgeben, "sondern sich an einem repräsentativen Ort bewusst an ihre jüdischen Mitbürger erinnern". Über die Erinnerungskultur in Prichsenstadt zeigte sie sich tief beeindruckt: "Was hier für zwei jüdische Kultusgemeinden entstanden ist, hebt sich von vielen anderen Gemeinden ab."
Michael Oded Baumann von der jüdischen Gemeinde Würzburg unterstrich dies. Er sei sehr aufgewühlt, berichtete er, "da wurden Menschen, die über Jahrhunderte zur Gemeinde gehörten, über Nacht deportiert und ermordet". Es sei "sehr, sehr bemerkenswert und eine große Ausnahme, was Sie hier geschaffen haben".
Ein würdiger Platz beim Kriegerdenkmal für Otto Hahn

Es gibt jetzt auch eine Gedenktafel für Otto Hahn, der 1920 an einer Erkrankung gestorben war, die er sich im Ersten Weltkrieg zugezogen hatte. Diese von Sascha Fidyka aus Wiesentheid gestaltete Tafel findet nun im Rahmen des DenkOrtes Prichsenstadt einen würdigen Platz am Kriegerdenkmal. Und auch eine Gedenktafel der Stadt Prichsenstadt für die ehemaligen jüdischen Mitbürger, 1987 von Wolfgang Adamek aus Fahr geschaffen und in einer Nacht-und-Nebel-Aktion recht unauffällig in der Bahnhofstraße an der Außenmauer des Friedhofes angebracht, wurde jetzt an angemessener Stelle im DenkOrt Prichsenstadt platziert.

Wie überhaupt der ganze DenkOrt Prichsenstadt ein "lebendiges Zeugnis unserer Geschichte ist, ein Ort um zu trauern und gegen das Vergessen", sagte Landrätin Tamara Bischof in ihrer Rede. "Wir leben in einer freien und liberalen Welt, und so soll es auch bleiben", appellierte sie nicht nur an ihre anwesenden Zuhörerinnen und Zuhörer.