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MARKTHEIDENFELD: Altenpflege: Einfach nur die Menschen lieben

MARKTHEIDENFELD

Altenpflege: Einfach nur die Menschen lieben

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    Diskutierten über die Zukunft der Pflege (von links): Heimleiterin Ute Volkamer, Sexualassistentin Nina de Vries, Peter Wißmann (Geschäftsführer von Demenz Support), Friedbert Rüb, Leiter der Altenpflege-Schule und Moderator Marcel Briand.
    Diskutierten über die Zukunft der Pflege (von links): Heimleiterin Ute Volkamer, Sexualassistentin Nina de Vries, Peter Wißmann (Geschäftsführer von Demenz Support), Friedbert Rüb, Leiter der Altenpflege-Schule und Moderator Marcel Briand. Foto: Foto: Andreas Brachs

    Harte Rock-Klänge im Kreisseniorenheim Marktheidenfeld: Das war keine Zukunfts-, sondern die Begleitmusik zur Fachtagung „Sex & Drugs & Rock'n'Roll – Tabuthemen im Heim“. Klassiker der Rockmusik spielten dort am Donnerstag die „Rufis“, eine Mitarbeiter-Band der Regierung von Unterfranken.

    Inhaltlich sollte die Fortbildung für Pflegekräfte in Senioren- und Behindertenheimen auf die kommenden Generationen von betagten Menschen einstimmen und den Blick öffnen für die individuellen Bedürfnisse und die Privatsphäre der heutigen Heimbewohner.

    Den Nerv getroffen

    Mit ihrer 6. Fachtagung hatten die Veranstalter, die Regierung von Unterfranken, das Kreisseniorenheim und die Altenpflegeschule Main-Spessart in Marktheidenfeld, wieder einmal den Nerv des Heimpersonals getroffen. Mit 200 Teilnehmern war der Tag ausgebucht. Sie kamen aus Bayern, Hessen, Baden-Württemberg und Hamburg. 100 weitere wären gern gekommen.

    Im Grunde ging es bei allen Tagungen um ähnliche Grundfragen: Wie können die Profis zwischen Zeitnot, Dokumentationspflicht und Personalmangel eine Pflege ermöglichen, die die Würde und Individualität jedes ihnen anvertrauten Menschen berücksichtigt? Die plakativen Tabuthemen dieser Veranstaltung sind in Wirklichkeit nur ein kleiner Ausschnitt dessen, womit sich die Pflegekräfte tagtäglich beschäftigen. Und das befördert den glänzenden Ruf dieser Tagungen: Sie bieten Ideen aus der Praxis für die Praxis.

    Ein freundliches Menschenbild

    „Ein freundliches Menschenbild und eine dem Mitmenschen zugewandte Lebenseinstellung“, übersetzte es Regierungspräsident Paul Beinhofer in seiner Eröffnungsrede. Der professionelle „Umgang mit Wünschen, Bedürfnissen und Gewohnheiten“, ergänzte der stellvertretende Landrat Harald Schneider. Und für Bürgermeisterin Helga Schmidt-Neder kumulierten die Überlegungen in der Forderung nach Einzelzimmern für die Heimbewohner.

    Sexualität und Suchtprobleme im Alter sind Themen, die oft „weggeschwiegen“ werden, erklärte die Marktheidenfelder Heimleiterin und Gastgeberin Ute Volkamer in der begleitenden Podiumsdiskussion. Oft werde „beschämt zur Seite geguckt“.

    Offen und ehrlich reden

    Friedbert Rüb, Leiter der Altenpflegeschule des Main-Spessart-Kreises, forderte, mehr über Themen wie Sexualität und Abhängigkeiten zu reden, um daraus eine professionelle Pflege zu entwickeln. Das käme in der Ausbildung der Pflegekräfte zu kurz.

    Peter Wißmann, Berater von Heimen aus Stuttgart, forderte gar, in die Leitbilder der Heime zu schreiben, dass die Sexualität der Heimbewohner anerkannt werde und ihren Ausdruck finden dürfe.

    Sexualassistentin Nina de Vries, Potsdam, betonte, dass es nicht um die persönlichen Ansichten der Pflegekräfte gehen dürfe, sondern um eine professionelle Haltung zu den Gepflegten. Sie forderte überdies ausreichend Geld, Fortbildung und eine gute Versorgung der Pflegenden, damit diese gute Arbeit leisten könnten.

    Volkamer sah alle Pflegekräfte eines Hauses dazu aufgerufen, eine gemeinsame Kultur der Pflege zu entwickeln, die den Menschen in den Mittelpunkt stelle. Sie zitierte ihren ehemaligen Lehrer: „Das einzige, was du musst, ist, die Menschen zu lieben.“

    De Vries erinnerte daran, dass die professionell Pflegenden mit Menschen arbeiteten, die alle gezwungenermaßen zusammenleben. „Die Bewohner sind alle in einer Situation, in der wir nicht gern wären“, erklärte sie mit Blick auf den Verlust von Selbstständigkeit und Privatsphäre im Heim. Sie hege große Bewunderung für die betroffenen Menschen, die das akzeptieren und das Beste daraus zu machen versuchten. Wißmann ergänzte, dass man den Senioren und Behinderten trotz aller Versprechungen in den Prospekten kein Zuhause ersetzen könne. Er zitierte eine Heimleiterin aus Stuttgart: „Aber wir werden alles tun, damit sie sich bei uns wohlfühlen.“ Volkamer warb bei ihren Kollegen dafür, sich der eigenen Macht bewusst zu sein und die Spielräume im Sinne der Bewohner zu nutzen. Ein Beispiel aus ihrer eigenen Erfahrung: nicht schon beim Anklopfen mit der Tür ins Zimmer zu fallen, sondern erst ein „Herein“ abzuwarten.

    Fingerspitzengefühl nötig

    Es sei Fingerspitzengefühl nötig, um Intimität nicht zu verletzen und stattdessen einen beschützen Rahmen zu bieten.

    Rüb erinnerte daran, dass bei den heiklen Themen oft die Angehörigen das Problem wären. Sie seien oft beschämt, wenn man sie auf die Bedürfnisse ihrer Eltern oder Großeltern ansprechen würde.

    De Vries empfahl daher, schon auf den Internet-Seiten der Heime klar und offen über Tabuthemen zu informieren. Wißmann plädierte gar für „Häuser der Sinne“, worunter viele körperlichen und sinnlichen Genüsse verstehe. Und auch hierbei klammerten die Podiumsteilnehmer die Pflegenden nicht aus: „Nur wer sich wohlfühlt, kann auch Wohlfühlen weitergeben“, lautete die gemeinsame Erkenntnis.

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