Rebecca, Florian, René, Felix, Kevin und Michael: Eine Schiefertafel im Altarraum der Wallfahrtskirche Maria Sondheim am Ortsrand von Arnstein erinnert an die sechs Jugendlichen, die Ende Januar in einem Gartenhaus am Sommerberg in Arnstein auf tragische Weise gestorben sind. An diesem Gedenkort unter einer Pieta legen Menschen noch heute Blumen ab, sie zünden Kerzen an, und sie knien nieder zum Gebet.
Die Anteilnahme lässt viele in der 8200-Einwohner-Stadt im Landkreis Main-Spessart bis heute nicht los. In Arnstein ist längst nicht Normalität eingekehrt. Wie auch. Ab kommendem Mittwoch steht der Vater zweier Todesopfer in Würzburg vor Gericht. Die Staatsanwaltschaft wirft dem 52-Jährigen fahrlässige Tötung vor. Weil er den Generator, mit dem die Jugendlichen beim Feiern Energie erzeugten, verbotenerweise installiert und dann auch noch fehlerhaft angeschlossen haben soll. Gestorben sind die 18- und 19-Jährigen an einer Kohlenmonoxidvergiftung.
Warum wird dem Vater der Prozess gemacht?
Viele in Arnstein wollen nicht verstehen, warum dem Vater, der seine Kinder auf solch tragische Weise verloren hat, nun noch der Prozess gemacht wird. „Der Mann ist doch gestraft genug“, heißt es, seit die Anklage Anfang September öffentlich bekannt wurde. Dass der Rechtsstaat bei aller Tragik der Umstände gleichwohl Aufklärung verlangt, ist für die Leute nur schwer zu ertragen.
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Kommt man dieser Tage ins Werntal-Städtchen, ist die Stimmung spürbar angespannt. So kurz vor dem Prozess will niemand ein falsches Wort sagen, eines, das missgedeutet werden könnte – in welche Richtung auch immer. Fast jeder in Arnstein kennt schließlich einen, der den Familien, den Freunden und Bekannten der Toten nahe steht. Schon gar nicht wollen die Menschen mit den Medien sprechen. Viele haben Ende Januar schlechte Erfahrungen gemacht, als Boulevardjournalisten aus der ganzen Republik das beschauliche Arnstein mit ihrer Sensationsgier mächtig aufgemischt hatten.
„Bitte haben Sie Verständnis, aber ich werde mich jetzt nicht mehr öffentlich äußern“, sagt Johannes Werst. Der katholische Pfarrvikar gehört zu den Seelsorgern, die sich unmittelbar nach dem Bekanntwerden der Tragödie um die Angehörigen und Freunde der toten Jugendlichen – vier von ihnen stammten aus Arnstein, die beiden anderen aus Eußenheim (Lkr. Main-Spessart) und Greßthal (Lkr. Schweinfurt) – gekümmert hatten. Die vor Ort waren, als es galt, Trost zu spenden, einfach zuzuhören oder einfach nur da zu sein. Jeder, egal ob er gläubig ist oder nicht, sollte in der Kirche den geschützten Raum finden, „seiner Trauer ganz individuell Ausdruck zu verleihen“, so Werst damals im Gespräch mit der Redaktion.
„Der Tod der Jugendlichen ist eine Tragödie für unsere ganze Stadt“
Anna Stolz, die Bürgermeisterin von Arnstein, möchte die Anklage ebenfalls nicht kommentieren. „Das steht mir nicht zu“, sagt sie. Egal, welche Details eine Gerichtsverhandlung auch zutage fördere, „der Tod der Jugendlichen ist und bleibt ein tragischer Unfall, eine Tragödie für unsere ganze Stadt“, so Stolz.
Anfang August, noch vor dem Abschluss der staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen, hatte sie im Gespräch mit der Redaktion berichtet, wie sie und ihr Stellvertreter Franz Josef Sauer die Tage und Wochen nach dem Bekanntwerden des Todes der sechs jugendlichen Mitbürger erlebt – und erlitten – haben.
„Die Betroffenen schützen“, das sei die oberste Maxime gewesen. Vor allem die mediale Belagerung der Stadt habe die Bürger sehr belastet. Tagelang seien Hubschrauber über Arnstein gekreist, über die Häuser der Familien der Toten. Offenbar Fotoreporter auf der Suche nach exklusiven Motiven. Eine Magazin-Journalistin habe im Rathaus angerufen und gesagt: „Ich schäme mich dafür, aber ich muss Sie fragen, ob Sie mir helfen können, Kontakt zu betroffenen Eltern zu verschaffen. Mein Chef will das so.“ Anna Stolz schüttelt den Kopf. „Ich habe ihr gesagt, ihr Chef solle sich schämen. Aber ich werde Ihnen nicht helfen.“
Boulevard-Reporter machten selbst vor dem Friedhof nicht halt
Andere Arnsteiner berichten, selbst in die Geschäfte vor Ort seien Reporter auf der Suche nach O-Tönen von Anwohnern eingedrungen. Ein Ladeninhaber habe sogar die Polizei rufen müssen. Die Ordnungshüter waren auch gefragt, als es galt, sensationslüsterne Journalisten von der Beerdigung der toten Jugendlichen fernzuhalten. Stolz: „So etwas vergessen die Bürger nicht.“
Die negativen Erfahrungen sind das eine, auf der anderen Seite hat Arnstein auch eine Welle der Solidarität erfahren. „Und dies weit über die Region hinaus.“ Allein im Rathaus sind um die hundert Mails und Briefe angekommen, selbst aus Polen und Frankreich. Von Menschen, die angesichts der furchtbaren Nachrichten einfach ein paar Worte des Trostes sagen wollten. „Die toten Jugendlichen sehen uns, sie lieben uns und sie beschützen uns“, hat eine Frau geschrieben. Andere haben Bücher zur Trauerbewältigung empfohlen. Eine Therapeutin bot gar an, Eltern und Freunde kostenlos zu beraten. Die Bürgermeisterin hat die Tipps an die Familien weitergegeben.
Großer Redebedarf bei den Arnsteiner Jugendlichen
„Es gibt unter uns Menschen, denen es richtig schlecht geht“, so Anna Stolz im Sommer. Für diese Leute ansprechbar zu sein, ohne aufdringlich zu wirken, das sei der Spagat, den politische und kirchliche Gemeinde in diesen Monaten zu leisten hätten. „Da tut es gut, einfach mal zusammenzusitzen, mit jemandem reden zu können.“ Daraus habe sich ein Zusammenhalt ergeben, „den wir so bisher nicht kannten“. Geholfen hat auch, dass Arnstein mit Tobias Meierl einen engagierten Jugendpfleger beschäftigt, der den jungen Menschen in allen Stadtteilen Gesprächsangebote gemacht hat. Jenen, die mit den Toten zur Schule und zur Arbeit gegangen sind, mit ihnen Fußball gespielt oder in der Blaskapelle musiziert haben, aber auch jenen, die sie vielleicht nur flüchtig gekannt haben und dennoch Trost benötigen. Anna Stolz: „Wir haben nichts erzwungen, aber der Redebedarf in allen zwölf Stadtteilen war groß.“
Trauer und Schmerz prägen das Zusammenleben in Arnstein bis heute, sagt die Bürgermeisterin. „Wir werden niemals vergessen, was passiert ist, auch wenn der Alltag weitergeht.“ Ohne Rebecca, Florian, René, Felix, Kevin und Michael.