Die Heinkel stürzt auf die Erde zu. Mit Fliegen hat das nichts mehr zu tun – mit Abstürzen schon eher. Hans-Werner Fuchs stößt die flache Hand mit den Fingern nach unten in Richtung Boden. „Es ging steil nach unten. Ich kriegte das Flugzeug nicht mehr gerade.“ 50 Meter über dem Boden kann der junge Pilot – mit tatkräftiger Unterstützunge seines Bordmechanikers – die zweimotorige He 111 dann doch abfangen. Die Fliehkräfte, die dabei auftreten, reißen das Kabinendach ab. Es knallt gegen das Leitwerk. Fuchs kriegt den Bomber trotzdem irgendwie auf die Landebahn. Sein Vorgesetzter verdonnert ihn zu drei Tagen Flugverbot.
Eigentlich hätte Flugschüler Fuchs nur Steilkurven üben sollen. „Aber irgendwie wollte ich dem Ausbilder wohl zeigen, was ich kann und hab's übertrieben“, erinnert sich Hans-Werner Fuchs.
Fuchs, geboren 1923 in Würzburg, aufgewachsen in Berlin, lernte das Fliegen im Krieg, wie so viele Männer seiner Generation. An sich hatte der junge Mann sich zur Luftwaffe gemeldet, um Funker zu werden. Aber er schnitt bei den Auswahltests für Piloten gut ab. Und so wurde er 1943 erstmals auf dem Holm eines SG-38-Schulgleiters festgeschnallt, per Seilwinde in die Luft gezerrt – ohne Fluglehrer, wie seinerzeit üblich – und flog. Später drehte er Runden in einem Grunau Baby, heute ein Klassiker unter den Segelflugzeug-Oldtimern. Dann kam der Motorflug. „38 Starts mit Lehrer“, erinnert sich Fuchs. Dann kam der erste Alleinflug. Fuchs flog auf Doppeldecker-Legenden wie der Focke-Wulf Stieglitz – man kennt sie aus dem Film „Quax, der Bruchpilot“ – und der Bücker Jungmann, steuerte die zweimotorige Junkers Ju 86 und die dreimotorige Ju 52. Im Spätherbst 1944 saß der Unteroffizier auf dem Copiloten-Sitz einer Focke-Wulf Condor, einer viermotorigen Maschine mit der Spannweite einer Boeing 727.
In nur gut einem Jahr war aus dem Fußgänger Fuchs der Pilot einer Viermotorigen geworden. Die Militärmaschinerie musste möglichst viele Piloten in möglichst kurzer Zeit für den Kampfeinsatz ausbilden. Die schwer zu beherrschenden Flugzeuge überforderten manchen der unerfahrenen Piloten. Verluste schon bei der Ausbildung waren einkalkuliert. „Wer nicht fliegt, lebt länger“, notierte Fuchs in sein Tagebuch und denkt noch heute an Unfälle zurück: „Was da Leute abgeschmiert sind! Einer ist auch mal gegen einen Telegrafenmast geflogen.“ Für Fuchs selbst („Angst hatte ich nie“) hing das Leben in der abstürzenden Heinkel am seidenen Faden. Sein Schutzengel muss Überstunden gemacht haben in jenen Tagen. Er überstand auch die Bombardierung seiner Unterkunft. Fuchs: „Ich habe den Krieg unbeschadet überlebt. Ich hatte viel Glück. Wo ich hinkam, war gerade nichts.“ Er musste keinen einzigen Fronteinsatz fliegen.
Am liebsten steuerte Hans-Werner Fuchs die kleinen Maschinen. Die viermotorige Focke-Wulf FW 200 Condor, auf der er als Copilot flog, fand er weniger reizvoll: „Da wurde ja vor allem nach Instrumenten geflogen.“ Trotzdem mochte er den eleganten Ganzmetall-Tiefdecker. Fuchs lobt die Zuverlässigkeit der Maschine mit den BMW-Sternmotoren, von denen jeder aus neun Zylindern 1000 PS auf die Propellerwelle wuchtete. „Sie war sicher und leicht zu fliegen und man konnte 15 Stunden in der Luft bleiben.“
Eigenschaften, die die fast 400 km/h schnelle Condor zum Meilenstein der Luftfahrtgeschichte machen. Das Flugzeug war bei Focke-Wulf an sich als ziviles Flugzeug für die Lufthansa entwickelt worden. Es bot Raum für 25 Passagiere und vier Besatzungsmitglieder. Der Erstflug war, laut einer Werks-Broschüre, vor 70 Jahren, am 6. September 1937. Knapp ein Jahr später, am 10. August 1938, bewies das Konzept seine Leistungsfähigkeit mit einem Rekord-Nonstop-Flug von Berlin nach New York. Nur elf Jahre nach Charles Lindberghs Atlantik-Überquerung hatte der Condor-Flug nahezu nichts Spektakuläres mehr an sich. Der Luftverkehr wurde in den 1930er Jahren, auch auf Langstrecken, mehr und mehr zur sicheren Routine. Die Condor markierte das Ende der Ära der mutigen Helden der Lüfte und den Beginn der modernen Luftfahrt.
Traum vom Fliegen
Dann setzte Hitler die Welt in Brand. Der Krieg missbrauchte auch die für militärische Zwecke nur bedingt geeignete Maschine. Focke-Wulf lieferte Militärversionen. Die Condor wurde vorwiegend als Aufklärer eingesetzt. Von 273 gebauten Maschinen blieb keine einzige erhalten – ein Wrack schlummerte über ein halbes Jahrhundert auf dem Grund eines norwegischen Fjords. Es wurde 1999 in einer spektakulären Aktion geborgen und soll restauriert werden (siehe Artikel rechts).
Im Wohnzimmer seines Bad Kissinger Hauses kramt Condor-Pilot Fuchs das alte Flugbuch heraus. Seinen letzten Start hatte der Bad Kissinger am 30. März 1945. Nicht auf der schönen Viermotorigen, sondern als Schlepp-Pilot für einen Lastensegler. Seitdem hat Hans-Werner Fuchs nie mehr ein Flugzeug gesteuert. Nach dem Krieg – er hatte sich in den letzten Tagen mehr oder weniger selbst aus der Wehrmacht entlassen – begann er ein Medizinstudium, arbeitete zwei Jahre an einer Klinik in den USA. 1958 kam er als Arzt nach Bad Kissingen. „Ich hatte einfach zu wenig Zeit für die Fliegerei“, erzählt der Vater von vier Kindern. Geträumt hat der Dr. med. er aber schon ab und an vom unbeschwerten Fliegen in Friedenszeiten – am liebsten in einem Motorsegler.