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ESSELBACH: Brieftauben - die Athleten der Lüfte

ESSELBACH

Brieftauben - die Athleten der Lüfte

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    Da biegen sich die Balken: ein Teil der Pokale, die Dosch im Laufe der Jahre gewonnen hat.Franziska Jünger
    Da biegen sich die Balken: ein Teil der Pokale, die Dosch im Laufe der Jahre gewonnen hat.Franziska Jünger Foto: Foto:

    Gebückt steht Günter Dosch in einer der engen Volieren in seinem Garten. Zahlreiche Tauben flattern um ihn herum. Sie wollen die besten Körner aus der Mischung erwischen, die ihr Züchter ihnen in den Trog füllt. In seinem grauen Kittel steigt er täglich mehrmals zu seinen Tauben in den Schlag. Eine Tätigkeit, die ihm vertraut ist, seit über 50 Jahren.

    „Das ist schon so was wie eine Sucht“, gibt Dosch mit einem Lächeln zu. Was er meint, ist die enge Beziehung zu seinen Tieren. 150 Tauben sind es inzwischen. Er erkennt jede von ihnen schon von Weitem, hat zu fast jeder etwas zu erzählen. Eine liegt ihm jedoch besonders am Herzen: Sieben Flüge hintereinander hatte er mit ihr den ersten Platz geholt. Beim achten Mal kehrte sie nicht zurück. „Sie ist dann fünf bis sechs Wochen später gekommen, völlig abgekämpft und mit einem Loch in den Federn“, erzählt Dosch, stockt und seine Augen füllen sich mit Tränen. Ein Habicht hatte sie erwischt – zusammen mit dem Wanderfalken der Hauptgegner der Tauben. „Wenn er eine holt, dann eine der Besten.“

    Der 69-Jährige widmet sich seinen Tauben mit Hingabe und räumt zur Belohnung zahlreiche Preise ab. Seine Motivation ist aber eine andere: „Es geht mir nicht um die Pokale, sondern um diesen Moment, wenn sie den Heimatort erreichen.“ Bei seinem Verein, der Reisevereinigung Main-Tauber, ist Dosch seit fast 60 Jahren Mitglied, und damit gleichzeitig auch im Verband Deutscher Brieftaubenzüchter. Mit elf Jahren fing er an, sich mit den Tauben des älteren Bruders zu beschäftigen. Jahr für Jahr kümmerte er sich intensiver um die Tiere, anfangs in seinem Geburtsort Marktheidenfeld, ab 1974 dann in Esselbach.

    Brieftaubenzucht ist ein intensives Hobby. 365 Tage im Jahr müssen die Schläge gesäubert, die Tiere mit Wasser und Futter versorgt sowie morgens und abends mindestens eine halbe Stunde aus ihren Käfigen gelassen werden. „Hygiene ist das A und O“, betont Dosch. Nur, wenn die Tauben kerngesund sind, könne er es ihnen zumuten, sie bei den anstrengenden Wettkämpfen einzusetzen. „Die Tiere sind meiner Meinung nach Athleten.“

    65 bis 70 Kilometer pro Stunde legen die Tauben im Durchschnitt zurück, bei Rückenwind können sie bis 120 Stundenkilometer erreichen, und das bei Strecken von über 500 Kilometern, etwa aus Südfrankreich. Damit alle Vögel eine Chance haben, nach Hause zurückzukommen, tragen sie einen blauen Klippring mit der Telefonnummer ihres Züchters. Ein zweiter Ring, in dem ein Chip steckt, hat die Vereinsnummer, den Jahrgang der Taube sowie die laufende Nummer gespeichert – sozusagen der Personalausweis der Tauben. „Ohne die Ringe sind sie wertlos“, sagt Dosch.

    Wenn die Tiere von ihren Auflassorten in die Heimat zurückgefunden haben, müssen sie über eine Platte laufen. „Das macht dann Piep wie bei Aldi an der Kasse“, sagt der 69-Jährige. Mit Hilfe des Chips kann ihre Geschwindigkeit rasch berechnet werden. Aber was für die Taubenzüchter am spannendsten ist, ist die Zeit davor. „Da steigt der Adrenalin-Pegel“, erzählt Dosch. „Dann läuft man unruhig durch die Gegend, 20-mal die Treppe rauf und runter.“

    Aber warum haben es die Tiere eigentlich so eilig, in den heimischen Schlag zurückzukehren? Es sind die natürlichen Instinkte, die sich die Züchter zu Nutzen machen: Sexentzug. Oder salopp ausgedrückt: Die Vögel dürfen nicht vögeln. Zumindest nicht oft und lange. Männchen und Weibchen sind also die Woche über getrennt. Kurz bevor sie mit Transportern an den Auflassort für den Wettkampf gebracht werden, dürfen sie sich einige Minuten lang vergnügen, bevor sie wieder getrennt werden. „Totale Witwerschaft“ nennt man diese Methode auch.

    Kleiner Haken bei der Sache: Während die Männchen immer zu ihrem einen Weibchen zurück wollen, kann es bei den Weibchen je nach Rasse passieren, dass sie sich bei fehlenden Männchen ganz einfach ein anderes Weibchen für ihr Schäferstündchen suchen – lesbische Tauben also.

    Was die Zukunft seiner Leidenschaft angeht, ist der Esselbacher pessimistisch: „Der Sport ist mehr oder weniger am Aussterben.“ In der Region gebe es nur noch zwölf Aktive, davon keinen unter 60 Jahren. „Bald ist der schöne Sport ad acta gelegt.“ Dosch aber will weitermachen, so lange er irgendwie kann.

    Brieftaubenzucht

    Als Kerngebiet der Taubenzucht in Deutschland gilt das Ruhrgebiet. Der Verband Deutscher Brieftaubenzüchter ist die Dachorganisation mit Sitz in Essen. In Kriegen und von Geheimdiensten wurden die Tauben als Überbringer von Nachrichten eingesetzt. Wie sich die Vögel auf ihrem Flug orientieren, ist nicht ganz klar. Vermutet wird, dass die Sonne und das erdmagnetische Feld entscheidend sind. Zweimal im Jahr legen die Taubenweibchen Eier, die sie 17 Tage brüten. Nach etwa 24 Tagen werden die Jungen von ihren Elterntieren getrennt und im Alter von zwei bis drei Monaten erstmals für Wettkämpfe trainiert. JFR

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