„Es war ein Schock.“ Die Nachricht, dass bis Ende 2014 im Kitzingen Fehrer-Werk rund 500 Menschen ihre Arbeit verlieren werden, erreichte Oberbürgermeister Siegfried Müller am Dienstag um 17.45 Uhr. Per Telefon. Am anderen Ende: Bernd Welzel, Sprecher der Geschäftsleitung. Der habe ihm erklärt, wie radikal die Einschnitte im Werk des Zulieferers (Komponenten für den Innenausbau) werden sollen, sagte Müller am Mittwoch.
„Tief bestürzt“ zeigte sich auch Landrätin Tamara Bischof. Sie werde Streichung der Stellen „nicht kampflos akzeptieren.“ Erster Schritt werde am Gründonnerstag ein Treffen mit OB Müller, einem Vertreter der Agentur für Arbeit, Vertretern der Gewerkschaft und des Betriebsrats führen, um den Kahlschlag im Werk „zu verhindern“.
- Eine Stellungna hmen von Landrätin von Tamar a Bischof zu den angekündigten Entlassungen bei Fehrer (PDF)
Unverständnis ist eine zweite Emotion, die die drohende Entlassungswelle ausgelöst hat. OB Müller: „Die einen kriegen Boni, die anderen verlieren den Job.“ In die Kerbe schlägt auch die Landrätin. Die Politik müsse endlich regulierend auf die Automobilindustrie einwirken. Es könne nicht sein, dass die Zulieferer immer weiter im Preis gedrückt und ins Ausland getrieben würden – die Hersteller aber mit dem Prädikat „made in Germany“ ihre Gewinne machen. Deutliche Worte dazu findet auch Müller: Die Geschehnisse bei Fehrer seien für ihn das böse Gesicht der Globalisierung.
Kritisch sieht Landrätin Bischof auch einige Schließungs-Argumente der Fehrer-Spitze. Beispielsweise die Entfernung zu den Abnehmern. Dies sei in Zeiten „intelligenter Logistik hinfällig“. Und von einem „Investitionsstau“ sei beim Werksbesuch mit Ministerpräsident Horst Seehofer im April 2011 nichts zu sehen gewesen.
Warum aber kippt Fehrer Kitzingen, wo vor 130 Jahren das Unternehmen seine „Geburtsstunde“ hatte? Die Antwort findet sich in der Erklärung der Familie Fehrer. Weil immer mehr deutsche Autos – gut 85 Prozent der Fehrer-Produktion – im Ausland produziert werden, müsse auch Fehrer dort produzieren und nicht am vergleichsweise teuren Standort Kitzingen. Hier gebe es die höchsten Fixkosten, die größte Entfernung zu den Kunden und eine stark veraltete Bausubstanz, heißt es im Fehrer-Pressetext.
Der Kostendruck ist nur eine Seite des bösen „Spiels“ in Kitzingen: Die Gewinner in Deutschland hatten schon vorneherein die besseren Karten. Beispielsweise Wackersdorf: Dort gilt laut Restrukturierungsmanager Tom Graf noch ein Beschäftigungsschutz bis 2019. Dazu ist das Werk eng mit dem Autobauer BMW verbunden. „Verheiratet“ vor allem mit VW sei Braunschweig, wo ebenfalls wie in Wackersdorf einige neue Arbeitsplätze entstehen könnten.
Apropos Arbeitsplätze: Deren Streichung soll laut Fehrer „so sozialverträglich wie möglich vorgenommen werden.“ Über die Höhe der Abfindungen und die Einrichtung einer Transfergesellschaft (eine zeitlich begrenzte Qualifizierung für entlassene Mitarbeiter) werde mit den Arbeitnehmervertretern verhandelt – aber nicht über den Erhalt der 500 Jobs.
Viel Emotion nach der Hiobsbotschaft: Was Passanten in der Kitzinger Innenstadt zum massiven Stellenabbau bei Fehrer sagen
Sie sind das bestimmende Thema am Mittwoch auf dem Kitzinger Marktplatz: Die 500 Fehrer-Mitarbeiter, die ihren Job verlieren werden. Mit einer Umfrage möchte die Main–Post die Stimmung einfangen. Schnell wird deutlich: So einfach geht das nicht.
