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100 Jahre „Hölle von Verdun“

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100 Jahre „Hölle von Verdun“

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    Deutsche Soldaten im Schützengraben
    Deutsche Soldaten im Schützengraben Foto: Foto: Coll Memorial de Verdun

    Auch nach 100 Jahren ist die Landschaft gezeichnet. Die Narben, die sie trägt, haben die Form von Mulden und Kratern. Bis heute zeugen diese Hinterlassenschaften der Granaten und Geschosse, die mit unvorstellbarer Wucht einschlugen und die Erde umpflügten, von dem Grauen, das sich einst in und um Verdun abgespielt hat. So ist der Name des lothringischen Städtchens zum Inbegriff für eine der verlustreichsten Kämpfe des Ersten Weltkrieges geworden. Fast 300 000 Tote und 400 000 Verwundete, Deutsche wie Franzosen – das war die bittere Bilanz der Schlacht um Verdun. Am 21. Februar jährt sich ihr Beginn zum 100. Mal.

    Zwar hat sich die Natur nach der totalen Verwüstung ihr Reich zurückerobert: Gras ist über die wellige Hügellandschaft gewachsen, neue Bäume kamen aus der Erde. Doch die Erinnerung an die 300 Tage dauernde Schlacht bleibt allgegenwärtig in diesem Landstrich. Bunker, Massenfriedhöfe und Überreste ausgerotteter Dörfer prägen ihn. Noch immer liegen die Knochen von schätzungsweise 80 000 Getöteten unter der Erde, die man deshalb als „Heilige Erde“ bezeichnet.

    Mitten in der einstigen „Roten Zone“, dem Hauptkampfgebiet, steht die Gedenkstätte „Mémorial von Verdun“, die 1967 eingeweiht wurde und an diesem Sonntag nach mehr als zweijährigen Renovierungsarbeiten neu ihre Tore öffnet. Der nüchtern-klotzige Bau hat ein drittes Stockwerk und eine zusätzliche Fläche von 1900 Quadratmetern erhalten, die für Wechselausstellungen, Magazinbestände und ein Dokumentationszentrum genutzt werden kann. Finanziert wurde der Umbau mit Kosten von gut 12,5 Millionen Euro hauptsächlich durch öffentliche Mittel, aber auch mit Hilfe von Sponsoren.

    Vollständig erneuert wurde dabei auch der Besichtigungsrundgang, der die Schlacht und ihre Bedeutung in die Geschichte einordnet, dabei auf eindrucksvolle Art und Weise die „Hölle von Verdun“ begreifbar macht und als Hommage an die Kämpfer gedacht ist. „Ab den 50er Jahren wünschten sich die französischen Kriegsveteranen einen Ort im Zentrum des Schlachtfelds, um ihrer an der Front gefallenen Waffenbrüder zu gedenken“, erklärt „Memorial“-Direktor Thierry Hubscher die Entstehung der Gedenkstätte. Doch mit der Zeit kam es zu einer Annäherung mit der deutschen Seite: „Man spricht heute nicht mehr von französischen Kämpfern, sondern von den Kämpfern von Verdun, egal welcher Nationalität.

    “ Längst sei es eine deutsch-französische Erinnerungsstätte geworden, betont er.

    Nach dem Tod der letzten Zeitzeugen vor rund zehn Jahren sei es unabdingbar geworden, das Mémorial zu modernisieren und in ein „Präsentations- und Interpretationszentrum“ umzugestalten, um die Schlacht um Verdun den jüngeren Generationen zu vermitteln.

    Es handle sich aber nicht um ein Kriegsmuseum, sondern um eine Stätte der Erinnerung, sagt Édith Desrousseaux de Medrano, Kuratorin der Dauerausstellung. Das Unerklärbare darzustellen, sei keine leichte Aufgabe gewesen – gemäß den Worten des französischen Schriftstellers und früheren Frontsoldaten Maurice Genevoix, der nach dem Krieg schrieb: „Wir haben das Unbeschreibliche erlebt.“ Wesentlich sei es, so Desrousseaux de Medrano, für die Besucher das Leben und Erleben der Männer an der Front spürbar zu machen. In den heftigsten Phasen der Schlacht stieg ihre Zahl auf bis zu eine Million an.

