Icon Menü
Icon Schließen schliessen
Startseite
Icon Pfeil nach unten
Main-Spessart
Icon Pfeil nach unten
Marktheidenfeld
Icon Pfeil nach unten

MARKTHEIDENFELD: Burgführer im Land der Vampire

MARKTHEIDENFELD

Burgführer im Land der Vampire

    • |
    • |
    Zweites Zuhause: Wolfgang Zenglein führt mehrmals im Jahr Touristen durch die Kirchenburg in Deutsch-Weißkirchen und lebt im angrenzenden Predigerhaus.
    Zweites Zuhause: Wolfgang Zenglein führt mehrmals im Jahr Touristen durch die Kirchenburg in Deutsch-Weißkirchen und lebt im angrenzenden Predigerhaus. Foto: FotoS: Zenglein

    Es ist die Geschichte von Graf Dracula, die die meisten mit Transsilvanien verbinden. Es waren aber nicht der Obervampir und andere Untote, die Wolfgang Zenglein aus Marktheidenfeld nach Rumänien führten. Es war das Schicksal. Oder etwas in der Art.

    Seit mittlerweile zwei Jahren reist der 67-jährige Pensionär immer wieder ins Zentrum Rumäniens, nach Transsilvanien, das auch Siebenbürgen genannt wird, und führt Touristen durch eine Kirchenburg. Er vermittelt ihnen die Kultur einer Region, die aus einer anderen Zeit zu stammen scheint und ihm lange fremd war. Aber wie verschlägt es einen Franken nach Transsilvanien?

    1969, als typischer Student dieser Generation, mit Drang nach Freiheit und Weite, wollte er nach Skandinavien. Der VW-Käfer, der ihn und seine Studienkollegen in den Norden bringen sollte, gab seinen Geist auf. Da kam das Angebot des Volksbundes Deutsche Kriegsgräberfürsorge gerade zur rechten Zeit: drei Wochen Rumänien für 200 Mark und etwas Arbeit. Die jungen Männer sollten kategorisieren, wo die deutschen Soldaten im Zweiten Weltkrieg gefallen waren. Was sie vorfanden, überraschte: eigene Friedhöfe für die Deutschen, die ehemaligen Feinde. „Die Gräber der deutschen Soldaten waren nicht weniger gepflegt als die eigenen. Das war oft rührend und hat uns beeindruckt“, erinnert sich Zenglein.

    Bei einem zweiten Besuch in Rumänien – zwei Jahre später – lernte er seine heutige Frau kennen. Ilona, die zu der ungarischsprachigen Volksgruppe der Székler gehört.

    Mehr als vier Jahrzehnte danach, im Jahr 2013, reiste er mit ihr nach Transsilvanien. In der Karpaten-Gegend leben Siebenbürger Sachsen, eine deutsche Minderheit in Rumänien. Im 12. Jahrhundert siedelten sie aus den Regionen um Köln, Trier und Lüttich im heutigen Luxemburg nach Siebenbürgen über. Rheinländer, Flandern und Nordfranzosen flohen vor Hungersnot und Seuchen.

    Transsilvanien scheint in vergangenen Zeiten stehen geblieben zu sein: So wie die Bauten, ist auch die Sprache der Bewohner im Mittelalter offenbar eingefroren worden. Der Dialekt ist ein uraltes Kölnerisch. Von den ursprünglich etwa 700 Siebenbürger Sachsen gibt es heute nur noch wenige direkte Nachfahren. Wolfgang und Ilona Zenglein begegneten einer solchen Frau in Deutsch-Weißkirchen, einem von den sächsischen Höfen und der Kirchenburg geprägtem Dorf – es ist Unesco-Weltkulturerbe. Das Ehepaar aus Franken wollte die Burg besichtigen, die jedoch geschlossen war. „Es hat mich gereizt zu sehen, was von der sächsischen Welt noch da war“, erzählt Zenglein. Als die über 70-jährige, gebrechliche Burghüterin Wolfgang und Ilona Zenglein begrüßte, redete sie mit ihnen wie mit alten Bekannten. Die Dame erzählte vom Leben im Dorf, auch vom Leben auf und mit der Burg. Zenglein sagte, dass er pensioniert ist und er und seine Frau bei den Burgführungen ja helfen könnten, wenn sie nur in der Nähe wohnen könnten. Ein Satz ins Blaue hinein gesprochen – er markierte den Anfang von etwas Neuem.

    Die Burghüterin schaute sie kurz an und sagte: „Dann kommen Sie halt, wir werden Sie hier schon unterbringen.“ Binnen Sekunden hatte sie entschieden, die beiden Touristen in die Dorfgemeinschaft einzugliedern. Mit weichen Knien, aber auch einem guten Gefühl, in den alten Mauern eine glückliche Zeit zu verbringen, stiegen Wolfgang und Ilona Zenglein die Treppen zur Kirchenburg hinauf.

