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ZELL: Auf philologischer Reise übers Aralmeer

ZELL

Auf philologischer Reise übers Aralmeer

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    Passionierter Philologe, Russland-Liebhaber und Privatgelehrter: Max-Rainer Uhrig.
    Passionierter Philologe, Russland-Liebhaber und Privatgelehrter: Max-Rainer Uhrig. Foto: FOTO NATTER

    Knapp zwei Monate war Leutnant Aleksej Ivanoviè Butakov im Sommer 1848 auf See. Ein Jahr später lief der russische Marineoffizier mit seinem Schoner „Konstantin“ noch einmal aus, dieses Mal für fünf Monate. Sein Auftrag: in Turkestan den Aralsee zu erforschen. Kein anderes europäisches Schiff hatte das viertgrößte Binnengewässer der Welt zuvor befahren. Keine Expedition zuvor hatte den See, seine Ufer, seine Mündungsdeltas erkundet.

    Der gelehrte Kapitän führte von Tag zu Tag Aufzeichnungen und gab nach seinen Erschließungsfahrten die erste exakte Karte des riesigen Sees heraus. Alexander von Humboldt muss von der Güte des Werks so angetan gewesen sein, dass er Butakov als Ehrenmitglied in die Berliner Geographische Gesellschaft aufnehmen ließ. Die Karte wurde berühmt, Butakovs Bordtagebuch dagegen blieb unausgewertet und unbeachtet für nahezu 100 Jahre. Bis 1953 im fernen Taškent die erste Druckausgabe in russischer Sprache erschien.

    Taškent. Turkestan. Der Aralskoje inmitten einer riesigen Steppenlandschaft. Musik in den Ohren von Max-Rainer Uhrig. Für den 64-Jährigen aus Zell bei Schweinfurt – pensionierter Gymnasiallehrer, promovierter Philologe, Slawist und Historiker, Rückert-Forscher und Privatgelehrter – sind Russlands ferne Welten eine Leidenschaft. „Mich hat immer das Fremdartige, das im Winkel befindliche gereizt.“ Als Uhrig Mitte der 80er Jahre bei einer Reise durch die Ukraine in der kleinen Stadt Kanev im Museum des Nationaldichters Taras Ševèenko auf eine Vitrine stieß, in der die russische Ausgabe des Expeditions-Tagebuchs ausgelegt war – da war er „wie elektrisiert“. Was hatte die Erforschung eines mittelasiatischen Gewässers mit dem Dichter zu tun? Was hatte der Kapitän über den Aralsee geschrieben? Sein spontaner Wunsch: „Das zu übersetzen“.

    Uhrig wollte auch deutsche Leser in eine Zeit zurückführen, „als der Aralsee noch ein wunderbares blaues Binnenmeer war, mit einer vielfältigen Tier- und Pflanzenwelt, die heute durch menschliche Torheit vernichtet ist“. Er wollte das Tagebuch endlich auch im Westen bekannt machen, wollte vermitteln. Denn, dachte er: „Wenn ich es nicht mache, macht es keiner.“

    Über 80 Prozent seines Volumens hat das Aralmeer verloren, von den einst 67 000 Quadratmetern Wasserfläche sind nur noch drei klägliche Restseen erhalten. Das Wasser ist salzig-brackig, Fische und Vögel sind verendet. Die Menschen an den öden Ufern des ausgetrockneten Seebeckens leiden unter giftgeschwängerten Staubstürmen, sagt Uhrig.

    Wie reich müssen Flora und Fauna gewesen sein, als Leutnant Butakov vor 160 Jahren auf Erkundungsfahrt ging? Wie eindrucksvoll die Landschaft mit ihren Steilküsten, Sanddünen, Inseln und gefährlichen Riffen? Der 32 Jahre junge, auf den Weltmeeren herumgekommene Marineoffizier hatte den Auftrag, mit seiner Mannschaft nicht nur die Ufer und unbekannten Gewässer kartographisch zu erfassen, sondern den Aralsee auch geologisch, botanisch, zoologisch zu untersuchen.

    Doch was war mit Taras Ševèenko, dem Dichter, der zugleich hochbegabter Maler war? Welche Verbindungen gab es zwischen ihm und der Expedition? Der Zar hatte Ševèenko wegen anprangernder Schriften nach Turkestan verbannen lassen und mit Schreibverbot belegt. Doch Butakov holte ihn an Bord und ließ ihn Gemälde und Zeichnungen fertigen.

    Die Idee die Tagebuchnotizen zu übersetzen – sie ließ den Slavisten und Philologen Max-Rainer Uhrig seit dem Besuch im Ševèenko-Museum nicht mehr los. Mitte der 90er Jahre gelang es ihm mit Hilfe einer russlanddeutschen Schülerin von der Moskauer Staatsbibliothek eine Kopie des Buches zu erhalten. Im Ruhestand dann machte er sich an die Übersetzung.

    Ein mühsames Geschäft: „Die Sprache Butakovs ist fast durchweg von einem verschachtelten Satzbau geprägt, wie man ihn in einem Tagebuch gerade nicht erwarten würde“, sagt der Philologe. Uhrig musste schwierige Partizipialkonstruktionen auflösen und durch deutsche Nebensätze ersetzen. Und dann waren da die Fachbegriffe der Seemannssprache und die turk-tartarischen Eigennamen für Inseln, Vorgebirge, Anhöhen, Landzungen und Tier- und Pflanzenarten . . . Nach zeitraubender philologischer Kleinarbeit ist die Vermittlungsarbeit nun abgeschlossen, das Buch gedruckt. Und der lange vergessene Forscher, der nach der ersten Expedition auf dem riesigen See eine Dampfschiff-Flotille aufbaute, „ist wieder zum Leben erweckt“.

    Aleksej Ivanoviè Butakov: Tagebuch der Aralsee-Expedition 1848/49. Übersetzt und herausgegeben von Max-Rainer Uhrig. Erhältlich für 16,90 € im Buchhandel (ISBN 978-3-00-025187-0) oder direkt beim Verfasser (Tel. 09 72 0- 15 50).

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