    „Wir haben uns um eine ausgewogene Darstellung der französischen wie der deutschen Kämpfer bemüht“, sagt die Kuratorin. Diese waren „Weggefährten in der Misere“ und erlebten dasselbe Elend in den Schützengräben, dieselben Gefühle von Angst über Verzweiflung bis zur Hoffnung. „Inmitten der maßlosen und grauenhaften Bilder, die ich erlebe, ist dieser Gedanke der Rückkehr in die Heimat wie ein strahlendes Licht im Dunkel“, schrieb etwa der deutsche Maler Franz Marc am Morgen des 4. März 1916 an seine Frau. „Mach dir keine Sorgen, ich werde es überleben.“ Am Nachmittag desselben Tages war er tot.

    Rund 2000 Objekte, von Soldatenuniformen und -helmen über Alltags- und Kunstgegenstände bis hin zu Briefen und Archivfotos sind ausgestellt, die teils restauriert, teils neu erworben wurden. Interaktive Infosäulen erklären die Hintergründe, Video- und Tonaufnahmen von Augenzeugen heben die menschliche Dimension dieser gewaltigen Kämpfe hervor. Aber erklärt wird auch, warum sie in der kollektiven Erinnerung Frankreichs stets eine so herausragende Rolle gespielt haben. Warum sie nicht nur Spuren in der Landschaft hinterließen, sondern auch im Bewusstsein der Menschen – als Mythos und Symbol der Opferbereitschaft der Frontsoldaten und der Verteidigung des Vaterlandes gegen den deutschen Feind.

    Es war die letzte Schlacht in der Geschichte Frankreichs, die es allein mit eigenen Mitteln und ohne Unterstützung der Alliierten gewonnen hatte. Auch wurden mehr als drei Viertel aller französischen Soldaten zumindest zeitweise in Verdun eingesetzt. Zwar handelte es sich nicht um die mörderischsten Kämpfe des Ersten Weltkriegs – die Schlacht an der Somme forderte über eine Million Opfer, davon 443 000 Tote. Sie waren auch nicht kriegsentscheidend. Sie stärkten aber den nationalen Stolz, erklärt Architektin Genevieve Noirot, verantwortlich für die Szenographie der Dauerausstellung im Mémorial.

    „Verdun gab den Franzosen Vertrauen. Sie sagten sich: Wenn wir dieser enormen Offensive widerstehen können, dann können wir allem widerstehen.“ So wollten die französischen Kriegsführer die von 39 Forts (Festungen) umgebene Stadt keinesfalls verlieren, um die Moral der Soldaten aufrechtzuerhalten. Unter ihnen war, zunächst als Oberbefehlshaber der 2. Armee, General Philippe Pétain, der durch den Abwehrerfolg zu einem Nationalhelden avancierte, bevor er als Staatschef im Vichy-Frankreich während des Zweiten Weltkrieges mit den Nazis kollaborierte.

    Ziel der Obersten Heeresleitung der Deutschen wiederum war es, dem in den Schützengräben festgefahrenen Krieg neuen Schwung zu verleihen und den Franzosen eine entscheidende Niederlage zuzufügen. General von Falkenhayn, Oberbefehlshaber der deutschen Heeresleitung, entschied sich für den Angriff Verduns, da die Festung seit Ende September 1914 in einem Frontbogen lag und die von Westen und Süden kommenden Eisenbahnlinien unterbrochen waren, was die Versorgung einschränkte. Dass die Verteidigungsstellungen entwaffnet und Geschütze sowie Munitionsbestände an andere Teile der Front verlegt worden waren, ließ zudem einen Sieg leicht erscheinen. Dennoch verwandelte sich der von den Deutschen erwartete spektakuläre Erfolg in eine schreckliche Abnutzungsschlacht.

    Dabei kam der Angriff am 21. Februar 1916 mit beispielloser Wucht. Ab 7.15 Uhr ging ein heftiger Geschosshagel („Trommelfeuer“) auf Verdun und die umliegenden französischen Schützengräben nieder – eine Million Granaten wurden an diesem einen Tag verschossen. In der Folge stürmten die deutschen Truppen die verwüsteten Wälder, durchbrachen die französischen Verteidigungslinien und eroberten am 25. Februar das „Fort Douaumont“, das wichtigste Festungswerk zur Verteidigung Verduns im Nordosten.

