Soeben noch sang er in das bekannte Fronleichnamslied „Adoro te devote“ von Thomas Aquin, feierte er mit 50 Gläubigen eine Maiandacht, kniete er – angetan mit einem schlichten, weißen Chorhemd über der Soutane – vor dem Hauptaltar der Wallfahrtskirche. 15 Minuten später nähert er sich fast zaghaft und schüchtern einem seltsamen Gefährt hinter der Buchenmühle, erwartet von zwei Dutzend Rettersbachern: Pater Josef Aszyk tritt an, um Buße zu tun.
Der Geistliche aus Polen hatte sich an einer bayerischen Tradition versucht und – ohne sich der juristischen und volkstümlichen Folgen bewusst zu sein. Zumindest nahm er sie billigend in Kauf. Er wurde nicht gestellt – kein Mensch hätte ihn je verdächtigt. Er hatte sich selbst gestellt.
Sein Büßergewand ist, nun ja, gewissermaßen stilecht: eine zünftige kurze Lederhose nebst Trägern, ein schmuckes weißes Trachtenhemd, weiße Strümpfe und Haferlschuhe. Einziges Manko: Die Hose, die er vor zehn Jahren bekommen hat, als er noch etwas dicker war, hängt mehr an den Trägern, als dass die Hüften sie tragen. Zweites Problem: Das Fass Kreuzbergbier, das ihm die Rettersbacher auferlegt hatten, wäre viel zu schwer für den kleinen Mann mit seinen 65 Kilogramm. aber viel zu steil, als dass er ihn mit Fass bewältigen könnte.
Hose zu groß, Fass zu schwer
Hose zu groß, Fass zu schwer – der Kapuziner trägt's mit Fassung und hat eine hilfreichen Wohltäter: Gerhard Rüb, Seniorchef der Baumschule Müllerklein aus Karlstadt, hatte Mitleid mit dem 39-Jährigen. Er spendierte die zwei 30-Liter-Fässer Kreuzbergbier und dazu noch eine Freifahrt in seiner motorisierten Schubkarre mit Kettenlaufwerk, ausstaffiert mit einer kleinen, bändergeschmückten Birke als Baby für den um Manneshöhe gekürzten Maibaum und einem Gartenstuhl als Thron für den reuigen Sünder.
„Auf geht's, heut' ist wieder so weit“ intoniert das Quetsche-Männle, Gerhard Werthmann, auf seinem Akkordeon – und los geht's: das Pater-Mobil vorneweg, die Rettersbacher, gut zwei Dutzend an der Zahl, hinterher, stolze 80 Höhenmeter hinauf zu den Bierbänken am Maibaum, platziert zwischen Hof 1 und Haus 2a in dem Weiler ohne Straßennamen mit seinen 13 Anwesen. Ja, fünf Meter hin und fünf Meter zurück trägt Pater Josef es dann wirklich auf seiner Schulter, ein Fässle Klosterbier. Für die Galerie sozusagen, symbolisch. Das Quetsche-Männle spielt den Hochzeitsmarsch dazu.
Kompromiss nach harten Verhandlungen
Eigentlich hatten die Rettersbacher dem Maibaum-Frevler viel mehr abverlangt: Der Kasten Bier, mit denen der Pater Buße tun wollte, war ihnen nicht genug. 50 Liter, und das vom Kreuzberg, im Handwagen auf die fränkische Platte gezogen, hatten sie gefordert. „Die Gespräche waren nicht leicht“, gesteht Pater Josef. „Sie (die Retterbacher) waren echt sauer!“ Bei der Buße hätten sie schon „hoch gegriffen“, gesteht das Quetsche-Männle. „Aber man muss ja Kompromisse schließen können.“ Der Pater sollte das Fässle nur von Maria Buchen aus hochschleppen. „Aber wie er die Zusage gemacht hat, wusste er noch nicht, wie schwer es ist.“
Jetzt aber steht es da. Schlegel und Gläser sind schneller organisiert als das danach, was sich beinahe zu einer Katastrophe auswächst: Der Pater schlägt sechsmal mit dem Gummihammer, es spritzt, er schlägt nochmals, es spritzt wieder, „Druff! Druff“, brüllen die Rettersbacher in Panik, doch der Geistliche sucht unbeholfen das Weite. „Moment, Du musst vorn bleiben!“ befehlen ihn die rachsüchtigen Einheimischen zurück. Doch der Pater verdrückt sich auf eine Bank an der Seite und überlässt die Rettung des edlen Gebräus einem Fachmann.
Dramatischer Kampf um den Gerstensaft
180 Sekunden lang kämpft Paul Kohlhepp mit Hahn, Fass und dem vom Pater verschlagenen Gummiring. Er siegt. Das Bier fließt. Das Quetsche-Männle, 67 Jahre alt und topfit, trinkt sein erster Glas, assistiert von seiner Schwiegertochter, im Kopfstand auf dem Biertisch. Ein Nachbar tuckert mit dem Traktor heran, eine Feuerschale mit brennenden Buchenscheiten an die Schwinge gekettet. „Trink ma no a Tröpfle“ intoniert das Quetsche-Männle.
Es dämmert. Rund 30 Leute stehen noch um das Feuer herum, Pater Josef hat sein zweites Glas Bier in der Hand. „Er hat gesagt, er trinkt nur eines, aber wir haben ihm zwei erlaubt“, verrät das Quetsche-Männle. Die Rettersbacher seien jetzt „voll zufrieden“, grinst er verschmitzt. Und der Pater? Der hat nicht nur Buße getan, sondern auch dazu gelernt. „Das mach ich nicht mehr“, gelobt er hoch und heilig. „Das macht einmal Spaß. Aber beim zweiten Mal ist es nicht mehr so lustig, so lebendig.“
Im Fernsehen nur inszeniert
So stellt sich der Abend dann doch ein bisschen anders dar, als es das Bayerische Fernsehen in seiner Abendschau gesendet hat – bereits eine Stunde vor der Maiandacht. Das Kamerateam hatte nicht nur die Freveltat nachgestellt, sondern auch den geplanten Ablauf tagsüber inszeniert, um den Beitrag zu senden, noch bevor der Bußgang mit Bierfass absolviert war.