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BURGSINN: Der ruhende Pol in der Familie

BURGSINN

Der ruhende Pol in der Familie

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    Dabei blickt die Burgsinner Ortsbäuerin auf eine alles andere als betuliche Vergangenheit zurück. Ihr älterer Bruder Bruno hatte Ende der 60er Jahre die elterliche Landwirtschaft und damit das Familienleben komplett auf den Kopf gestellt. Bei einem Amerikaaufenthalt hatte er Gefallen daran gefunden, dass die Rinder dort frei auf den Wiesen grasen können und nicht im Stall angebunden stehen müssen. So kam er mit der fixen Idee in den Sinngrund zurück, auch die Kühe seines Vaters, seinerzeit immerhin der größte Bauer in Burgsinn, statt im dunklen Stall auf der frischen Weide zu halten.

    Hedwig Rützel erinnert sich kopfschüttelnd: „Das war schon Wahnsinn. Freilandhaltung kannte man hier bei uns zu der Zeit gar nicht. Wir haben nicht gewusst, wie wir die Rindviecher dazu bringen, dass sie dahin gehen, wo wir sie haben wollten.“ Aber Bruno setzte sich durch. Von Milchvieh wurde auf Mutterkuhhaltung umgestellt und die Tiere blieben bis zum Herbst auf den Weiden. Hedwig Rützel weiß noch, wie die Burgsinner die Kühe bedauerten, die bei Wind und Wetter ungeschützt draußen standen. „Man wurde schon“, erzählt sie, „eine Zeit lang komisch angeschaut.“

    Entscheidung über Nacht

    Doch die größte Überraschung kam dann: Fast über Nacht entschied Bruno, der Heimat endgültig den Rücken zu kehren und sich seine eigene Ranch in Kanada aufzubauen. Die ganze Familie war geschockt. Ab dann musste die damals Mitte 20-Jährige den Hof weiterführen. Bulldog-Fahren und Grasmähen hatte ihr Bruno beigebracht und so hat sie noch einige Jahre, neben ihrer Tätigkeit im Burgsinner Kindergarten, die Pionierarbeit ihres Bruders fortgesetzt. Aufregend war es, aber sie hat sich schon damals nicht aus der Ruhe bringen lassen.

    „Ich mach die Landwirtschaft gern“, sagt Hedwig Rützel, „das liegt mir wohl im Blut“. Trotzdem musste ihr Lebenspartner kein Bauer sein. Dass ihr Ehemann Andreas schon als 19-Jähriger mit zwei Kühen und ein paar Flecken Land seine eigene Landwirtschaft aus dem Nichts aufbaute, war für Hedwig nicht ausschlaggebend. „Es hat sich so entwickelt“, sagt sie wieder.

    Nachdem sie den elterlichen Betrieb zwischenzeitlich verpachtet hatte, weil ihr die Arbeit zu viel geworden war ist sie jetzt wieder im Metier. 22 Galloway-Rinder halten die Rützels auf 30 Hektar Grünland ganzjährig im Freien. Im Herbst wird das eineinhalbjährige Jungvieh geschlachtet und das Fleisch in Selbstvermarktung an den Kunden gebracht.

    Seine Kundschaft, erklärt Andreas Rützel, schätze die gute Qualität seiner Produkte, für die lediglich das Bio-Zertifikat fehle. De facto verzichte er aber seit über 25 Jahren auf Spritz- und Düngemittel oder Futterzusätze. Selbst bei der Tötung der Rinder bevorzuge er die stressfreie Methode, indem er die Rinder von seinem Bruder, einem Jäger, direkt auf der Weide schießen lasse.

    Weil „20 Stück Vieh keine Haustierhaltung“ sind, wie Hedwig anmerkt, hat sie mit der Landwirtschaft vollauf zu tun, zumal Ehemann Andreas noch einen florierenden Fahrzeughandel betreibt. Auch dabei unterstützt die vielseitige Frau ihren Mann und widmet sich außerdem mit Leidenschaft ihrer Aufgabe als Hausfrau und Mutter.

    „Weil meine Männer gerne gut essen, muss ich gerne und gut kochen“, sagt sie schmunzelnd und zielt damit auf Ehemann Andreas und den 17-jährigen Sohn Bruno ab. Auch die 19-jährige Tochter Katharina weiß die Kochkünste der Mama zu schätzen. Auf frisches Gemüse aus dem eigenen Bauerngarten, den sie mit Begeisterung pflegt, müssen heuer allerdings alle verzichten, bedauert Hedwig. Ein Oberarmbruch hatte sie in der Pflanzzeit außer Gefecht gesetzt und so blieb der Garten für dieses Jahr unbestellt.

    Zur Familie gehören noch die Töchter Dagmar (33) und Michaela (35) aus Hedwig Rützels erster Ehe sowie ihr ganzer Stolz, Enkelchen Mathitja. Die Fünfjährige ist heute zu Besuch und spielt mit dem namenlosen Kätzchen. Hündin Laika ist für das Mädchen nicht so interessant und die zwei Ziegen, die Hedwig Rützel im Garten hält, sind ihr eher unheimlich.

    Zeit für Hobbys

    Außer um Familie und Landwirtschaft kümmert sich Hedwig Rützel jeden Tag um ihre 87 Jahre alte Mutter, die noch weitgehend selbstständig nebenan im Elternhaus lebt. Und trotz der vielen Aufgaben bleibt ihr Zeit für Hobbys. Außer Fotografieren ist Musik für sie ein wichtiger Ausgleich. Sie spielt Orgel, singt im Kirchenchor und hat vor kurzem angefangen, Akkordeonspielen zu lernen.

    Ihre Aufgabe als Ortsbäuerin erfüllt sie mit der ihr eigenen Gelassenheit. „Ich mach' das noch nicht so lange“, sagt sie und merkt erst beim Nachrechnen, dass sie bereits in der dritten Amtszeit ist, also diese Position schon seit zwölf Jahren bekleidet. Wieder ein Indiz dafür, wie entspannt Hedwig Rützel die Dinge angeht und sie sich entwickeln lässt. Das nicht ganz ernst gemeinte Aufnahmeformular, das sie vor Jahren eingeführt hat, sorgt zudem immer wieder für Heiterkeit. Dies legt unter anderem fest, dass im Burgsinner Ortsverband der Landfrauen nur Mitglied werden kann, wer „mindestens än Garte' oder än Hahn mit fünf Hennen oder ä Äckerle oder ä Wiesle“ vorzuweisen hat.

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