Für Afrika kaufte Kuhn ein spezielles Reiserad: Stabil und zuverlässig. Keine Federgabel, 26-Zoll-Laufräder mit breiten Reifen, Nabenschaltung.
Am 30. Juli 2007 ging es los, auf dem Rad durch den Balkan und die Türkei nach Syrien und Jordanien. Von Aqaba in Jordanien setzte Werner Kuhn mit der Fähre übers Rote Meer nach Ägypten auf die Sinai-Halbinsel über. „Die Sinai-Wüste zu durchqueren war eine echte Herausforderung“, erinnert er sich, „landschaftlich sehr schön, aber dünn besiedelt.“ Auf der Sinai-Halbinsel liegt das christliche Katharinen-Kloster inmitten eines Meer des Islams. Dank erstklassigen Asphalts kam er in ganz Ägypten gut voran.
In Kairo angekommen endete endlich der Ramadan und Kuhn musste nicht mehr „heimlich“ essen. Mit Englisch konnte er sich dort gut verständigen, per Rad besuchte er die Pyramiden von Giza, Saqqara und Darschur.
Auf der Oasenstraße in Richtung Luxor sah Werner Kuhn auf den nächsten 1400 Kilometern eine bizarre weiße Wüste, geformt von Wind und Wetter. Jeweils 150 bis 300 Kilometer lagen zwischen den einzelnen Oasen. Der Zellinger schlief am liebsten in seinem „1000 Sterne Hotel zum Kreuz des Südens“ in der Wüste, wie er sein Zelt nennt. Zeitweise machte starker Wind Radfahren fast unmöglich. Gastfreundliche Lkw-Fahrern luden den Reisenden oft zur Pause ins Fahrerhaus ein.
Das Tal der Könige, den Karnak-Tempel und andere Zeugnisse der ägyptischen Kultur gibt es in Luxor. „Was die Augen dort zu sehen bekommen, kann die Fantasie kaum begreifen“, schwärmt Kuhn. Ab hier führte ihn seine Route am Nil entlang, durch einen grünen Streifen von Gärten und Feldern mitten in der Wüste.
In Assuan traf Werner Kuhn andere Radreisende, zwei junge Männer aus Bratislava und Nürnberg. „Das war mir sehr recht, vor mir lag die Durchquerung der Nubischen Wüste ohne Oasen und mit wenig Wasserstellen, davor hatte ich großen Respekt“, erzählt der 62-Jährige.
Davor lag die Fähre über den riesigen Nasser-See, weltweit der achtgrößte Stausee, 500 Kilometer lang und bis zu 32 Kilometer breit. Dabei hatte Kuhn das Glück, einen deutschen Arzt zu treffen, der ihm kleine entzündete Schnittwunden professionell versorgte.
„Wadi Halfa“ heißt der Ankunftsort der Fähre im Sudan offiziell, „Bloody Halfa“ nannte Rudi, der junge Slowake, den trostlosen Wüstenort inoffiziell. Werner Kuhn füllte seine Wassersäcke und Flaschen, insgesamt knapp 20 Liter, und ab ging es auf die 500 Kilometer lange Wüstenpiste.
„Wir drei waren ein prima Team und kämpften uns durch“, berichtet er. Landschaftlich sei die Nubische Wüste mit Ausblicken auf das grüne Niltal schön, aber schwer zu fahren. Immer wieder sorgte das scharfkantige Geröll für Plattfüße. 50 Kilometer waren eine gute Tagesetappe.
Als das Trio wieder Asphalt unter den Reifen hatte, trennte man sich. Werner Kuhn besuchte die Pyramiden von Meroe mit über 900 kleinen Grabstätten.
„Eine fürchterliche Stadt ohne Wegweiser und schrecklich teuer“ sagt Werner Kuhn über die sudanesische Hauptstadt Khartum. So schnell es ging, holte er sich den neuen Reifen, den seine Frau aus Zellingen geschickt hatte und besorgte sich bei der äthiopischen Botschaft sein Visum.
Äthiopien war eine andere Welt. Anders als im Sudan gehören Frauen zum Straßenbild, aber die extreme Armut ist ständig zu spüren. In jedem Dorf rannten Kinderbanden johlend und bettelnd neben Kuhn und seinem Fahrrad her.
Die Piste führten den 62-Jährigen und Rudi, den er wieder getroffen hatte, ins Hochland. „Das könnte auch die Rhön sein, von den 2500 bis 3200 Metern Höhe war nichts zu spüren“, berichtet Kuhn. Das Essen in Form des äthiopischen Nationalgerichts „Injera“ (Fladenbrot), machte ihn nicht satt. Die Hauptstadt Addis Abeba hatte zum Glück Besseres zu bieten. Weihnachten 2007 kam er dort an und flog nach Lalibela (Neu-Jerusalem). Der äthiopische Wallfahrtsort mit seinen weltbekannten in rotes Basaltgestein gehauenen elf Kirchen lag außerhalb seiner Route.
