Er ist ständig unterwegs. Immer auf Wanderschaft, immer umringt von fast 400 Tieren. Kann man da nicht schon ab und zu auch einmal den Überblick verlieren? „Sicher nicht“, lacht der 75-jährige Schäfer im Unruhestand. Nach dem Tod seines Vaters übernahm Benkert vor 47 Jahren als ältester Sohn dessen Schäferei in Roden.
Vor drei Jahren übergab er sie ganz an seinen Sohn Georg, der sie inzwischen in der dritten Benkert-Generation führt. „Heute ist er der Chef und ich bin der Knecht“, sagt Erwin Benkert verschmitzt. Doch auch wenn er als Rentner nicht mehr arbeiten müsste, ganz ohne seine Schafe kann er nicht sein. Schon mit zwölf Jahren half er seinem Vater Georg draußen auf der Weide mit den Schafen.
Viele Jahre lang war er sommers wie winters mit ihnen auf Wanderschaft. In die Rhön und sogar bis nach Bad Vilbel führte ihn in den 50er Jahren sein Weg mit seiner Schafherde. „Alles zu Fuß, da gab es nichts anderes. Ich war immer unterwegs“, erzählt er. Gut acht Tage habe er gebraucht, bis er seine Weiden in Bad Vilbel erreicht hatte. Ende der 50er Jahre fand er Gebiete in Roden, Urspringen und Duttenbrunn für den Winter. Seither ist er mit seinen Schafen dort von September bis Weihnachten auf der Weide.
Wunsch zweier Bürgermeister
Die Sommer verbringt Benkert mit seinen wolligen Vierbeinern regelmäßig in Erlach und in Neustadt. Seit 1972 weidet er dort in beiden Ortsteilen die Hänge ab. Auf Wunsch der beiden damaligen Bürgermeister, Hubert Welpe (Erlach) und Josef Weyer (Neustadt), sei er hierher gekommen, erzählt er. Ganz früher hätten die Leute im Maintal auch noch Landwirtschaft betrieben. Jeder hatte sein Vieh im Stall, seine Äckerchen und baute dort an, was die Familie brauchte.
Als sich dann immer mehr Industrie in Lohr ansiedelte, fanden dort viele von ihnen Arbeit und gaben nach und nach ihre kleinen Nebenerwerbslandwirtschaften auf. Die Felder wurden nicht mehr bestellt und auch nicht mehr so wie früher gepflegt. Da kam den beiden Bürgermeistern Benkert mit seinen Schafen gerade recht. Sorgt er doch – damals wie heute – dafür, dass die Freiflächen nicht verbuschen und mit Hecken zuwachsen. Etwa 70 Hektar hat der Rodener Schäfer derzeit in Pflege, 20 Hektar in Erlach und 50 Hektar in Neustadt.
Von April bis August wechselt er mit seinen Schafen dazu zweimal die Mainseiten. Zuerst weidet er in Erlach, dann in Neustadt, dann wieder in Erlach und wieder in Neustadt. Er hat sogar eine Genehmigung, um mit seinen Schafen den Steg überqueren zu dürfen. „Die Schafe zählen als Fußgänger und dürfen über die Brücke“, erzählt er. Auf zwei Etappen macht er sich immer mit je 200 Schafen auf den Weg über den Steg. Wenn alles gut klappt, ist die Überquerung in zehn Minuten erledigt. Zurzeit ist Benkert in Erlach, denn Neustadt hat er abgeweidet.
„Heute bin ich der Knecht.“
Erwin Benkert über seinen „Status“ in der Schäferei
Durch die Witterung wuchs das Gras heuer extrem schnell und die Schafe konnten gar nicht alles abfressen. Dann mäht Benkert die restlichen Weiden ab und nimmt sich das Gras für den Winter mit in den Stall. Es sind viele kleine Grundstücke, die er mit den Schafen abweidet und die er früher von der Gemeinde gepachtet hatte. Seit etwa zehn Jahren laufe das über die Jagdgenossen, die mit seiner Arbeit zufrieden seien, sagt er.
Revier ist groß genug
Nur ein Jagdpächter in Neustadt versuche immer wieder, ihm Knüppel zwischen die Beine zu werfen. Benkert störe mit seinen Schafen das Wild in seinem Revier, behauptet der. „Das stimmt nicht“, widerspricht der Schäfer. Die Wildschweine, die in Horden über die Felder herfallen, richteten die Zerstörung an und nicht die Schafe, denn „die graben keine Felder um“. Außerdem sei das Revier so groß, dass man sich – sofern man es nicht darauf anlege – überhaupt nicht ins Gehege kommen müsse. Doch Benkert sieht auch das gelassen: „Mit den anderen Jagdgenossen in Neustadt und auch in Erlach funktioniert es gut.“
Noch bis Ende des Monats wird Benkert mit seinen Schafen in Erlach weiden. Dann macht er sich wieder zurück auf den Weg nach Roden und Urspringen, wo er ab September seine Winterweiden beziehen wird. So lange er noch könne, werde er mit seinen Schafen über die Weiden ziehen, sagt der 75-Jährige und lacht: „Ich habe es ja jetzt nicht mehr so weit.“