Sehr gut besucht war der Vortrag über die jüdische Gemeinde zu Lohr in der Alten Turnhalle am Dienstagabend. Gut 60 Gäste lauschten den Ausführungen von Wolfgang Vorwerk. Susanne Duckstein, die Leiterin der Volkshochschule Lohr-Gemünden, begrüßte die Zuhörer zu einem kleinen Beitrag zum Thema "1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland".
Lohrs Bürgermeister Mario Paul freute sich über das rege Interesse trotz der aktuell schwierigen Rahmenbedingungen. Paul meinte, es gebe immer wieder Situationen, die uns herausfordern. "Schwere Entscheidungen, die über das Hier und Jetzt hinausreichen", sagte der Bürgermeister. Als Beispiel nannte er den Umgang Deutschlands mit der Migrationskrise im Jahr 2015. Die Frage, woher man Orientierung und Halt beziehen könne, beantwortete er mit einem Blick zurück auf die ganz persönliche Lebensgeschichte und die Geschichte der Gesellschaft in Deutschland. Nachdem ab 1938 Juden ihr Eigentum, Orte des Glaubens und der Religion verloren und es keine Zeitzeugen mehr gebe, sei es umso wichtiger, Erinnerungen an dieses düstere Kapitel zu erhalten.
Synagoge erstmal seit 1939 zugänglich
Wolfgang Vorwerk gab den Zuhörern einen visuellen Rundgang durch die ehemalige Synagoge in der Fischergasse 32. Erstmalig seit der "Zwangsarisierung" im Jahr 1939 war das Gebäude nach dem Tod des Besitzers zugänglich. Vorwerk zeigte Fotos von den ehemaligen Räumen, die Betraum, Synagoge, Religionsschule und Mikwe beherbergten. Vorwerk erklärte, die jüdische Gemeinde habe um 1900 mit 91 Mitgliedern den Höchststand erreicht. Anhand alter Aufnahmen rekonstruierte der Experte, wo welcher Raum lag. Über ein Frauenbad konnte er allerdings nur spekulieren.
Spannender war ein Dachbodenfund. Ein auf den ersten Blick an die Wand genageltes Wohnzimmerbuffet erwies sich beim genaueren Hinsehen als der Torso des alten Lohrer Thoraschreins. Dessen Aussehen ist durch ein in der Gedenkstätte Yad Vashem archiviertes Foto überliefert. Die Verzierungen an der Seite mit Davidstern und Hakenkreuz (Swastika, Sonnenrad), was laut Vorwerk im 19. Jahrhundert nicht ungewöhnlich war und mit einer komplett anderen Bedeutung behaftet, zeigen seiner Meinung nach, dass der Schrank bereits 1886 im Besitz der jüdischen Gemeinde war. Vorwerk kündigte an, dass Barbara Grimm, die Leiterin des Spessart-Museums, den Schrein mit Dauerleihvertrag übernehmen und für eine Konservierung oder auch Restaurierung sorgen wird.
SA-Männer zerschlugen und zerstörten
Später berichtete Vorwerk von den Ereignissen der Reichspogromnacht. Er erklärte, dass der Auslöser am 9. November 1938 die Rache für die Ermordung von Ernst von Rath war, die Lohrer Synagoge aber erst einen Tag später betroffen war. SA-Männer warfen alles durcheinander, zerschlugen Einrichtung und zerstörten die Thorarollen aus dem Schrein. Vorwerk las vor, was Augenzeugen nach dem Krieg berichteten und wie sich der Lohrer Hauptsturmführer Hermann Reuß bei einem Prozess in Aschaffenburg herauszureden versuchte.
Am Ende zeigte Vorwerk ein Schriftstück, das der Kultusvorstand der Kultusgemeinde Lohr, Simon Strauß, am 2. April 1939 an den Lohrer Landrat schickte. Es beinhaltete den letzten Stand der Mitgliederbewegung der Kultusgemeinde Lohr und den Hinweis auf Bernhard Hirsch als seinen Nachfolger.