I m Wahlkampf wird geholzt und verunglimpft, geschmeichelt und versprochen: Schröder und Merkel, Stoiber und Fischer, Westerwelle und Gysi führen dieses Schauspiel derzeit mit aller Inbrunst und Raffinesse auf. Die Inszenierung ist neu, doch im Kern geht es um Jahrzehnte alte Konflikte mit Begriffen wie links oder rechts, rot oder schwarz, fortschrittlich oder konservativ.
Ein beliebtes Wahlkampf-Thema ist die Schule - seit über 200 Jahren stehen sich die Lager in Sachen Erziehung und Bildung grimmig gegenüber. Jüngst hat die Pisa-Studie den Streit um "Gesamtschule" oder "gegliedertes Schulsystem" erneut entfacht, der seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs tobt. Bayern und andere konservativ regierte Bundesländer widersetzten sich 1947 der von der amerikanischen Militärregierung geforderten Gesamtschule, in sozialdemokratisch regierten Bundesländern hingegen wurde sie als "Beitrag zur Chancengleichheit" freudig umgesetzt.
"Seitdem die SPD regiert, gipt es di Gesammtschule", höhnt ein CDU-Plakat zur Landtagswahl 1980 in Nordrhein-Westfalen. Zum Scheren- schnitt-Bild eines Schülers, der vom Rohrstock-schwingenden Lehrer am Haarschopf gepackt wird, giftet 1984 die SPD per Plakat zurück: "Nur in Baden-Württemberg werden die Kinder vom Schwarzen Mann bedroht." Mit Ironie versuchte es die FDP bei der Landtagswahl im Mai 2005 in Nordrhein-Westfalen: "Jedes Kind individuell fördern. Nein zur Einheitsschule", heißt es zu einer halb geöffneten Konservendose, vollgestopft mit Ölsardinen.
Durch die modernen Kommunikationsmittel haben Wahlplakate als Mittel der politischen Auseinandersetzung an Bedeutung verloren. Nach dem Zweiten Weltkrieg war das anders - Wahlspots der Parteien im Fernsehen waren noch undenkbar, Zeitungen existierten kaum.
In den 50er Jahren wurde mit Plakaten und Handzetteln in einem "Glaubenskrieg" gekämpft, der aus heutiger Sicht abwegig anmutet: Sollen katholische und evangelische Kinder getrennt in "Bekenntnisschulen" gehen, oder soll man sie in so genannten "Simultanschulen" zusammen unterrichten? Seit der Pädagoge Diesterweg 1790 die Idee einer überkonfessionellen Schule verkündet hatte, stemmten sich konservative und klerikale Kräfte ebenso grimmig entschlossen dagegen. "So ein liberales Schulmeisterlein ist mitunter gar ungeheuer naseweis und frech und glaubt, weiß der Himmel welch großer Gelehrter zu sein, wenn er vor den Schulkindern das kirchliche Dogma für Dummheit erklärt oder gar die Bibel korrigiert", hieß es in einem Zeitungsartikel.
Doch die Auswüchse der Trennung von katholischen und evangelischen Kindern spielten den liberalen Kräften in die Hände: Denn viele Orte brauchten zwei Schulen, selbst wenn es nur wenige Kinder der zweiten Konfession gab. Im Bezirk Osnabrück existierte gar ein Heftladen für katholische und ein Laden für protestanische Kinder. "Nächstens werden wohl noch konfessionelle Bleistifte, Tinte und Federn folgen", merkte die liberale "Lehrerzeitung" 1893 hämisch an.
Ja sogar vor Toiletten machte die Trennung nicht halt, es gab "konfessionelle WCs" für Knaben und Mädchen. "Nur so sind offenbar die Belange der katholischen Kirche auch in der Bedürfnisanstalt gewahrt", höhnte die Lohrer Zeitung 1937, als die Nazis versuchten, auch mit Hilfe der "Deutschen Einheitsschule" ihre Ideologie unters Volk zu bringen.
Kaum jedoch war das "Tausendjährige Reich" zu Ende, ging der Streit um die konfessionelle Trennung der Schulkinder in die nächste Runde. "Eltern! Sichert uns die Bekenntnisschule. Wählt CDU", heißt es zur Landtagswahl 1952 in Nordrhein-Westfalen, während zwei Jahre später die SPD in Hessen einen Buben an die Tafel schreiben lässt: "Die Schule ist zum Lernen da. Trennt uns nicht nach Konfession."
Diesen Konflikt hat Eduard Stenger am eigenen Leib erfahren - der heutige Leiter des Lohrer Schulmuseums, wo zur Zeit eine Sonderausstellung mit Wahlplakaten rund um das Thema Schule zu sehen ist, war seinerzeit in Halsbach zur Schule gegangen. "Uns wurde noch beigebracht, dass evangelische Kinder keine Christen sind, sondern dem Teufel verschrieben - und dass wir sie am besten meiden sollen." Stenger ist heilfroh, dass diese Zeiten vorbei sind - und hadert ein wenig mit Kanzler Schröder. "Die vorgezogene Wahl hat mich ganz schön ins Schwitzen gebracht. Es war gar nicht so einfach, Plakate, Flugblätter und Broschüren auf die Schnelle zu bekommen. Aber nur mit Aktualität erzielen wir Aufmerksamkeit." In dem Punkt geht es Stenger nicht besser als Schröder, Merkel und den anderen Wahlkämpfern . . .
Die Sonderausstellung "Schul-Wahl-
kämpfe 1945 - 2005" im Lohrer
Schulmuseum ist bis 16. Oktober
zu sehen. Öffnungszeiten Mittwoch
bis Sonntag von 14 bis 16 Uhr; nach
Absprache, Tel. (0 93 52) 49 60, kön-
nen Gruppen auch außerhalb der
Öffnungszeiten geführt werden.
Web: www.lohr.de/schulmuseum