    Zurück in Deutschland, erreichte sie eine Mail: „Wir werden Sie im Predigerhaus unterbringen. Das passt zu Ihnen.“ Und so wurde aus einem Urlaubsort die neue Heimat auf Zeit. „Es war die Einladung, eine Rolle anzunehmen, die vakant ist“, erinnert sich Zenglein, der im Sommer 2013 mit Unterstützung seiner Frau den ersten Dienst als Burgführer antrat. „Die ganze Geschichte ist mir einfach so über den Weg gelaufen“, blickt Zenglein zurück. In seinem Reisebericht schreibt er:

    „Wir wurden hier gebraucht und erhielten dafür ein Stück Heimat. Wir gehörten dazu und durften aus der Kraft und der Magie des Ortes Lebensfreude schöpfen, uns mit den Einheimischen freuen und den gemeinsamen Optimismus ausleben. Dafür lohnt sich jede Mühsal.“

    Wenn Zenglein spricht, ist jede Formulierung, jeder Satz, auch jede Pause genau gesetzt. Seine ruhige, bedächtige Sprechweise passt zu seiner Bescheidenheit. Wolfgang Zenglein beherrscht neben Deutsch vier weitere Sprachen: Englisch, Französisch, Ungarisch und Rumänisch. Er ist weit gereist. War in Südamerika und Klein-Tibet. Bis vor fünf Jahren war er Lehrer am Balthasar-Neumann-Gymnasium in Marktheidenfeld. Der 67-Jährige unterrichtete aber keine Sprachen – er war Mathe- und Physiklehrer.

    Genau wie in Deutschland hat Zenglein auch in Rumänien den Status eines pensionierten Lehrers. Er gilt auch als Kulturträger in Siebenbürgen, genauer in Deutsch-Weißkirchen. Zu verdanken hat er das seiner Musikalität. „Zugegebenermaßen habe ich am Anfang vor allem darauf spekuliert, hier Orgel zu spielen.“

    Zwischen den Führungen mit teilweise mehr als 600 Besuchern pro Tag kommt er aber selten dazu. „Die Leute, die kommen, suchen eine Verlangsamung ihres Lebens, die gute alte Zeit, vielleicht auch den Glauben“, sagt Zenglein. Der Großteil der Leute sei spirituell motiviert. „Was nervt, sind Leute, die nur bespaßt werden wollen.“

    Es sei faszinierend, Gastgeber in einem Gotteshaus zu sein. Die Sachsen leben von jeher einen sehr liberalen Protestantismus, der ohne extremen Anti-Katholizismus auskommt. „Die Leute haben andere Probleme gehabt als religiöse Abgrenzung. Es ging da oft ums Überleben“, erklärt Zenglein, der sich intensiv in die siebenbürgische und Deutsch-Weißkirchener Geschichte eingelesen hat. Ein weiterer Auszug aus seinem Reisebericht zeigt, dass tiefe Verbundenheit entstanden ist:

    „Eine erstaunliche Offenheit und Zutraulichkeit stellte sich ein und wir hatten an einem Tag mehr gute und tiefgründige Gespräche als in Deutschland in einem ganzen Monat. Die Herzlichkeit der Besucher war oft überwältigend. Wir hatten die Verantwortung für die Anlage und wurden von den Besuchern als die temporären Burgherren angesehen, als Repräsentanten der örtlichen Bewohner. Das verpflichtete uns, gute Gastgeber zu sein, und auf die vielen Besucher, die das erwarteten, persönlich einzugehen.“

    Der Zustand des Dorfes zeugt noch heute von Problemen. Der Tourismus hat zwar Geld gebracht, aber das allein löst die Probleme nicht. Die siebenbürgisch-sächsische Bevölkerung ist überaltert. Sie hat durch ihre Landwirtschaft wenig Zeit, als Fremdenführer für die Touristen zu agieren, und die zugewanderten Roma oder Rumänen interessieren sich nicht für sächsische Geschichte und Kunst.

    Trotz einiger Modernisierungen erscheinen die siebenbürgischen Dörfer als Orte fernab der Zivilisation. Pferdekarren sind immer noch ein beliebtes Fortbewegungsmittel. Kirchen und Burgen verfallen. Und das, obwohl Deutsch-Weißkirchen noch ein zweites Gesicht hat. Zenglein spricht vom „St. Tropez der Karpaten“. Prominente, Reiche und Schöne kommen im Sommer her – allen voran Prinz Charles, Prince of Wales, der hier einen Bauernhof hat. Der britische Thronfolger hatte sich in die Gegend verliebt und mit dafür gesorgt, dass sich im Westen Initiativen und Dorfpatenschaften zur Unterstützung für Siebenbürgen bildeten.

    „Ich glaube, dass der Mensch nicht nur eine Heimat hat, sondern viele Plätze auf der Erde, wo er entschleunigt.“ Für Zenglein gehört Deutsch-Weißkirchen inzwischen dazu. Er beschreibt die Siebenbürger Sachsen als ein Volk mit Ecken und Kanten. In seinem Reisebericht vergleicht er ihre Mentalität mit der der Franken:

    „Das Volk der Siebenbürger Sachsen, Moselfranken, sind uns Mainfranken in allen guten, aber auch nicht so vorteilhaften Eigenschaften so ähnlich, dass man immer denkt, einen Spiegel vorgehalten zu bekommen (manchmal fast beängstigend). Eine Selbsterfahrung, bei der man nicht einmal laut rufen kann: ,Stopp, für heute reicht es.' Auch wenn man sich mit allen Chromosomen verbunden fühlt, es dauert seine Zeit, bis man durch ein paar Fasern des Herzens mit dem eigenwilligen Volk in seiner Gesamtheit verbunden ist.“

    Trotz aller Verbundenheit mit Deutsch-Weißkirchen will Zenglein langsam aufhören. Was er sich sehr wünscht, ist, dass es Menschen gibt, die sich vorstellen könnten, seine Rolle zu übernehmen; die sich dafür begeistern können, Menschen durch die Kirchenburg zu führen und so mitzuhelfen, dass die alte Kultur der Siebenbürger Sachsen nicht verloren geht.

    Interessierte können sich bei Wolfgang Zenglein per Mail melden: ze.wolfgang@web.de

    Diskutieren Sie mit
    0 Kommentare
    Dieser Artikel kann nicht mehr kommentiert werden