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Lohr: Bewegender Blick in dunkle Epoche

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    Der Vorsitzende des Geschichtsvereins, Wolfgang Vorwerk, bei der Vorstellung des aktuellen Jahrbuchs in der alten Turnhalle.
    Der Vorsitzende des Geschichtsvereins, Wolfgang Vorwerk, bei der Vorstellung des aktuellen Jahrbuchs in der alten Turnhalle. Foto: Wolfgang Weismantel

    Wie gewohnt eine breite Palette an Themen bietet das aktuelle Jahrbuch des Lohrer Geschichts- und Museumsvereins, das in der alten Turnhalle vorgestellt wurde. Der Vorsitzende Wolfgang Vorwerk sprach vor den Gästen des Abends über die neuen Forschungsbeiträge aus Lohr und Umgebung. Diese hatten verschiedene Autoren für die 10. Ausgabe des seit 2012 regelmäßig erscheinenden Jahrbuchs beigetragen. Bei der Präsentation konnten auch die ersten Exemplare erworben werden.

    Auch diese Jahrbuch-Ausgabe, die 250 Seiten umfasst, wurde von Sabine Fiedler-Conradi redaktionell betreut. Die Redaktionsleitung hatte sich aufgrund der Fülle der eingegangenen Beiträge dazu entschlossen, für diesen Band als Themenschwerpunkt die Zeit des Nationalsozialismus zu setzen. Im Vorwort schreibt Vorwerk dazu: "Auch diese dunklen Jahre müssen nachlesbar und nachvollziehbar gemacht werden. Vorträge alleine können dies nicht leisten. Der Stoff muss aufgeschrieben sein. Nur so können wir unser Wissen auch weitergeben." Alle übrigen Beiträge zu anderen Themen sollen im Jubiläumsjahr des Geschichtsvereins, der 2024 dann 65 Jahre alt wird, in der 11. Ausgabe erscheinen.

    Zahlreiche Familien betroffen

    Die ersten drei Texte des aktuellen Werks gehen auf die Euthanasiemorde im Dritten Reich ein. Diese Patientenmorde der Nazis fanden auch in der Lohrer Heil- und Pflegeanstalt statt und es waren dort Hunderte von Opfern und Angehörige von zahlreichen Lohrer Familien betroffen. In einem Artikel wird auch das von München verordnete Hungersterben in den Jahren 1943 bis 1945 sehr bewegend behandelt.

    Autoren sind neben Wolfgang Vorwerk der ehemalige ärztliche Direktor des Bezirkskrankenhauses (BKH), Gerd Jungkunz, und Oberarzt Raoul Poamentier. Der Verein wollte damit im 111. Jahr des Bestehens des Bezirkskrankenhauses die Geschichte der Anstalt in den dunklen Jahren 1933 bis 1945 vom Sommerberg herunter in die Stadt holen und auch zu einem Kapitel der Stadtgeschichte Lohrs machen. Dominikus Bönsch, Ärztlicher Direktor des BKH, bedankte sich ausdrücklich dafür, dass das Schicksal psychisch kranker Menschen, die auch heute noch mehr Beachtung finden sollten, hier genau untersucht werde.

    Beiträge zu Joseph Schloßmann

    Besonders am Herzen lagen dem Vorsitzenden zwei Beiträge zu Joseph Schloßmann, Lohrer Ehrenbürger und Theresienstadt-Opfer vor 80 Jahren (1943). Dessen Name ist allen Nazi-Bemühungen zum Trotz nicht aus den Annalen der Stadtgeschichte verschwunden. Ganz im Gegenteil: Heute kann man sogar den ihm zu Ehren von der Stadt geschaffenen "Schloßmann-Blick" besuchen.

    Der im September 2022 auf dem Dachboden der alten Synagoge in der Fischergasse gefundene Toraschrein der Israelitischen Kultusgemeinde Lohr ist Gegenstand eines Restaurationsberichts des Fürther Restaurators Edgar Harmann und eines Aufsatzes von Vorwerk. Darin wird unter anderem die damalige Fundsituation des Toraschreins beschrieben, der wie das Innere der Synagoge von der SA in der Reichspogromnacht zerstört wurde. 

    Ein Beitrag von Karl Anderlohr befasst sich mit dem Leben und Wirken von Bruno Rothschild aus dem jüdischen Haus Rothschild am Oberen Markplatz. Er konvertierte zum katholischen Glauben und wurde katholischer Priester. Doch er geriet auch zweimal ins Fadenkreuz des berüchtigten Nazi-Hetzblattes "Stürmer". Sein früher Tod 1932 bewahrte ihn möglicherweise vor schlimmeren Lebensbedrohungen durch die Nazis. Seine Großcousine Ellen Margot Isaak, geborene Rothschild, die im Oktober 2023 in San Francisco ihren 100. Geburtstag feierte, wusste noch von Bruno. Er habe auf seine Weise glücklich werden wollen, berichtete sie in einem Gespräch mit Vorwerk, der den Kontakt mit ihr aufgebaut hatte.

    50 neue Mitglieder gewonnen

    Leonhard Scherg aus Marktheidenfeld schließlich erinnert in seinem Beitrag eindrucksvoll an das kleine Fotoalbum von Serry Adler, das sie bei der Deportation in ein Konzentrationslager nach Polen aus dem Zug geworfen hat. Damit rettete sie es als Dokument für die Nachwelt. Mit der Vorstellung dieses ungewöhnlichen Zeugnisses gibt der Autor der Deportation von über 2000 unterfränkischen Juden in die Vernichtungslager des Ostens ein weiteres bewegendes Gesicht, das eines 17-jährigen Mädchens aus Urspringen.

    Abschließend wies der Vorsitzende Vorwerk noch darauf hin, dass sich die Leser auch über das vielfältige Vereinsleben seit Juni 2021 informieren können, als das letzte Jahrbuch noch von Josef Harth herausgegeben wurde. Besonders erfreulich sei der Zuwachs um 50 neue Mitglieder, die der Verein gewinnen konnte. Weitere Geschichtsfreunde seien immer willkommen.

    Das Jahrbuch unter dem Titel "Beiträge zur Geschichte der Stadt und des Raumes Lohr Band 10 - 2022/2023" ist in den Buchhandlungen Schöningh und Grote erhältlich.

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