Vom 4. bis zum 18. Dezember wird in der Alten Turnhalle in Lohr die Wanderausstellung „Mut zum Miteinander - Inklusion in Bayern“ des Bayerischen Sozialministeriums zu sehen sein. Der Landkreis Main-Spessart und die Stadt Lohr, die hier kooperieren, haben die Ausstellung um regionale Aspekte erweitert. Elena Reinhard, seit April 2016 Behindertenbeauftragte des Landkreises, hat das Programm koordiniert. Für sie ist Inklusion ein wesentliches Thema ihrer Arbeit.
FRAGE: Inklusion betrachtet alle Menschen als gleichberechtigte Individuen, die von vornherein und unabhängig von persönlichen Merkmalen oder Voraussetzungen Teil der Gesellschaft sind. Wie definieren Sie Inklusion?
ELENA REINHARD: Als Teilhabe für alle. Alle Menschen, egal mit welchen Unterschieden, egal welchen Alters, sollten an der Gesellschaft teilhaben können. Das ist die Definition und Zielsetzung des Begriffes der Inklusion. Alleine schon der Begriff „Einschränkung“ stellt zurück, wertet ab, grenzt ein Stück weit aus. Jeder hat sein Päckchen zu tragen und kommt damit bereits auf die Welt. Als meine Hauptaufgabe sehe ich es an, Menschen allgemein begreifbar zu machen, dass die Behindertenkonvention eine grundlegende Veränderung der Gesellschaft bedeutet. Alle Konventionen laufen letztlich auf die Menschenrechte hinaus – und wir sind alle Menschen!
Inklusion betrifft Menschen in allen Lebensabschnitten. Wie sieht die Arbeit bei uns im Landkreis aus?
REINHARD: Im Grunde beginnt Inklusion bei uns im Landkreis bereits ab der Schwangerschaftsberatung und endet beim Austritt aus dem Leben, also dem Tod eines Menschen. Die Bereiche für Inklusion sind Kindergarten und Schule, Arbeit, Wohnen und Freizeit – diese finden auch ihren Platz in der Wanderausstellung. Es gibt sehr viele Bemühungen auf Landkreisebene, aber das hat natürlich auch seine Grenzen, die zum Beispiel durch verschiedenen Zuständigkeiten vorgegeben sind. Zum Beispiel im Bereich Schulen gibt es klare Vorgaben durch den Freistaat Bayern, denen wir folgen. Auch gesetzliche Vorgaben sind im Wandel, das erste Bayerische Teilhabegesetz trat 2018 in Kraft, weitere Änderungen folgen. Neben allem, was gut funktioniert, gibt es natürlich auch Optimierungsbedarf. Man muss sehen, dass wir mitten in einem Prozess stecken.
Wie steht es um die Inklusion nach der Ratifizierung der Behindertenkonvention 2009 heute im Landkreis konkret?
REINHARD: Sehr stark entwickelt hat sich der Freizeitbereich mit Inklusionsangeboten, zum Beispiel im Sport, aber auch im kulturellen Bereich, so mit unserer Inklusionsband „MiPpies“, die auch bei der Ausstellungs-Eröffnung auftreten wird. Schulisch gibt es die Bemühung, jegliche Kinder mit jeglichem Förderbedarf zu unterrichten. Hierfür gibt es im Landkreis Regelschulen, Förderzentren, Schulen mit dem Profil „Inklusion“ und die „Flexible Grundschule“. Solche flexiblen Schulen gibt es zertifiziert in Arnstein, Zellingen und Lohr. Auch technische Hilfen und die Digitalisierung haben hier viele neue Möglichkeiten eröffnet. Man muss jedoch sehen, dass im jetzigen Stadium sowohl Kinder als auch Eltern Pioniere sind.
Wo sehen Sie noch Entwicklungspotenzial?
REINHARD: Viel Optimierungspotenzial gibt es noch im Bereich Wohnen. Es fehlt im Landkreis an sozialem, barrierefreiem Wohnraum, dies betrifft vor allem junge Menschen, die sich zum ersten Mal von den Eltern lösen, junge Familien und Senioren. Im Bereich Mobilität ist der ÖPNV engagiert, doch auch hier ist Barrierefreiheit etwa an Bushaltestellen noch ausbaufähig. Verbesserungen sehe ich dringend notwendig bei der Erstattung von Fahrtkosten. Da der Landkreis recht groß ist, müssen längere Strecken überwunden werden, um an Angeboten teilhaben zu können. Dies scheitert zu oft noch an den Fahrtkosten. Auch für Schulen wären zusätzliche Kräfte, zum Beispiel Sozialpädagogen, wünschenswert, um Inklusion weiter umsetzen zu können.