    Pétain setzte daraufhin nach und die zur Verfügung stehenden Reservedivisionen ein. Diese Einheiten rückten über die Hauptverkehrsader des Schlachtfelds an die Front vor, die Landstraße zwischen dem Städtchen Bar-le-Duc und Verdun, die bald den Namen „Voie sacrée“, „Heilige Straße“, erhielt: 3500 Lastwagen, 2000 Autos und 800 Sanitätsfahrzeuge befuhren sie täglich. Von März bis Juni 1916 wurden jeden Monat 400 000 Männer und 500 000 Tonnen Material über diese Straße befördert.

    Trotz heftiger Bombardierungen und Sturmangriffe gelang es den Deutschen nicht, die französische Front aufzubrechen und die Stadt Verdun einzunehmen; ab Mai begann ein zäher Abnutzungskrieg. Im Oktober eroberten die Franzosen die Festungen Fort Douaumont und Fort Vaux zurück. Beendet wurde die Offensive am 18. Dezember 1916, auch wenn sich die Kämpfe um Verdun noch bis 1918 fortsetzten. Beide Kriegsparteien befanden sich fast wieder an denselben Positionen wie zu Beginn der Schlacht – was die Sinnlosigkeit der mörderischen Gemetzel unterstreicht.

    Neun französische Dörfer wurden komplett zerstört und nie wieder aufgebaut. Zu viele Gebeine und Geschosse liegen dort noch immer unter der Erde, haben sich mit ihr vermischt. Bis heute bestimmt der Präfekt allerdings jeweils einen Bürgermeister der ausgerotteten Ortschaften – Wähler gibt es ja keine mehr. Auf dem Gebiet der Gemeinde Fleury-devant-Douaumont zeigen Schilder an, wo einst das Rathaus stand, wo ein Bauernhof und wo die Wäscherei.

    Auch im Mémorial von Verdun spielt die Erde des von Granaten aufgewühlten Schlachtfeldes eine zentrale Rolle. Wie ein Leitmotiv zieht sie sich durch die Dauerausstellung, erscheint unter Glasplatten auf dem Boden entlang des Rundgangs, so dass der Besucher den Eindruck bekommt, in die Fußstapfen der Soldaten zu treten. Ein Bildschirmmosaik mit einer Fläche von fast 100 Quadratmetern erlaubt einen weiten Blick über das Schlachtfeld, das sich in einer kreisförmigen Installation vor dem Besucher öffnet. Das soll eine Vorstellung von der „Maßlosigkeit“ der brutalen Kämpfe geben, erklärt Szenografin Noirot. „Wir haben uns für diese Darstellungsform entschieden, weil es so gut wie unmöglich ist, es historisch getreu in seinen echten Dimensionen nachzubilden.“

    Offiziell wird das Mémorial von Bundeskanzlerin Angela Merkel und Präsident François Hollande am 29. Mai seiner Bestimmung übergeben. Erwartet wird eine symbolische Geste, die an jenen historischen Handschlag erinnert, den sich Helmut Kohl und François Mitterrand im September 1984 am Beinhaus von Douaumont bei Fleury-devant-Douaumont gegeben haben. Dort liegen die Knochen von 130 000 nicht identifizierten Gefallenen – deutschen und französischen Soldaten, die gegeneinander kämpften, die gemeinsam litten und starben, ohne zu wissen, dass ihre Länder 100 Jahre später befreundet sein würden.

    Die Schlacht um Verdun

    Die Stadt in Lothringen mit ihren 19 Festungen, 19 Infanteriewerken und einem großen Straßennetz war zwar von 1914 bis 1918 umkämpft. Berühmt wurde sie aber für die als „Hölle von Verdun“ bezeichnete Schlacht, bei der sich deutsche und französische Soldaten zehn Monate lang in einem erbitterten Stellungskrieg bekämpften.

    Da Deutschland eine groß angelegte Offensive der alliierten Streitkräfte befürchtete und informiert war über den schlechten Zustand der französischen Verteidigungsstellungen, erwartete man sich in Verdun einen schnellen Sieg, der die Weltöffentlichkeit beeindrucken sollte. Am 21. Februar 1916 startete die Großoffensive. Es war der Auftakt zu einer vernichtenden Schlacht, bei der rund 60 Millionen Granaten zum Einsatz kamen. Insgesamt gab es über 300 000 Tote und 400 000 Verletzte auf beiden Seiten. Zwar konnten die Deutschen vier Monate lang in Richtung Verdun vorrücken, aber der Widerstand der Franzosen zwang die Angreifer in einen Zermürbungskrieg, der auf beiden Seiten gleich hohe Verluste verursachte. Der deutsche Plan scheiterte. bho

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