Im Namen von Satan, dem Herrscher der Erde, dem König der Welt! Trete hervor aus dem Abyss und gewähre uns die Segnungen der Hölle!“
Das sei der Anfang eines „mächtigen“ Rituals zur Anrufung Satans, behauptet „Dark Angel“ in einem Internet-Forum. Die Anrufungsformel zieht sich über mehrere Bildschirmseiten und fordert massenweise Zungenbrecherisches vom Beschwörer: „einIlasa micalazoda olapireta ialpereji.“ Es scheint nicht einfach, den Herrscher der Hölle auf die Erde zu holen . . .
Wer nicht Satan selbst, sondern nur einen seiner Jünger sprechen will, hat's etwas leichter. Er googelt „Satanismus“ und erhält – allein in deutscher Sprache – 179 000 Treffer, darunter Homepages diverser Satanisten-Zirkel. Dann kann, wer will, per E-Mail Kontakt aufnehmen. Und sich vielleicht sogar mit einem Satanisten verabreden. Was auch nicht ganz einfach sein soll. Die Damen und Herren reden nicht gern mit Außenstehenden über ihre Weltanschauung.
Die Würzburgerin Dagmar Fügmann traf einen der mutmaßlichen Höllenjünger – auf einem ganz profanen bundesdeutschen Bahnhof. Es erschien kein diabolisch wirkender Mephistopheles, kein Teufelsanbeter in schwarzer Robe und mit düsterem Blick. „Da kam mir einer in blauen Jeans entgegen und aß eine Leberkäs-Semmel“, erzählt Dagmar Fügmann grinsend.
Dagmar Fügmann ist Religionswissenschaftlerin. Sie hat hinter die Kulissen des Satanismus geblickt. Kontakt zur Szene suchte sie aus beruflichen Gründen. Sowohl die Magister- als auch die Doktorarbeit der heute 38-Jährigen kreisen um das Thema. „Als Wissenschaftlerin ging es mir nicht darum, zu bewerten, sondern um das Beschreiben eines Phänomens“, erklärt sie. Und doch: Irgendwo, gibt sie zu, saß vor dem ersten Treffen mit einem Satanisten ein Vorurteil in ihrem Kopf. Wenigstens schwarze Kleidung hätte sie erwartet . . .
Auch andere Vorurteile lösten sich im Lauf der Arbeit in Luft – und nicht etwa in Feuer und Schwefel – auf. „Satanisten treffen sich nachts auf Friedhöfen, trinken Blut, feiern ekstatische Schwarze Messen und beten das Böse an: So wird das Bild des Satanismus in den Medien und in massenwirksamen Filmen transportiert“, sagt die Religionswissenschaftlerin. Nach mehr als 200 Stunden Telefonaten mit Menschen aus der Satanisten-Szene, nach unzähligen E-Mails und Teilnahmen an Treffen weiß sie mehr über die Strukturen der Szene.
Satanisten, so resümiert sie die 447 Seiten ihrer mit der Bestnote „opus eximium“ benoteten Doktorarbeit, sind Menschen, die viel Wert auf Bildung und gute Umgangsformen legen. Die meisten haben einen Hochschulabschluss, kreuzen auf ihrer Steuererklärung das Kästchen „selbstständig“ an und sind zwischen 20 und Ende 40. Satanismus sei „nur unter bestimmten Definitionsansätzen“ eine Religion, die Szene ist in Gruppen mit unterschiedlichen Auffassungen zersplittert. Phänomene des Jugend-Satanismus' war nicht das Thema Fügmanns. Jugend-Satanismus gehorcht zum Teil anderen Regeln, hat andere Ursachen.
„Satanisten sind Individualisten, im Extremfall Narzissten.“ Das sei der Kern, das vereine die Gruppierungen: Es geht um die Freiheit des Einzelnen, es geht darum, dass jeder sein eigener Gott sein kann. Jeder bestimmt seine Wertvorstellungen selbst. „Das ist in unserem Kulturkreis natürlich auch eine Gegenbewegung zum Christentum“, erklärt Fügmann. Dem Christentum unterstellen die Satanisten Leibfeindlichkeit. Sie sehen in den Regeln der Religion Unterdrückungsmechanismen. Vor allem die Natur des Menschen, etwa seine Triebe, würden unterdrückt. Der Satanist ist sich seiner Triebe, seiner Ratio und seiner Sexualität bewusst. Er sieht den Menschen als Tier – sogar als das schlimmste aller Tiere, weil nur diese Gattung sich selbst vernichten kann – und die ganze Welt mit.
