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Wenn der Tour-Teufel zum Teufelslappen tourt

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Wenn der Tour-Teufel zum Teufelslappen tourt

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    Rumpelstilzchen am Wegesrand: Dieter Senft bei der Tour de France.
    Rumpelstilzchen am Wegesrand: Dieter Senft bei der Tour de France. Foto: FOTOs Bernd Hettlage, dpa (je 2)

    Didi Senft baut eine zweite Pritsche in seinen Campingbus ein. Weil er bei den Bergetappen der Tour de France immer schräg am Rand parken muss, mal auf der einen, mal auf der anderen Seite. „Ich brauche zwei Pritschen“, sagt er. „Denn wenn ich nur eine habe und nachts auf der falschen Seite stehe, muss ich immer aufpassen, dass ich nicht aus dem Bett falle.“ Nach 14 Jahren Frankreichrundfahrt hat er jetzt endlich die Wahl und kann sich, je nach Bedarf, mal auf die linke oder die rechte Seite legen. Leben wie Gott in Frankreich sieht trotzdem anders aus. Aber Didi Senft ist ja auch El Diablo, der Tour-Teufel.

    Dieter Senft aus Storkow in Brandenburg, der sich auch am Telefon launig mit „Didi“ und ohne Nachnamen meldet, ist der bekannteste Fan der Tour de France. Bei jeder Etappe steht er im rot-schwarzen Teufelskostüm am Rand, meist kurz vor dem Ziel. Wenn die Fahrer kommen, rennt der mittlerweile 55-jährige Mann mit dem langen grauen Bart ein paar Meter neben ihnen her, schwenkt seinen Dreizack, zieht Grimassen und feuert sie brüllend an. Ein Rumpelstilzchen am Wegesrand. Manch erschöpftem Fahrer muss er wie der Leibhaftige erscheinen.

    Mit seinem Kostüm und seinem wilden Gebaren ist er ein kleiner Medienstar geworden. Bei jeder Etappe nehmen ihn die Kameras ins Bild, für die Reporter ist er ein willkommener Farbtupfer in der Berichterstattung. Inzwischen ist er 180 Tage im Jahr auf Achse. Längst besucht er nicht mehr nur die Tour de France, sondern auch die anderen großen Rundfahrten. Gesponsert werden die Reisen von einem Autozubehör-Hersteller. Ein Hotelbett und abendliches Essen im Restaurant sind allerdings nicht drin im Budget. Didi Senft versorgt sich vor jeder Reise in der heimischen Kaufhalle mit Dosenwurst und Toastbrot. „Das muss reichen“, sagt er. Im Reiseland wird nichts dazugekauft. Als Dusche dienen ihm Wasserschläuche am Wegesrand, unter die er sich in voller Montur stellt. So wird das Teufelskostüm gleich mit gereinigt.

    2004 war er sogar bei den Olympischen Spielen in Sydney. Genächtigt hat er dort auf Parkbänken, wie er gerne erzählt. Im vergangenen Jahr präsentierte er zur Fußball-WM in Deutschland ein riesiges Fahrrad am Brandenburger Tor, in dessen Rädern er hundert Fußbälle verarbeitet hatte.

    Der Tour-Teufel ist nicht nur Radsportfan, er baut auch ungewöhnliche Fahrräder. Der gelernte Karosseriebauer hat das kleinste Fahrrad der Welt konstruiert, das längste und das größte. Siebzehn Mal hat er es ins Guinness-Buch der Rekorde geschafft. Mehr als 200 Rad-Kuriositäten sind bis heute entstanden. Seit drei Jahren zeigt er sie in seinem eigenen Fahrradmuseum in Storkow, 70 Kilometer östlich von Berlin.

    Vor der Halle stehen weithin sichtbar seine Konstruktionen aus Stahlrohr, darunter das größte Tandem der Welt. „Alle kann man fahren“, betont er. Senft in Zivil trägt ein braunes Cordhemd, Jeans und Badeschlappen. Er ist braun gebrannt. Um den Hals baumelt eine Goldkette mit einem Teufels-Anhänger. Sein Dreizack liegt im Tourbus, er ist aus Kunststoff und ganz leicht.

