Seinen Recherchen zufolge "verstanden es die Lohrer schon immer, Fasching ausgelassen und intensiv zu feiern". Als Beleg dafür bringt Stenger das folgende Zitat aus dem "Lohrer Anzeiger" vom Februar 1854: "Im Interesse des öffentlichen Anstandes und der Sittlichkeit wird bei herannahender Fastnacht hiermit veröffentlicht, daß nur solide und anständige Maskenumzüge auf der Straße oder sonst an öffentlichen Plätzen geduldet werden. Jede unanständige Kleidung oder sonstiges unsittliches und rohes Benehmen hat die Verhaftung und Bestrafung des Excendenten zur Folge."
Wie Stenger herausfand, standen bei den karnevalistischen Veranstaltungen in Lohr in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts vor allem lokale Ereignisse im Mittelpunkt. "Besonderer Beliebtheit" habe sich damals das Maskenfestspiel "Die Gefangennahme der Zigeuner" erfreut, eine Parodie auf die Landwehr (siehe unten stehenden Artikel).
Daneben seien aber auch die "deutschpolitischen Begebenheiten" in den Fasching einbezogen "und als willkommener Anlass zu heiteren Darbietungen" begrüßt worden. "Von politischer Satire war man allerdings weit entfernt", so Stenger.
Nachdem Deutschland 1884 erste Kolonien erhielt, habe es in Lohr ein Jahr später einen großen Maskenball des Turnvereins gegeben unter dem Motto: "Radabum, Radabum, bum, bum, King Bell von Kamerun geht um". Bei dieser Veranstaltung wurde laut Stenger ein "großer westafrikanischer Kriegstanz" aufgeführt, außerdem sei der "Carnevalistische Matrosen- und Niggerchor, Kamerun Huppahoi" aufgetreten.
Wesentlich bedeutender als heute seien damals in Lohr die Festumzüge gewesen. Im "Lohrer Anzeiger" fand Stenger eine Beschreibung des Lohrer Faschingszug von 1891.
Demnach zog allen voran "ein berittener Herold, begleitet von einem Harlekin zu Fuß, dem die ,niedliche' Prinzengarde mit Gewehren und Trommeln sowie das prinzliche Musikcorps folgten". An sie schloß sich der vom Eislaufverein Lohr dekorierte Prinzenwagen an, "auf dem sich Prinz Karneval nebst Gemahlin und dessen Nebenherrscher Gambrinus den Zuschauern präsentierten, gefolgt von Wagen des närrischen Ministeriums".
Als Übergang zum Volkstümlichen sei dann ein Wagen "Salontiroler aus dem Hochgebirge" gefolgt, "die sich's bei ,gutem Stoff' und ihrer Pfeife recht wohl schmecken ließen". Danach kam laut Stenger eine Wagengruppe des Lohrer Bürgervereins unter dem Motto "Dr. Storch und Kompanie" sowie ein Schiff des Kriegervereins, "bemannt mit rudernden Matrosen, einem Schiffskoch und allem, was zu einem richtigen Schiff gehört".
Anschließend folgte die Gruppe "Buffalo Bill" der Turngemeinde Lohr, "deren Indianer und indianische Darbietungen besonderen Anklang beim Publikum fanden und als die gelungenste Gruppe des Zuges bewertet wurde".
Als nächstes kam ein Wagen mit einer Jagdgesellschaft aus dem Spessart des Spessartvereins, danach die "Wiener Damenkapelle" (als Frauen verkleidete Lohrer Musiker), der "Amerikanische Circus Kobra" (Turnverein Lohr), die "Churmainzer Artillerie" (Feuerwehr) und schließlich "ein sehr gelungener Wagen mit einer Junggesellenausstellung und englischen Touristen auf einer Reise nach dem Luftkurort Pflochsbach".
Das Schlusslicht bildete laut Stenger ein Wagen mit "einem Prachtkleeblatt von Kaffeeschwestern, die sich abwechselnd bei Klatsch und Kartenspiel ihr Leibgetränk recht gut schmecken ließen und davon ganze Ströme in sich hineingossen".
Für die damaligen Verhältnisse war dies ein "sehr großer Faschingszug", weiß Stenger. Der Redakteur des "Lohrer Anzeigers" habe daraus geschlossen, dass in den Adern der Lohrer "ein kräftiger Tropfen rheinischen Blutes der Churmainzer Väter" fließt.
Die Zeitung haben den Festzug als als vollen Erfolg gewertet, "da zu Tausenden Besucher der nahen und fernen Umgebung angereist waren, um ihn zu sehen". Der Besucherandrang soll so groß gewesen sein, dass am Faschingsdienstagabend Lohr "leergegessen" und bei keinem Wirt mehr Platz zum Einstellen der Pferde war.
Ein jähes Ende machte dem Lohrer Karnevalstreiben der Beginn des Ersten Weltkriegs, so Stenger. "Nun bestimmten düstere Themen wie Heldengedenk- und Totenfeiern das öffentliche Leben. Angst und Not breiteten sich aus. Damit war auch für Fasching die ,gute alte Zeit' vorbei."