Wenn Satanisten auch keine allgemein gültigen Wertesysteme anerkennen, „heißt das nicht, dass sie sich nicht an allgemein gültige Werte halten“, so die Wissenschaftlerin. Satanisten beachten die Regeln, die in der Gesellschaft gelten, in der sie leben, sie respektieren die Freiheit des anderen, sie versuchen, in ihrem Denken und Handeln das rechte Maß zu finden. „Sie legen sehr viel Wert auf die Vernunft und auf die Konzeption des Menschen als naturhaftes Wesen. Dummheit ist für viele die größte Sünde“, so die wissenschaftliche Mitarbeiterin der Würzburger Franz-Brentano-Forschungsstelle an der Uni Würzburg.
„Sehr interessante Personen“ habe sie bei ihren Recherchen kennengelernt, sagt sie. Was sie von der Weltanschauung der Satanisten erzählt, klingt gar nicht unvernünftig. Dennoch: Als Dagmar Fügmann zum ersten Mal zu einem Satanisten-Treffen ging – der Begriff „Messe“ passt für die meisten Gruppierungen in Deutschland nicht – wurde ihr doch mulmig.
Irgendwo im ersten Stock eines Hauses wird sie in einen fensterlosen Raum geführt. Dann erlöschen die Neonröhren. Im Zimmer wird es dunkel. Und Dagmar Fügmann wird „von einer völlig irrationalen Angst“ befallen. „Ich wusste nicht, wieso. Ich wollte mich beruhigen. Sagte mir, dass ich das Skript zum Ritual kenne, dass ich also weiß, was geschehen wird.“ Da hilft nur: „Durchatmen und sitzenbleiben.“ Als dann die am Fußboden angeordneten Kerzen entzündet werden, entspannt sich die Wissenschaftlerin. Dann kommt der Weihrauch. Dagmar Fügmann lacht: „Schlimm für mich: Auf mich wirkt Weihrauch wie auf andere Leute fünf Bier.“
Die Rituale beschreibt die Würzburgerin als eher unspektakulär. Bei der „Church of Satan“ etwa würden Psychodramen gespielt „wie bei der Psychotherapie“. Bei diesem Therapieverfahren werden Vorstellungen, Fantasien oder Ängste in einer Art Schauspiel aufgearbeitet. Sie habe erlebt, wie Wut aufgearbeitet wurde, indem ein anderer symbolisch vernichtet wurde. „Umgedrehte Kreuze hab' ich nirgends gesehen.“
Auch der Teufel wird häufig symbolisch aufgefasst. Satanisten haben laut Fügmann nicht die Vorstellung, er existiere wie eine reale Person. Er greift nicht in die Welt ein. Ein Jenseits gibt es nicht, eine Hölle also auch nicht. Es gibt nur die Welt, in der wir leben. „Der Satan wird als Widerpart angesehen, als Inbegriff des Widersachers und Rebellen“, erklärt Dagmar Fügmann. An diesem Geist des Widerspruchs richtet sich der Satanist aus. Satan, der auch Belial, Leviathan oder Seth heißen kann, ist ein Symbol für die Natur des Menschen. Angebetet wird er nicht – jedenfalls ist Dagmar Fügmann bei ihren Recherchen keinem Teufelsanbeter begegnet. Und die schwierige Beschwörungsformel von „Dark Angel“ ist auch nicht die Sache eines Satanisten.
In den USA ist die „Church of Satan“ als Kirche offiziell anerkannt. In Deutschland treffen sich die Satanisten eher heimlich. „Die wissen, in welche Schublade sie gesteckt werden, wenn herauskommt, was sie denken“, sagt die Würzburger Forscherin. Wer selbstständiger Geschäftsmann ist oder an einem Krankenhaus arbeitet, kann sich kein Satanisten-Image leisten.
Auch wenn sie nicht werten will: Über den Sozialdarwinismus, der für manche Satanisten, die sie kennenlernte, prägend sei, rümpft die Religionswissenschaftlerin aber doch die Nase. Bei dieser Ideologie wird Charles Darwins Evolutionstheorie auf menschliche Gesellschaften übertragen. Der Sozialdarwinismus dient als Rechtfertigung für Ungleichheiten. Er war ein Rückgrat des Nationalsozialismus' und ist heute bei Rechtsradikalen beliebt, wobei viele Satanisten sich politisch eher links einordnen. Nach Satanisten-Meinung sind nicht alle Menschen gleich, wie das im Grundgesetz steht. „Es gibt sogar welche, die das Wahlrecht für alle nicht nachvollziehen können. Grundsätzlich soll aber jeder Mensch gleiche Chancen haben“, sagt Fügmann.
In Deutschland ist die Satanisten-Szene überschaubar. Zu überregionalen Treffen kommen nach Dagmar Fügmanns Erfahrungen „fünf bis 20 Menschen“. In Würzburg kennt sie keine Satanisten. Der nächste sitze in Nürnberg.