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KARLSTADT: 3500 Stunden im Jet, oder: Verrückt nach dem „Starfighter“

KARLSTADT

3500 Stunden im Jet, oder: Verrückt nach dem „Starfighter“

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    Karl Heinz Hofmann mit Atemmaske und Interphone-Funkausrüstung im Cockpit.
    Karl Heinz Hofmann mit Atemmaske und Interphone-Funkausrüstung im Cockpit. Foto: Foto: Sammlung Heiner Hofmann

    Karl Heinz Hofmann war Pilot der Bundeswehr und gehörte zu denen, die nach 1956 die Luftwaffe mit aufbauten. Der 84-Jährige ist seit 42 Jahren pensioniert und vor acht Jahren in seine Heimat nach Karlstadt zurückgekehrt, wo er jetzt mit seiner Frau Dorit in einer beschaulichen Eigentumswohnung lebt. Sein Leben verlief alles andere als beschaulich. Unter anderem hat er 1500 Flugstunden im umstrittenen „Starfighter“ absolviert und zusammen 2000 Stunden in anderen Jets wie zum Beispiel im „Phantom“.

    Frage: Der „Starfighter“ war lange Zeit der Inbegriff des „Düsenjägers“, wie man im Volksmund sagt. Zugleich kam er nicht aus den Schlagzeilen heraus. Wegen der vielen Abstürze hatte er bald den Beinamen „Witwenmacher“. Hatten Sie keine Angst, da einzusteigen?

    Karl Heinz Hofmann: Im Gegenteil: Ich bin ihn sehr gerne geflogen. Wir wussten zwar, dass einige abgestürzt sind, waren aber scharf drauf, diese „Rakete“ zu fliegen. Das war zur damaligen Zeit der Gipfel des Fliegens – weltweit. Der „Starfighter“ hielt alle Rekorde hinsichtlich Geschwindigkeit, Steigleistung und Höhenflug. Natürlich hatten einige die Umschulung nicht mitgemacht. Das waren für uns Weicheier. Ich war damals 24 bis 28 Jahre alt. Wir sahen uns als Draufgänger. Wir wollten was erleben. Man meldet sich ja nicht zur Luftwaffe und sagt: Ey, ich möchte eigentlich nur früher in Pension gehen. Bei uns Aufklärern fiel ein Absturzgrund weg – die ständige Formationsfliegerei der Jagdbomber.

    Die Bundeswehr hatte mehr als 900 Stück angeschafft. DEavon stürzten 269 ab. Was waren die Gründe?

    Hofmann: Der „Starfighter“ hatte nur ein Triebwerk. Für einen tieffliegenden Jet bei diesen Geschwindigkeiten ist das zu wenig. Da braucht es nur einen Vogelschlag in das Triebwerk und man muss per Schleudersitz aussteigen. Zweitens ist die deutsche Luftwaffe quasi von der Messerschmitt des Zweiten Weltkriegs umgestiegen auf den „Starfighter“. Da fehlte die Flugerfahrung mit schnellen Maschinen.

    Mussten Sie auch einmal mit dem Schleudersitz aussteigen?

    Hofmann: Nein, aber wir haben das trainiert. An einem Gerüst – vielleicht 15 bis 20 Meter hoch – war ein Schleudersitz montiert. Da klopften wir drillmäßig die Griffe, die vor einem Ausstieg nötig sind. Sie mussten automatisiert sein: „Throttle – bottle – visor – disconnect – left – right – fire.“ Das bedeutet: Gashebel zurück, Notsauerstoffflasche aktivieren, Augenschutz runterklappen, Sauerstoffschlauch abkoppeln, links am Sitz mit dem Griff alle Gurte festzurren, rechten Griff drücken, feuern – und dann ging die Post ab. Unter dem alten Sitz wurde eine Ladung gezündet, die den Sitz aus dem Flugzeug katapultiert hat. Später war eine Rakete eingebaut, die einen höher rausgeschossen hat. Beim „Starfighter“ mussten wir uns durch die Glaskabine schießen, weil ein Abwurf des Kabinendachs zu viel Zeit gekostet hätte.

    Sie waren auch Testpilot. Was hatten Sie da zu tun?

