WÜ, ERH, N, HAS, SW... Nicht nur sonntags ist es rund um Castell gut an den Autokennzeichen zu sehen: Die „Silvanerresidenz” in herrlicher Natur lockt immer mehr Besucher aus dem Umland an. Das freut alle, die Essen, Trinken oder Übernachtungen anbieten. Aber es fordert sie und die Kommune auch heraus: Wie garantiert man eine nachhaltige Entwicklung, die für Einheimische und Gäste gleichermaßen attraktiv ist?
Welche Anforderungen müssen Infrastruktur und Gaststätten erfüllen? Und: Manifestiert sich der Trend zur Naherholung in den Dörfern überhaupt langfristig? Solche Fragen stellen sich derzeit viele schmucke Gemeinden in der Region. In Castell diskutierten darüber fünf Gastgeber, engagierte Bürger und der Bürgermeister, während sie die neue Ortsinfo-Broschüre vorstellten.
Um wie viel Prozent die Besucherzahl zugenommen hat, lässt sich aktuell nur schätzen. Aber dass sie sehr deutlich zugenommen hat, darüber sind sich in Castell alle einig. „Der Waldparkplatz und die Zufahrtsstraßen sind jedes Wochenende voll”, stellt Bürgermeister Christian Hähnlein fest. „Und das war auch schon im Winter so.” Castell und seine Ortsteile Greuth und Wüstenfelden haben viele „schöne Ecken und Strecken”, die Weitblicke ins Land ermöglichen und Naturfreunde, Wanderer und Radfahrer anlocken.
Peter Geil, Leiter der Fürstlich Castell?schen Domäne, nickt: „Castell hat großes Potenzial, die Lage am Steigerwaldrand ist super, die Anbindung über die Autobahn, deren Nähe man trotzdem kaum merkt. Wir haben tolle Wanderwege und eine abwechslungsreiche Landschaft...”
„...und wir haben noch etwas von ‘Geheimtipp? – im Vergleich zum Beispiel zu teilweise überlaufenen touristischen Hotspots an der Mainschleife“, ergänzt Brigitte Horak, die Vorsitzende des Heimatvereins Castell-Greuth-Wüstenfelden.
„Für ein Dorfladen-Café bräuchte es einen Pächter, der das g'scheit macht“
Christian Hähnlein, Bürgermeister
Teresa Öchsner, Allianzmanagerin und Umsetzungsbegleiterin der Kommunalen Allianz Dorfschätze, beschreibt die Entwicklung der vergangenen Jahre nicht nur für Castell so: „Der Naherholungstrend boomt. Corona hat ihn nochmals beflügelt. Ich denke nicht, dass sich das so schnell ändert.” Mit dem Dorfschätze-Express – dem Bus, der an den Wochenenden vom Iphöfer Bahnhof aus durch Rödelsee und die Dorfschätze-Gemeinden Wiesenbronn, Castell, Rüdenhausen, Abtswind, Wiesentheid und Prichsenstadt pendelt – komme man bequem herum und könne die Vorzüge jeder Gemeinde genießen. Man könne auf einer der „Traumrunden” wandern, Kultur genießen – und natürlich schön einkehren.
Dass vermehrt jüngere Besucher, auch Familien, kommen, hat Brigitte Horak beobachtet. Martin Schulze vom Restaurant „Weinstall“ gibt ihr Recht: „Das Publikum ist jünger geworden. Viele fragen auch, was sie außer dem Turm, dem Schlosspark, dem Kneippbecken oder der Museumsscheune noch anschauen und besuchen könnten.” Weitere Angebote für junge Familien hält Schulze für sinnvoll, „zum Beispiel könnten wir einen Barfußpfad anlegen.”
Dass das Areal zwischen Castellbank und Archiv, der so genannte „Schutz”, derzeit aufgewertet wird, sei für Familien sicher schon ein zusätzlicher Gewinn, meint Bürgermeister Hähnlein. Der renaturierte offene Bachlauf, Sitzgelegenheiten und Hängematten werden bald zum Verweilen einladen.
Mehr Besucher bedeuten in jedem Fall: mehr Müll. Die Gemeindearbeiter, die in Castell einmal pro Woche ihre Tour entlang der Hauptwege machen, melden Bürgermeister Hähnlein, „dass die Abfallmenge zugenommen hat” – neben Essensverpackungen und Alltagsmüll auch die Menge an Hundekotbeuteln, die zum Teil jedoch sicher auch von einheimischen Naturfreunden stammen. Brauchen Castell und seine Ortsteile Greuth und Wüstenfelden deshalb mehr Abfalleimer in der Flur? Brigitte Horak sieht das kritisch und Bürgermeister Christian Hähnlein meint, solange es keine Beschwerden oder echte Probleme mit wildem Müll gibt, werde man die Lage erst einmal beobachten. Dringender ist für ihn die Frage, wo die Besucher ihren fahrbaren Untersatz abstellen: „Wir müssen geeignete Parkflächen schaffen.“
Grundsätzlich freuen sich Gastronomen, Winzer und die Kommune natürlich über viele Besucher. Doch um diese zufriedenzustellen, brauche es „auf jeden Fall noch weitere Zimmer zum Übernachten”, so Bürgermeister Christian Hähnlein. Peter Geil sieht das ähnlich: „Das Übernachtungsangebot ist zu vergrößern. Man muss heute für viele Gäste auch einen gewissen Standard bieten.” Es sind zwar mehrere Ferienwohnungen vorhanden, aber ein Zimmer bekommt der Gast in Castell derzeit nur in den Gasthöfen Schwan und Grüner Baum.
