Der einst gewaltige Wildbirnbaum am Ortseingang von Sendelbach zählte mit seinem herrlichen Wuchs nach Meinung vieler Fachleute zu den schönsten Bäumen im Lohrer Talkessel. Umso verständlicher sind die heftigen und schnellen Reaktionen von Bürgerinnen und Bürgern, die sich in der Redaktion meldeten und sich über die Fällaktion wunderten und aufregten.
Die Mitarbeiter der Fachfirma, die im Auftrag der Unteren Naturschutzbehörde am Landratsamt dem Baum zu Leibe rückten, erklärten vor Ort auf Nachfrage, dass der Baum untersucht wurde und innen morsch sei. Als sie den Reststamm gefällt hatten, verwiesen sie auf den hohlen Innenstamm. Der Stamm werde an geeigneter Stelle als Totholz deponiert.
Unverständnis geäußert
Anwohner und vor allem ehemalige Bewohner dieser früheren Kohl- und Bocks-Villa äußerten in mehreren Telefongesprächen ihr Unverständnis. Gerhard Kohl, der täglich an dem Baum an der Einmündung der Amselstraße in die Sendelbacher Straße vorbeikommt, weil er seine zwei Kinder mit dem Rad oder Auto in den Waldkindergarten bringt, freute sich am frühen Morgen noch. Er vermutete eine Pflege-Aktion an dem Baum. Hatte er doch noch letztes Jahr Wildbirnenfrüchte gesammelt und überlegt, daraus Samen zu ziehen.
Als Kohl erfuhr, dass der Baum komplett gefällt wurde, war er entsetzt: "Ein Naturdenkmal wurde zu Totholz gemacht". Kohl hatte auch Torsten Ruf vom Bund Naturschutz kontaktiert. Auch dieser habe die Fällung des im Frühling lange Jahre über und über mit weißen Blüten bedeckten Baumes abgelehnt.
Bei einer Nachfrage der Redaktion im Landratsamt wurde auf eine vor vier Wochen verschickte Pressemitteilung verwiesen. Darin heißt es: "Alte Bäume sind für einen Betrachter eine Augenweide und bieten gleichzeitig vielen Lebewesen eine Lebensgrundlage. Allerdings leben Bäume nicht ewig, weswegen der Landkreis all seine Bäume aus Verkehrssicherheitsgründen mindestens zweimal pro Jahr auf Standfestigkeit und Bruchsicherheit untersuchen lässt. Einmal im unbelaubten Zustand, ein anderes Mal im belaubten Zustand. Jahrzehntelang hat der Landkreis das alternde Naturdenkmal mit viel Aufwand gepflegt." Und weiter: "Nun hat der mit der Kontrolle beauftragte Gutachter bei der letzten Baumuntersuchung vom Dezember 2022 festgestellt, dass der Baum nicht mehr verkehrssicher ist und gefällt werden muss."
Das Landratsamt zitierte auch wörtlich aus dem Gutachten: "In den statisch relevanten Bereichen wird kein Kompensationsholz gebildet, an den Wurzelanläufen sind keine Zuwächse erkennbar, die Fäulen im Stamm, welche durch Holzfäulerreger verursacht werden, sind weit ausgedehnt und das Kambium auf mindestens 50 Prozent des Stammumfanges abgestorben. Die Verkehrssicherheit des Baumes ist nicht gegeben. Aufgrund der schlechten Vitalität ohne positive Tendenz sowie der massiven Fäulen im Stamm sowie Stammfuß ist der Baum nicht zu erhalten."
Da dem Baum keine Standfestigkeit mehr bescheinigt werden könne, forderte das Gutachten eine Fällung innerhalb von vier Wochen. Dieser Zeitraum lief jetzt ab.
Begründet wurde die Fällung ("Der Baum kann jederzeit kippen") auch durch die Lage des Baumes: Der Birnbaum stocke auf einem Privatgrundstück in unmittelbarer Nähe zu der öffentlichen Erschließungsstraße mit Gehweg. Außerdem befinde sich der Parkplatz des Wohnhauses in unmittelbarer Nähe zum Baum.
Ungefähr 150 Jahre alt
In der Pressemitteilung war auch zu lesen, wer einen Birnbaum im Garten anpflanze, müsse sich darüber im Klaren sein, dass diese ein hohes Alter erreichen können. Wildformen könnten bis zu 300 Jahre alt werden. Der durchschnittliche Kulturbaum hingegen wachse bis zu 70 Jahre. Der Birnbaum von Sendelbach dürfte ein Alter von etwa 150 Jahren gehabt haben. "Es ist zu vermuten, dass er in jungen Jahren veredelt wurde, um einen möglichst hohen und wertvollen Ertrag abzuwerfen."
Der Baumkörper mit seinen für die Natur wertvollen Mulmflächen soll nach der Fällung weiterhin der Natur dienen. "Deshalb lässt das Landratsamt den Korpus aus ökologischen Gründen in einer der landkreiseigenen Liegenschaften als naturnahen Lebensraum weiterhin Insekten, Vögeln und anderen Kleintieren zur Verfügung stellen."
Hintergrund: Der Birnbaum neben der Villa SophiaEine ehemalige Bewohnerin hat der Redaktion einmal als Beweis dieses etwa 150 Jahre alte Foto zur Verfügung gestellt. Darauf ist erkennbar, dass der Wildbirnbaum schon damals ein stattliches Aussehen hatte.
Zur Geschichte des Hauses heißt es in der Sendelbacher Chronik: "Der holländische Holzhändler Wyers errichtete 1876 neben der neuen Mainbrücke die Villa Sophia, die er nach dem Namen seiner Frau benannte. Wyers konnte durch unglückliche Handelsspekulationen und den Konkurs zweier Lohrer Kreditanstalten das anspruchsvolle Haus nicht halten. Er geriet 1879 selbst in Konkurs. Die ursprüngliche Aussichtsterrasse wurde später beseitigt und durch ein Walmdach ersetzt".
Die Villa Sophia ging für 16.000 Mark an den Rechtenbacher Holzhändler Gustav Kohl. Später gehörte das Anwesen Sendelbacher Straße 3 dem Tierarzt Volkmar Bock, ehe es an die Eigentümer der Firma Calor überging, die das Haus renovierte.Quelle: hl
