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KARLSTADT: Den Cousin aus der Türkei heiraten

KARLSTADT

Den Cousin aus der Türkei heiraten

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    In der türkischen Gesellschaft hat es Tradition, dass junge türkische Männer und Frauen Cousins und Cousinen oder auch entferntere Verwandte heiraten. Solche Verwandtschafts-Hochzeiten sind in Karlstadt zwar leicht rückläufig, aber durchaus noch üblich.

    Für solche Hochzeiten gibt es unter anderem einen praktischen Grund: Das Vermögen bleibt in der Familie. Die Heirat kann der weniger begüterten Verwandtschaft zu mehr Wohlstand verhelfen. Außerdem ist innerhalb der Verwandtschaft bereits ein hohes Maß an Vertrauen vorhanden.

    Ebenso wie die Verwandtschafts-Hochzeit ist es weit verbreitet, dass Karlstadter Türken Ehepartner aus der Türkei heiraten. Nach Schätzung der Ausländerbehörde am Landratsamt Main-Spessart ist das bei mehr als der Hälfte der Fall. Wie berichtet, waren es seit 1998 bis jetzt insgesamt 58 Personen, die aus der Türkei nach Karlstadt geheiratet haben, davon 38 Frauen und 20 Männer.

    Nach wie vor wird angenommen, dass der in Deutschland lebende Partner einen höheren Wohlstand hat als der aus der Türkei kommende, dass hier das Leben besser ist. Das Bundesfamilienministerium formuliert es so: „Heiratsmigration bietet eine legale – für viele meist die einzige – Zuwanderungsmöglichkeit.“ Allerdings ist der ökonomische Unterschied zwischen Deutschland und der Türkei inzwischen geschrumpft. „Die schönen Zeiten in Deutschland sind vorbei“, urteilen mehrere Karlstadter Türken im Gespräch über dieses Thema einhellig. Gleichzeitig ist der Wohlstand in der Türkei gestiegen.

    Warum ist ein Partner aus der Türkei interessant? In manchen Fällen kann ein hier lebender Partner einen attraktiveren aus der Türkei finden. In dem Bericht des Familienministeriums ist überdies vom Wunsch vieler Migranten die Rede, „einen Heiratspartner in der Herkunftsgesellschaft zu suchen“.

    Etliche Türkinnen und Türken in Deutschland gehen davon aus, dass ein Partner aus der Türkei „anständiger“ ist als einer, der in Deutschland aufgewachsen ist. Mädchen aus der Türkei seien gehorsamer, fitter im Haushalt und familiärer erzogen. Kommen sie vom Land, so haben sie nicht das westliche Leben mit Discos oder Beatabenden kennengelernt.

    „Hiesige Frauen und Männer glauben, dass sie die Zügel in der Hand behalten, wenn sie jemanden aus der Türkei heiraten“, ergänzt ein türkischer Karlstadter. Der einwandernde Partner kennt sich in dem neuen Land noch nicht aus. Der hiesige Partner zeigt ihm, wie das Leben hier funktioniert.

    „Wenn du 20 bist, fangen die Eltern an, dich zu nerven.“

    Türkischer Mann aus Karlstadt, längst verheiratet

    Für etliche junge Türken spielt auch eine Rolle, dass die Ehe nach islamischer Tradition geschlossen werden kann, sprich: dass die Braut noch Jungfrau ist. Das hebt das Ansehen des Paars.

    Schließlich: Auch wenn inzwischen viele Menschen türkischer Abstammung hier leben, ist die „Auswahl“ eingeschränkt. Beispielsweise heiraten etwa Sunniten und Aleviten üblicherweise nicht einander. Wenn dann der Partner noch aus der Verwandtschaft kommen soll, wird die Auswahl in Karlstadt noch enger.

    Der „Import“ des Ehepartners kann allerdings auch zu Problemen führen. Vor allem für Partner aus dem ländlichen Bereich ist es oft schwierig, sich in Deutschland einzugewöhnen, in die hiesige Kultur. Hinzu kommen Verständigungsschwierigkeiten.

    Sobald der Zugezogene Mann nicht mehr von den Kenntnissen des hier Lebenden abhängig ist, wird er selbstständiger. Mancher Ehepartner hat auch nach einer Weile Ehe schon versucht, das vorher in der Türkei „Verpasste“ nachzuholen. Inzwischen gibt es Scheidungen auch in türkischen Ehen. So sind auch in Karlstadt schon mindestens fünf türkische Ehen geschieden worden.

    Tendenziell heiraten Türken jünger als Deutsche. Bei ihnen haben die Eltern noch einen stärkeren Einfluss auf ihr Denken und ihre Vorstellungen von Ehe und Familie. So halten häufig Eltern und Verwandte mit Ausschau nach einem Ehepartner. Ein Gesprächspartner drückt es so aus: „Wenn du 20 bist, fangen die Eltern an dich zu nerven.“

    Beim Sondieren der Familien untereinander geht es darum zu schauen, ob die „Chemie stimmt“, ob die Familien von ihrer Mentalität her zusammenpassen, ob die Ehe eine Zukunft haben könnte. Das Bundesfamilienministerium formuliert, „dass die Heiratskandidaten gemeinsam mit ihren Familien nach reiflicher Prüfung zu dem Ergebnis kommen, dass nichts gegen eine Heirat spricht, weil die Basis für eine glückliche und stabile Ehe gegeben ist. Diese Prüfung dient dazu, das Gelingen der Ehe abzusichern“. Bei solchen arrangierten Ehen haben das Mädchen oder der Junge allerdings die Möglichkeit, den ausgesuchten Partner abzulehnen in Gegensatz zu Zwangsehen, von denen es auch in Karlstadt welche geben soll. Die hiesigen türkischen Gesprächspartner erklären, eine Zwangsehe sei aber zumindest in den letzten zehn Jahren hier nicht mehr vorgekommen.

    Bei der Partnersuche ist ein Wandel im Gang. Die heutigen Jugendlichen sind selbstbewusster und begeben sich häufiger auch alleine auf die Suche nach Freund und Freundin, nach Braut und Bräutigam.

    „Die schönen Zeiten in Deutschland sind vorbei“

    Karlstadter Türken über die wirtschaftlichen Unterschiede

    Auch wenn türkische Mädchen nach wie vor praktisch nicht in die Disco, auf Beatabend oder ins Jugendzentrum gehen, gibt es dennoch Möglichkeiten zum Kennenlernen. Man kennt sich von der Schule und trifft sich bei Hochzeiten. Auch das Internet spielt inzwischen eine große Rolle. Die Eltern respektieren heute aus verschiedenen Gründen eher diese Eigeninitiative der jüngeren Generation. Einerseits riskieren sie, dass sie ihre Kinder verlieren, indem diese ganz auf eigene Faust handeln, wenn sie zu sehr gegängelt werden.

    Wo früher das Verhältnis zwischen Eltern und Kindern mehr von Respekt und Angst geprägt war, tritt heute Vertrauen in den Vordergrund. Zudem riskieren die Eltern, dass die Jüngeren die Verantwortung für das Gelingen der Ehe von sich weisen nach dem Motto: „Ihr habt mir ja den Partner ausgesucht.“

    Generell wird ein junger Mann mit traditioneller Einstellung nie alleine um die Hand eines Mädchens anhalten. „Ihr Vater würde fragen: Wer bist du überhaupt?“ An einen Wildfremden, dessen Verhältnisse nicht bekannt sind, würde keiner seine Tochter weggeben wollen.

    ONLINE-TIPP

    Die bisherigen Serienteile unter: www.mainpost.de/main-spessart/

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