Bei Vielen, vor allem den direkt Betroffenen, sitzt der Schock noch zu tief. Sie wollen ihren Namen nicht in der Zeitung lesen. Aus Angst, das könnte der springende Punkt sein, weswegen sie zu denen gehören, die gehen müssen. Und gehen müssen werden viele Fehrer-Leute.
„Gestern Abend saßen wir daheim und uns sind beiden die Tränen gekommen“, erzählt ein Paar. Beide bangen um ihren Job beim Automobilzulieferer. Dort haben sie sich kennen und lieben gelernt. Sie müssen ein Haus abbezahlen. „Aber womit?“
Eine Mutter sagt, sie wage es nicht, daran zu denken, was mit dem Ausbildungsplatz ihres Sohnes passiert. Schwer genug war es für ihn, einen zu bekommen. „Und jetzt?“
Fragen, die laut werden zwischen Rathaus und Kiliansbrunnen. Der Platz, auf dem am 16. Februar, knapp sechs Wochen vor Bekanntwerden der Hiobsbotschaft, 250 Menschen dem Aufruf der Gewerkschaft IG Metall gefolgt sind und gegen den Verlust ihrer Arbeitsplätze demonstriert haben. 250 Demonstranten, denen jetzt 500 gestrichene Stellen gegenüber stehen. „Viel zu wenig Demonstranten“, lautet der Tenor heute. „Da hätte es abgehen müssen, da hätte es noch Chancen gegeben,“ sagt eine Fehrer-Mitarbeiterin. Sie war da am 16. März, sie hat sich eingesetzt – sie war die einzige ihrer Abteilung. Auch sie möchte anonym bleiben. Wie ihre Zukunft aussieht, weiß sie nicht. „Und darüber will ich gerade auch nicht nachdenken.“ Sie hofft, dass doch noch was geht. Und setzt auf Stadt und OB Müller. „Man kann dem Unternehmen nicht das Herz entreißen, dann ist es nicht mehr lebensfähig“, hatte der bei der Demo noch in den Beifall gerufen. Doch der Herzfehler von Fehrer, der scheint irreparabel zu sein.
Die Fehrer-Krise
Januar 2005: Fehrer plant Abbau von 200 Arbeitsplätzen in Großlangheim. Begründung für Verlagerung von Produktionslinien nach Tschechien: schwächelnde Konjunktur.
Ende Februar 2005: Tarifverhandlungen beendet. Ergebnis: Kitzingen bleibt im Tarifvertrag. Das Werk Großlangheim wird als Sanierungsfall anerkannt, Gespräche über den Erhalt von möglichst vielen der gut 500 Arbeitsplätze sollen beginnen.
März 2005: 189 Beschäftigte in Großlangheim bekommen die Kündigung, für 301 Mitarbeiter gibt es eine Arbeitsplatzgarantie bis Ende 2008.
Oktober 2005: Die Schließung der Sparte Motorradsitze am Standort Wiesentheid ist abgewendet.
März 2009: Ein Sparpaket sieht tiefe Einschnitte vor: Das Werk Wiesentheid mit 45 Leuten soll geschlossen, in der Kitzinger Verwaltung 50 Stellen gestrichen und in Großlangheim 100 Leute weniger beschäftigt werden. Grund: ein Umsatzminus von 80 Millionen Euro.
Ende April 2009: Mit einem Sparpaket (samt Lohnverzicht) von 31 Millionen Euro wird ein Teil der geplanten 200 Entlassungen vermieden. Aber: 91 Arbeitsplätze in Großlangheim werden verlagert.
Juni 2009: Griff zum Rotstift: Fehrer will drei weitere Millionen Euro einsparen. Wieder Lohnverzicht.
Ende 2012: Die Fehrer-Spitze informiert über drohende Entlassungen: 200 Arbeitsplätze in Kitzingen und 120 in Leipzig stehen auf der Kippe.
26. März 2013: Fehrer verkündet den Abbau von 620 Arbeitsplätzen in Kitzingen (500) und Leipzig.