    Hofmann: Nach der 100. Flugstunde werden die Jets total auseinandergenommen und wieder zusammengebaut. Der Testpilot hatte zu checken, ob alles nach Werksangabe funktioniert. Darum kamen wir Tester immer in den Genuss, Mach 2 (doppelte Schallgeschwindigkeit, je nach Luftdruck und Temperatur mindestens 2000 km/h; Anm. d. Red.) zu fliegen, weil wir das „low light“ überprüfen mussten. Das ist das rote Licht, das zeigt, dass der Flugzeugrumpf durch die Luftreibung das Limit von 100 Grad Celsius erreicht hat.

    Bei welcher Geschwindigkeit und Lufttemperatur erreicht das Flugzeug diese 100 Grad?

    Hofmann: Die Erhitzung wird kritisch bei circa Mach 2. Die normale Temperatur in der Tropopause bei 40 000 bis 50 000 Fuß (rund 15 000 Meter) liegt zwischen 50 und 60 Grad minus. Wir hatten einmal über Schleswig-Holstein über einige Tage eine sehr seltene, konstante Temperatur von 70 Grad minus. Um dabei das „low light“ auszuchecken, kam ich auf Mach 2,45, also auf über 2500 km/h.

    Wurden die Tests immer in solchen Höhen geflogen?

    Ja, nur da oben ist die maximale Geschwindigkeit zu erreichen und der Überschallknall von dort oben ist unten ertragbar. Bei einem Testflug musste ich schnell runter, weil mir angezeigt wurde: „Triebwerk brennt!“ Dabei habe ich auf der Insel Föhr eine Gärtnerei zerlegt. Der Knall hat 8000 Quadratmeter Gewächshausglas zerdeppert. Vorher war ich allerdings auf eine Höhe von 74 000 Fuß (rund 25 Kilometer) hochgeschossen. Bei Mach 2 ist das aus 15 Kilometern Höhe in wenigen Sekunden erreicht. Da oben wird der Himmel schon schwarz und man sieht den blauen atmosphärischen Ring um die Erde. Ich hatte die Maschine hochgezogen, um Fahrt wegzubekommen. Wir durften eigentlich ohne Raumanzug nicht über 50 000 Fuß (17 000 Meter) steigen.

    Und wie sah das normale Flugtraining aus?

    Hofmann: Da war genau vorgeschrieben, was zu fliegen ist, zum Beispiel Blindflug im Wetter (durch die Wolken), Formationsflug, Tiefflug oder Kunstflug. Man konnte das auch kombinieren. Wenn es wettermäßig ging, habe ich an jeden Flug noch fünf Minuten Kunstflug angehängt, um das Gefühl für das Flugzeug zu trainieren: Looping, Rolle, Fassrolle, Split S oder Immelmann. Bei dem kombiniert man Looping und Rolle, gewinnt an Höhe und entkommt dem Gegner. Die Belastung beim Kunstflug sollte vier G nicht überschreiten, also das Vierfache der Erdanziehung.

    Was war die höchste Belastung, die Sie dabei erlebten?

    Hofmann: In den USA ist es bei einer Luftkampfausbildung auf der „Phantom“ mal passiert, dass ich neun G drauf hatte. Da zieht es alles nach unten, das tut weh. Wenn man das beibehält, kommt der Greyout und der Blackout. Erst wird das Blickfeld grau und dann sieht man nichts mehr, weil das Blut aus dem Kopf in die untere Körperhälfte gepresst wird. Man muss dann schleunigst nachgeben, sonst würde man ohnmächtig werden. Dagegen hat man den Druckanzug an, der an den Waden, den Oberschenkeln und dem Bauch Druck aufbaut, damit das Blut nicht zu sehr absackt. Die 9 G hatten wir hinterher am G-Meter abgelesen. Danach musste das Flugzeug untersucht werden, weil es überstresst war.

    Wie funktioniert die Luftaufklärung von einer solch schnellen Maschine aus?

    Hofmann: Es geht zum Beispiel darum, Kriegsvorbereitungen des Gegners aufzuklären, also Aufmärsche, Lager, Depots, Brücken und Verkehrsknotenpunkte. Man unterfliegt das gegnerische Radar. Man sieht nur nach vorne scharf, an der Seite nagelt alles nur so vorbei. Die eingebauten Kameras im Vorgängertyp des „Starfighters“ hatten Brennweitern bis zu einem Meter. Bei Aufnahmen zur Seite wurde der Negativfilm in der passenden Geschwindigkeit durch die Kamera gezogen, damit das Bild scharf wird. Als Ulbricht sagte: „Niemand hat die Absicht, eine Mauer zu bauen“, konnten wir beweisen, dass da Material aufgefahren wird.

