Alles verschwimmt, nur noch die Umrisse der Gegenstände und starke Kontraste sind erkennbar. Alles andere wird zu einer großen, grauen Masse. Das Schmieren des Frühstücksbrötchens wird zu einer Herausforderung und ein Buch zu einer gebundenen Ansammlung von Blättern.
Das Gefühl, wenn das Augenlicht nachlässt und man faktisch blind ist, haben die Schüler der Offenen Ganztagsschule (OGS) des Johann-Schöner-Gymnasiums in einer Projektwoche erlebt. Mit einer Brille, die hundert Prozent Sehbehinderung simulieren soll, bekommen die Schüler an verschiedenen Stationen Einblicke in die Welt der Blinden.
„Blind sein, heißt in den meisten Fällen nicht, dass man nur noch schwarz sieht“, erklärt David Krug, pädagogische Fachkraft an der OGS und Mitarbeiter der Lebenshilfe. Deshalb sind die Brillengläser, die die Schüler vom Blindeninstitut in Würzburg ausgeliehen haben, nicht schwarz, sondern mit einer Folie, ähnlich einer Klarsichtfolie, beklebt. Nur noch Umrisse sind zu erkennen.
Wenn Rosenblätter seifig stinken
Martin gibt Jula eine verschlossene Dose mit Gewürzen in die Hand. Vorsichtig ertastet sie den Gegenstand, bis er fest in ihrer Hand liegt und sie den Deckel öffnen kann. Vorsichtig riecht sie an der Dose. Gar nicht so einfach. „Die Schüler erraten die Sachen nicht immer“, sagt Petra Gerhard, Betreuerin in der OGS. „Ein Glas mit Rosenblättern hat ein Schüler sogar als stinkende Seife bezeichnet.“
Auf dem Nachbartisch liegen in einem Stoffbeutel Haushaltsgegenstände, die die Schüler tasten müssen. Kein Problem: Backpinsel, Kochlöffel, Nudelholz und Dosenöffner haben sie schnell erfühlt. „Um den Schülern zu zeigen, welche Hilfsmittel es so gibt, hat uns das Blindeninstitut Zeichenfolie für Blinde, taktile Landkarten und Busfahrpläne mitgegeben“, erläuterte Petra Gerhard. Aber selbst einfache Zeichnungen oder Symbole wie Herz oder Viereck sind mit den Fingern von der Folie nur schwer zu ertasten. Auch das Tasten der Blindenschrift war für den Großteil der Schüler nahezu unmöglich.
„Wir haben überlegt, etwas Soziales zu machen“, begründet Petra Gerhard die Entscheidung, die Aktion „Licht aus“ zu machen. In der OGS machen die Betreuer wöchentlich mit den Schülern aus der fünften bis achten Klasse verschiedene Aktionen. Das Thema wollen die Betreuer in den nächsten Tagen mit den Schülern zusätzlich nacharbeiten.
Sachen werden unsichtbar
An einer anderen Station sollen die Schüler mit der Brille, die Blindheit simuliert, ein Brötchen schmieren. Bevor sie sich setzen, wissen die Schüler nicht, was alles auf dem Tisch steht. Zum Glück sind die Frühstücksbrettchen in einem kräftigen blau in starkem Kontrast zum hellen Holztisch. Denn schnell wird klar: Kontrastarme Gegenstände werden von den Schülern überhaupt nicht wahrgenommen. Auf einem blauen Teller liegen Trauben und ein paar Scheiben Käse, mit der Brille schnell als Birne und Banane interpretiert. Die gekochten Eier in der weißen Schale werden auf dem hellen Tisch unsichtbar und der Korb mit Brötchen zu einem großen braunen Fleck. „Das Glas mit Schokoladenjoghurt halten viele Schüler für Nutella. Wenn sie dann sehen, was sie auf ihr Brot geschmiert haben, ist die Überraschung groß“, erzählt Magdalena Weismann, pädagogische Mitarbeiterin der OGS. Auch das Schmecken von Obst fiel nicht jedem leicht.
Donnerstags ist Bewegungstag in der OGS. „Wir haben einen Blind-Kick gemacht“, erzählt Petra Gerhard. Den Schülern wurden beim Fußballspielen die Augen verbunden, andere Kinder versuchten sie dann auf Kommando durch das Spiel zu dirigieren. Auch Eltern und Geschwister waren zur Aktion eingeladen. Durchweg positiv war danach ihre Resonanz. Am häufigsten kam die Aussage, dass blind sein nicht Dunkelheit bedeut. „Die Schüler haben die Verwandten auch toll in die Thematik eingeführt und alles gut erklärt. Man hat gemerkt, dass sie viel gelernt hatten und eine Sensibilität im Umgang mit Blinden, wenn auch nur durch die Brille blind, erlangt hatten“, sagt Katja Stingl von der OGS.
„Für uns ist es eher wie ein Spiel. Wir können die Brille einfach wieder absetzen“, sagt ein Schüler. Die Schüler nehmen das Projekt unterschiedlich auf, sagt David Krug. Nicht bei allen komme es an, aber „mindestens die Hälfte wird dafür sensibilisiert und damit ist schon einiges erreicht.“