Auch die Gastronomie-Angebote haben sich verändert. Die „Schwane” ist nur noch ein Hotel garni, in dem es kein Mittag- und Abendessen mehr gibt. Das Bistro „Kniebrecher” ist seit Jahren geschlossen und noch ist nicht klar, was genau mit der Kneipe an zentraler Stelle geschieht. Dafür hat die Kommune mit dem „Weingarten” eine innovative und beliebte Außengastronomie mit malerischem Blick ins Steigerwaldvorland geschaffen. Das schon fast historische Gasthaus „Grüner Baum” und das renommierte Restaurant „Weinstall”, das Wüstenfelder Landgasthaus „Zum Storch” und das Sachs-Genussatelier sprechen verschiedene Zielgruppen an.
Dennoch: Gerade montags und dienstags können müde Wanderer, die hungrig in Castell einlaufen, manchmal nur den Pizzaservice anrufen. „Ab Mittwoch haben wir momentan offen – und der Mittwoch ist ein ganz starker Tag für uns, schon mittags. Erst abends wird es weniger, weil die Leute nicht übernachten können und sich wieder auf den Heimweg machen”, berichtet „Weinstall”-Chef Martin Schulze.
Für Bürgermeister Hähnlein steht fest: „Während der Woche und nachmittags fehlt es an Einkehrmöglichkeiten.” Wunderbar fände er es, wenn man einen attraktiven Treffpunkt, eine Art Dorfladen-Café für Alt und Jung, Einheimische und Gäste etablieren könnte, in dem es Lebensmittel und heimische Produkte, aber auch Kaffee und Kuchen gäbe. „Die Gemeinde könnte sich da sicher einbringen, auch bei der Raumsuche. Aber es bräuchte einen Pächter, der das g?scheit macht. Und der meiner Meinung nach auch davon leben können müsste.” Generell gebe es in Castell einige interessante Gebäude, die leer stehen und für die sich sogar schon potenzielle Investoren, etwa aus Nürnberg oder Frankfurt, interessiert hätten. Sie hätten bestimmte Immobilien gerne renoviert und anschließend gastronomisch genutzt. „Aber die Gebäude gehören Privatleuten und sind nicht verfügbar.”
Was sind nun die nächsten konkreten Schritte, um den Tourismus nachhaltig zu fördern? Teresa Öchsner von den Dorfschätzen macht deutlich, dass das genau die Frage ist, die alle Gemeinden derzeit umtreibt. „Wir haben kürzlich Image-Clips gedreht, die nun jede Kommune für sich verwenden kann“, berichtet sie. Aktuell gehe es darum, ein Marketing- und Kommunikationskonzept in Auftrag zu geben – dazu findet am heutigen Dienstag eine nichtöffentliche Sitzung statt. Im Rahmen des Konzeptes sollen auch Handlungsempfehlungen für alle neun Dorfschätze-Gemeinden erarbeitet werden.
Grundsätzlich stellt sich die Frage, wie viel zukünftig in den Tourismus investiert wird, welche Marketing- und Personalkosten getragen werden können und wie man zusammenarbeiten will. Soll die Vermarktung unter der Marke Dorfschätze laufen? Soll es eine gemeinsame Gäste-/Touristinfo geben – und wenn ja, wo soll ihr Sitz sein, wer soll welche Aufgaben übernehmen?
Peter Geil formuliert es so: „Wir brauchen ein klares Bekenntnis der Gemeinde und aller Dienstleister, wohin der Weg gehen soll.” Er könne sich viele interessante Projekte vorstellen, die sowohl die Gemeinde selbst als auch den Tourismus nachhaltig voranbringen könnten. Eine gute Geldanlage sei derzeit gefragt wie nie, deshalb überlegt Geil: Vielleicht könnte man einen Tourismus-Fonds schaffen oder eine Unternehmergesellschaft (UG) gründen, ähnlich wie in Wiesenbronn, wo Bürger*innen am Dorfladen selbst Anteile kauften und so Teil an der Entwicklung des Dorfes haben? „Ich könnte mir auch ein kommunales Photovoltaikprojekt vorstellen.“
Eins ist sicher: Zur über 1200-jährigen Geschichte Castells gehörten schon viele spannende Zeiten. Die nahe Zukunft zählt sicher auch dazu.
INFO: Die neue Casteller Ortsbroschüre, in der sich die Gemeinde und ihre Gastgeber vorstellen, ist sowohl bei der Geschäftsstelle der „Dorfschätze“ im Wiesentheider Rathaus erhältlich als auch bei den örtlichen Gewerbetreibenden und im Casteller Rathaus.