    Früher wurde Karlstadt häufiger von „Düsenjägern“ angeflogen.

    Hofmann: Bei der Ausbildung hatte ich als Fluglehrer auch als Aufgabe gegeben, von unserem Standort in Leck an der dänischen Grenze aus den Saupurzel bei Karlstadt anzufliegen. Als Aufklärungsziele waren das Eisenwerk, die Mainbrücke und die Kaserne in Veitshöchheim zu beschreiben und zu fotografieren.

    Obwohl Sie Aufklärer waren, hätten Sie im schlimmsten Fall eine Atombombe nach Moskau fliegen müssen.

    Hofmann: Wir haben in der Zweitrolle dafür trainiert. Doch ich hatte ein Gefühl der Dankbarkeit, dass ich Aufklärer war. Ich hatte immer eine kleine mentale Bremse gespürt. Ich hatte mir auch gesagt, ich muss aufhören Metzger zu sein. Als Jagdbomber Bomben zu schmeißen, ohne genau zu wissen, was da unten angerichtet wird, konnte und wollte ich mir nicht antun. Ich hatte als Schüler die Bombardierung des Würzburger Bahnhofs in einem Luftschutzbunker überlebt. Problematisch war, dass wir als Aufklärer die Vorarbeit zu leisten hatten.

    Befehlsverweigerung wäre nicht in Frage gekommen?

    Hofmann: Dafür waren wir Anfang der 1960er Jahre noch zu sehr von unserer Vergangenheit geprägt. Als ich 1957 meine Fliegerkarriere begann, stand die Atombombe den Deutschen noch nicht zur Verfügung. Die Strategie der „massiven Vergeltung“ (Nato-Strategie der 1960er Jahre) die im Ernstfall die Zerstörung der Erde in Kauf genommen hätte, trieb seltsame Blüten. Der Treibstoff des „Starfighters“ hätte bis zur Erledigung des Auftrags gereicht, nicht aber für den Heimflug. Über der Ukraine oder Polen wären wir per Schleudersitz ausgestiegen und hätten uns durchschlagen müssen. Wir haben bei den Amis gelernt, Engerlinge und Käfer zu essen, bis ich als gelernter Metzger Piloten beigebracht habe, wie man ein Schwein schießt und welche Stücke man davon mitnehmen kann, um zu überleben.

    Spürten Sie nach der Laufbahn in der Luftwaffe noch den Drang zu fliegen – beispielsweise hobbymäßig beim Segelflug?

    Hofmann: Nein, das hat mich nie gereizt. Ich hatte fliegerisch ja alles erreicht. Einmal hatte ich mich allerdings darauf eingelassen, beim Karlstadter Luftsportclub auf dem Saupurzel einen Motorsegler zu fliegen. In diesem Fliegerchen mit dem Hintern nur 15 Zentimeter über der Wiese hatte ich das Gefühl, dass meine Hose Grasfarbe annahm – in der Phantom sitzt man drei Meter überm Boden.

    Testpilot aus Karlstadt Karl Heinz „Heiner“ Hofmann kam über Umwege zu seinem Beruf. Geboren 1933 in Würzburg; Besuch der Volksschule in Karlburg, mit zwölf Jahren „Pimpf“ der Hitler-Jugend bei den Segelfliegern auf dem Karlstadter Saupurzel; ab 1945 Gymnasium in Münsterschwarzach; von dort mit 15 Jahren „abgehauen“, um die weite Welt kennenzulernen, daraufhin von der Schule geflogen; 1948 Lehre bei der Metzgerei Hartmann in Karlburg; ab 1953 Lastwagenfahrer beim Landhandel Büchler in Karlstadt; ab 1956 Bundeswehr, fliegerische Ausbildung in Bayern und den USA, Einsatzpilot schwerpunktmäßig in Leck/Schleswig-Holstein, Testpilot, Fluglehrer; 1961 Heirat mit der Dänin Dorit; eine Tochter, zwei Enkelinnen, 1976 als Major pensioniert; Kommunalpolitiker, selbstständiger Versicherungs-Vertriebsmanager; 1997 Umzug nach Sönderborg (Dänemark); 2010 Umzug nach Karlstadt.

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