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Warum der Spessart ein Wald voller Märchen ist

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Warum der Spessart ein Wald voller Märchen ist

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    Schloss Mespelbrunn.
    Schloss Mespelbrunn.

    Knorrige Eichen, düstere Wege, wilde Wildschweine, fürstliche Jagd, böse Räuber, mutige Wilderer, einsame Wirtshäuser, viel Not und Armut, idyllische Abgeschiedenheit: Wie kaum ein Wald ist der Spessart mit Klischees beladen. Vor allem die Romantiker haben vor 200 Jahren in ihren Werken den Spessart zum Urbild eines Waldes stilisiert, zum Sinnbild für eine Gegenwelt jenseits der heimischen Haustüre. Der deutsche Wald und mit ihm der Spessart hat eine lange Geschichte.

    Unwirtlich, schrecklich seien die germanischen Wälder, schrieb der römische Historiker Tacitus vor fast zwei Jahrtausenden. Die Beschreibung ruft die Vorstellung einer Wildnis hervor. Der Wald als Gegenteil von Zivilisation, von Menschenhand unberührt, Natur pur. Stimmt nicht, sagen Waldforscher. Bereits vor zwei Jahrtausenden war der Wald kein Urwald mehr. Er wurde gerodet, um Siedlungsplatz zu schaffen. Die unwirtlichen germanischen Wälder waren Teil einer von Menschen geprägten Kulturlandschaft, Nutzwald. Wie sehr den Germanen ihr Wald, in dem ihre Götter wohnten und sich ihre heilige Haine befanden, von Nutzen war, ist in die Geschichte eingegangen. Im Jahr 9 erhielten die Römer laut Tacitus im Teutoburger Wald ihre größte Niederlage. Sie wurden von einem Germanen, dem Cheruskerfürsten Arminius, in den Wald gelockt. In einem Engpass, vermutlich in Kalkriese bei Osnabrück, verlor der römische Statthalter Quinctilius Varus drei Legionen. Feldherr Cäsar war rund 60 Jahre vor Varus schlauer. Er hat sich nicht hinein gewagt und die vor ihm fliehenden germanischen Sweben ziehen lassen.

    Der Wald als Ort des Schreckens oder des Schutzes. Das blieb in den Köpfen hängen. Nach der Varus-Schlacht zogen sich die Römer östlich des Rheins zurück. Mythen entstanden. Arminius alias Hermann avancierte ab dem 16. Jahrhundert zum Befreier Germaniens. Es heißt noch heute, dass die Deutschen ein spezielles Verhältnis zu ihrem Wald haben. Sie besingen ihn in Liedern, würdigen ihn in Gedichten, erschaudern über ihn in Sagen und Märchen, bewundern seine Schönheit in gemalten und laufenden Bildern. Der Spessart macht da keine Ausnahme.

    Im Nibelungenlied heißt er Spechteshart beziehungsweise Spehtsarte – benannt nach dem Specht, der zu seinem Symboltier wurde. Zudem ist der Spessart ein Wald, „allwo die Wölffe einander gute Nacht geben“, steht bei Hans Jacob Christoph von Grimmelshausen geschrieben. 1669 ließ er dort seinen Simplicissimus Teutsch auf die Welt kommen. Bei den Brüdern Grimm wird der Wald märchenhaft: Im Spessart soll nicht nur Schneewittchen zu Hause gewesen sein, die Spessarter beheimaten auch Hänsel und Gretel und Frau Holle gerne in ihrem Wald.

    Was alle Wälder in alten Erzählungen gemeinsam haben: Sie gelten als unsicheres Terrain, als düster, unheimlich, bedrohlich. Ein Ort, der dunkle Gestalten anzog, die dort ihr Unwesen trieben. Ein Ort, in dem Geister, Kobolde und wilde Tiere lebten. Mit der Romantik kam neben dem bedrohlichen ein weiterer Aspekt hinzu: die Verklärung. Der Wald als ursprünglicher, natürlicher, beseelter Ort der Sehnsucht, ein Ort mit Rückzugsmöglichkeiten vor einer zunehmend technisierten Welt aufgrund der Industrialisierung, ein Ort zum Durchatmen – wenn da nicht die Unholde gewesen wären.

    Der Spessart wartet mit den wohl berühmtesten Waldräubern auf. „Vor vielen Jahren, als im Spessart die Wege noch schlecht und nicht so häufig als jetzt befahren waren, zogen zwei junge Burschen durch den Wald . . . Felix, der Goldarbeiter, sah sich oft ängstlich um. Wenn der Wind durch die Bäume rauschte, so war es ihm, als höre er Tritte hinter sich. Wenn das Gesträuch am Wege hin und her wankte, sich teilte, glaubte er Gesichter hinter den Büschen lauern zu sehen.“ So beginnt die Erzählung „Das Wirtshaus im Spessart“ des Schriftstellers Wilhelm Hauff (1802 – 27), die ein Jahr nach dessen Tod veröffentlicht wurde. 130 Jahre später löste seine Spessarträuber-Geschichte nicht Angst und Bang aus, sie eroberte die Herzen unbescholtener Fernsehzuschauer. Frei nach Hauffs Erzählung entstand 1958 der gleichnamige Film mit Liselotte Pulver als Comtesse und Carlos Thompson als Räuberhauptmann in den Hauptrollen.

    Die Spessarträuber scheinen nach Hauff und im Film sympathische Gesellen zu sein. Das wahre Räuberleben sah jedoch anders aus. Noch heute ranken sich Geschichten über ihre Gaunereien entlang der Handelswege durch den dunklen Wald. Sie waren verhasst und gefürchtet. Den Wilderern hielten die Spessarter dagegen nicht selten die Stange. Wilderer galten als mutige Freiheitskämpfer gegen die Obrigkeit, die Wald und Wild für sich beanspruchte und dies durch eher ungeliebte Jäger und Forstleute beaufsichtigen ließen. Dem Erzwilddieb Johann Adam Hasenstab wurden sogar übernatürliche Kräfte zugeschrieben.

    Neben Bewunderung für Wilderer gab es auch Angst vor den Räubern, die es auf Wertsachen abgesehen hatten: „Lieber Gott, du hast mir aus dem Mutterleibe geholfen, du wirst mir auch über den Spessart helfen.“ Diese Worte hörte Wilhelm Hauff bei seiner Fahrt durch den Spessart 1826 von einem Mitreisenden. Er soll den Schriftsteller zu seiner Erzählung inspiriert haben. Ein Satz, der auf die gar nicht so romantische Räuberzeit anspielt, die zu Hauffs Reise durch den Spessart gerade zu Ende war.

    Fast 200 Jahre später erlebt sie eine Renaissance. Heute kann man Spessarträuber buchen. Sie überfallen Besucher – etwa vor der märchenhaften Kulisse des Mespelbrunner Schlosses, wo „Das Wirtshaus im Spessart“ gedreht wurde. Eine sympathische Idee mit seiner Räuber-Vergangenheit, dem bekanntesten aller Spessart-Klischees, zu spielen.

    Im „Schneewittchen-Schloss“, dem Spessartmuseum in Lohr, ist bis Februar 2008 die Sonderausstellung „Mythos Wald – Der Spessart in der Kunst“ zu sehen. Ein Zeitreise zu 800 Jahre Spessart-Fantasie und Spessart-Realität. Öffnungszeiten: Dienstag bis Samstag 10 bis 16 Uhr, Sonn- und Feiertage 10 bis 17 Uhr.

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