    „Die Halle“, sagt er, „ist eigentlich schon längst wieder zu klein.“ Er könne gar nicht alles zeigen, was er gebaut habe. Das reicht vom kleinen Kinderfahrrad mit eckigem Hinterrad bis zu einem 13 Meter langen Tretauto, das auf den ersten Blick aussieht wie ein Förderband vom Tagebau. Der neun Meter lange „Klingelfisch“ aus 10 000 Fahrradklingel-Rohlingen ist finanziell eher ein Reinfall. Didi Senft krault sich missmutig am Bart. Er wollte ihn in Einkaufszentren gegen Bezahlung präsentieren, wurde aber nirgendwo angenommen.

    Seit Jahren verdient er auf diese Weise sein Geld. Mit seinen neuesten Kreationen wird er zu Eröffnungen von Shopping-Malls, zu Stadtfesten und Messen als Attraktion eingeladen. Im Teufelskostüm setzt er sich dann auf den Sattel, dreht eine Runde, lässt sich fotografieren und schreibt Autogramme. Die Tagesgage liegt zum Teil bei mehreren hundert Euro. Doch seit der Euro-Einführung sind die Engagements stark zurückgegangen.

    Zu DDR-Zeiten, sagt Didi Senft, sei es ihm besser gegangen, zumindest finanziell. Er ist in der Gegend von Storkow aufgewachsen. In seiner Jugend bestritt er selbst Radrennen und war mehrmals Bezirksmeister. Mit 24 baute er sein erstes Fahrrad. Für einen Vatertagsausflug rund um den Scharmützelsee konstruierte er ein Vehikel für sich und zwei Freunde. Auf dem „Tridem“ hatte sogar noch ein Kasten Bier Platz. Sie waren die Attraktion des Tages.

    Sein Ehrgeiz war geweckt. Erst nebenberuflich, schließlich hauptberuflich baute er Fahrrad-Kuriositäten und wurde damit zu Pfingsttreffen und FDJ-Ferienlagern eingeladen. Bis die Behörden auf ihn aufmerksam wurden, weil er keine Genehmigung dafür hatte. Er wurde nach Berlin geladen und erhielt drei Monate später einen Künstlerpass als „Vorführer von kuriosen Radmodellen“. Er war der Einzige in der DDR.

    Der Ausweis war befristet bis 1991, um eine Verlängerung musste er dann nicht mehr bitten. Dafür durfte er endlich zur Tour de France. Das war sein großer Traum. Dass er dort als Teufel auftreten würde, stand länger fest. „Teufelslappen heißt das Tuch, das einen Kilometer vor dem Ziel hängt“, erklärt Senft. Genau da wollte er sich an den Rand stellen, ein Teufel, der immer wieder zum Teufelslappen tourt, ein Kindskopf mit grauem Bart.

    1993 fuhr er das erste Mal hin. Als Teufel aufzutreten, gibt er zu, sei am Anfang komisch gewesen. „Ich habe mich beim ersten Mal sogar geniert.“ Er zog sich hinter seinem Wohnmobil um, wo ihn keiner beobachten konnte. „Die ersten Tage hat mich niemand beachtet, aber dann ging es in die Berge.“ Auf einer Pyrenäen-Etappe fuhr der Kolumbianer Oliviero Rincon dem Feld voraus, und auf einmal tauchte da dieser Fan im Teufelskostüm auf und lief neben ihm her. Die Bilder gingen um die Welt, von da an war Senft bekannt.

    Er fährt schon lange nicht mehr Rad. Nur voriges Jahr hat er eine Ausnahme gemacht. Da ist er nach Alpe d'Huez hoch, den berühmten Anstieg in den französischen Alpen. „Ich habe über zwei Stunden gebraucht. Marco Pantani hat das bei seinem Tour-Sieg 1997 in 37 Minuten geschafft.“ Senft lächelt. „Das wird nie wieder einer überbieten, bei den Doping-Kontrollen heute.“

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