Warum ist Inklusion für viele Menschen noch befremdlich?
REINHARD: Viele haben Ängste, weil es für sie noch keine Berührungspunkte mit dem Thema gab. Menschen sind in der Regel so mit sich befasst, dass sie sich nur tiefer mit dem auseinandersetzen, was sie selbst konkret betrifft. Erst wenn im näheren Umfeld Bedarf eintritt, wird die Aufmerksamkeit in der Regel größer. In unserer Ausstellung hat jeder die Möglichkeit, auch von außen einen Blick auf dieses Thema zu werfen und macht dabei vielleicht überraschende Entdeckungen.
Ist die Ausstellung barrierefrei?
REINHARD: Ja, sie ist barrierefrei zugänglich und auch für hörgeschädigte Menschen barrierefrei durch eine mobile induktive Höranlage. Auf Nachfrage können wir auch noch einen Gebärdendolmetscher für die Auftaktveranstaltung zur Verfügung stellen. Wichtig ist uns, Barrierefreiheit für alle zu erreichen, nicht nur für die sichtbaren Behinderungen. Insbesondere möchten wir auch Familien, Schulklassen, Senioren und Firmen ansprechen, für die die Barrierefreiheit allesamt von Vorteil ist.
Die Ausstellung möchte Menschen für die Belange behinderter Mitmenschen sensibilisieren. Wie soll das geschehen?
REINHARD: Bereits in unserer Auftaktveranstaltung gibt es mehrere Highlights. Da ist zum einen die musikalische Umrahmung durch unsere Inklusionsband die „MiPpies“, in der Menschen mit und ohne Behinderung im Alter von 14 bis 71 Jahren zusammen spielen, zum anderen die Verleihung des Signets„Bayern barrierefrei – Wir sind dabei!“ an die Stadt Lohr. Es werden Kunstobjekte von Schülern der Sankt Kilian- und der Sankt Nikolausschule zu sehen sein sowie auch eine Fotoausstellung der Mainfränkischen Werkstätten mit dem Projekt „Inklusiv – gemeinsam arbeiten“, über Menschen mit Behinderung an ausgelagerten Arbeitsplätzen, etwa im Einzelhandel oder in Schulen.
Was erwartet die Besucher noch?
REINHARD: Vorgestellt wird auch die neu geschaffene Beratungsstelle „Ergänzende Unabhängige Teilhabeberatung“ mit Sitz in Gemünden, wo Betroffene selbst beratend tätig sind im so genannten Peer Counseling. An teils interaktiven Stationen können Besucher sich anschaulich und lebendig über Inklusion im Leben, Wohnen und Arbeiten informieren. Im Rahmenprogramm beraten und informieren die verschiedenen Kooperationspartner zu Schule, Pflege und barrierefreiem Wohnen, der Kreisseniorenbeirat lädt zu einer Exkursion ein, Selbsthilfegruppen stellen sich vor. Kulturelles Highlight ist ein Klavierkonzert von Lewin Krumpschmid, viel Spaß verspricht eine offene Bandprobe der MiPpies.
Was wäre Ihr Wunsch, was bei den Besuchern hängen bleiben sollte?
REINHARD: Besucher sollten die Ausstellung möglichst mit weniger Barrieren und Ängsten im Kopf verlassen. Ziele sind die Aufklärung darüber, dass Inklusion eine gesamtgesellschaftliche positive Aufgabe ist, und dieses Umdenken zu verankern.
Was kann jeder Einzelne tun, um Inklusion in der Gesellschaft voran zu bringen?
REINHARD: Menschen sollten sich mit dem Thema auseinandersetzen und keine Berührungsängste haben, denn die positiven Erfahrungen überwiegen und sind eine Bereicherung fürs Leben. Der Besuch der Ausstellung ist ein erster Schritt zur Inklusion in der Gesellschaft, denn Inklusion beginnt im eigenen Wirkungskreis.