Danach nahm der Zellinger Kurs nach Süden, in Richtung Kenia. „Ich kam durch eine wunderbare Bergwelt“, so Kuhn. Die Unterkünfte seien preiswert aber laut gewesen, immer habe eine Diskothek nachts das ganze Dorf beschallt.
Ab der Grenze zu Kenia lagen vor dem Zellinger und seinem Reisegefährten Rudi gefährliche 500 Kilometer. Geschichten von erschossenen Busfahrern und Polizisten kursierten, zeitweise besteht Konvoipflicht. Im Januar 2008, in Kenia wurde gerade gewählt, war davon nichts zu spüren. Die Piste war miserabel, „teilweise wie Bahnschotter, ich habe mir den Hintern blutig geritten und Rudi zerfetzte es den Mantel“, erinnert sich Werner Kuhn. Den Äquator überquerten sie am 16. Januar 2008 noch zusammen, aber am Mount Kenia trennten sie sich, weil Rudi unbedingt hoch wollte.
In der Massai-Steppe Tansanias beeindruckte ihn die grüne, fast parkähnliche Landschaft. Scheinbar „verkehrt herum“ wachsen Affenbrotbäume aus der Erde. Nach sechs Monaten Reise war schließlich der Kilimandscharo erreicht.
„Vogelwild“ nennt Werner Kuhn den Verkehr in Ostafrika. Fußgänger und Radfahrer benutzen meist „Pfäde“ neben dem Asphalt. Auf der Straße zu fahren ist nicht ungefährlich, ein verärgerter Busfahrer überholte so knapp, dass eine Satteltasche aufgeschlitzt wurde.
In Malawi radelte Kuhn am Malawi-See entlang in Richtung Mosambik und über den Tete-Corridor (Nationalstraße EN103) nach Simbabwe. Als „Robert Mugabe-Diät“ betitelt er scherzhaft in Anspielung an den langjährigen Diktator die kritische Versorgung: kein Strom, kein fließend Wasser, kein Essen. Millionen Simbabwe-Dollar in der Tasche – für einen US-Dollar gab es anfangs zwölf und beim Verlassen der Landes nach drei Wochen 36 Millionen Sibabwe-Dollar – ernährte er sich von Maisbrei und Erdnussbutter, weil es sonst nichts nahrhaftes zu kaufen gab.
Durch die Hauptstädte Harare und Bulawayo fuhr er 450 Kilometer weiter durch den Busch zu den Victoria-Falls. „Donnernden Rauch“ nennen die Einheimischen den Ort, wo sich der Fluss Sambesi 100 Meter in die Tiefe stürzt. Doch die Nächte im Busch waren eine Tortur: „Millionen von Mücken stürzten sich auf mich und wollten mein Blut“, sagt Kuhn.
Dunghaufen lagen in Botswana auf der Straße, Dickhäuter haben Vorfahrt – Elefantenland. Den Chobe-Nationalpark, der eigentlich nur im Konvoi auf einer Straße und nicht von Radfahrern durchquert werden darf, durchfuhr Werner Kuhn aus eigener Kraft, unbehelligt von den „Big Five“, also Elefant, Nashorn, Büffel, Löwe und Leopard. Allerdings gab es hinterher eine Standpauke der Park Ranger.
Damit war der Reisende in Namibia angekommen, im „Caprivi-Zipfel“. Unterwegs durch das Buschland in Richtung der Hauptstadt Windhoek wähnte er sich zurück in der westlichen Zivilisation: In der ehemals deutschen Kolonie leben viele Weiße, es gibt Kaffees und Supermärkte mit vollen Regalen. Amtssprache ist englisch, gesprochen wird aber eher Deutsch und Afrikaans.
1 500 Kilometer waren es nur noch auf der Zielgeraden bis Kapstadt. Einen sicheren Platz für sein Zelt zu finden sei immer schwerer geworden, denn im Namaqualand wachen nur noch kniehohe Büsche, berichtet Kuhn.
Die Überquerung des Oranjeflusses war die letzte Hürde vor dem Zielland Südafrika. Am 24. April 2008 stand Werner Kuhn in Kapstadt vor dem Tafelberg. Die Besteigung des 1 087 Meter hohen Berges ließ er sich nicht nehmen: „Ich brauchte die Hälfte der angegebenen Zeit und kriegte fürchterlichen Muskelkater, und das nach neun Monaten und 20 000 Kilometer im Sattel.“
Eine Woche ruhte er sich in Kapstadt aus und fuhr zum nahen Kap der Guten Hoffnung sowie an das Cape Agulhas, den südlichsten Punkt Afrikas, und zur Inselwelt der Grenadinen mit Port Elisabeth. Weil Freunde in Johannesburg auf einen Besuch bestanden und seinen 62. Geburtstag ausrichten wollten, flog er im Mai samt Rad dorthin.
Am 8. Juni 2008 landete Werner Kuhn in Frankfurt. Mit dem Zug für er nach Karlstadt, das letzte Stück bis Zellingen wollte er unbedingt radeln. Unterwegs ereilte ihn der 50. und letzte Plattfuß der Reise.