Das Lohrer Schneewittchen a la Wittstadt zieht weiter seine medialen Kreise. Nun hat sich „Der Spiegel“ des Themas angenommen. Das mit rund 880 000 verkauften Exemplaren auflagenstärkste Nachrichtenmagazin Deutschlands widmet der Diskussion um das umstrittene Siegermodell des ersten Lohrer Kunstpreises in seiner jüngsten Ausgabe eine ganze Seite.
In der wöchentlichen Rubrik „Eine Meldung und ihre Geschichte“ beleuchtet das Magazin die gesamte Lohrer Schneewittchenhistorie ebenso wie die Aufregung um die von weiten Teilen der Öffentlichkeit kritisch gesehenen Figur Wittstadts.
Wie so oft in den zurückliegenden fast drei Jahrzehnten, in denen Lohr nun schon auf der Schneewittchenwelle reitet, ist es in dem Spiegel-Artikel Karlheinz Bartels, der auswärtigen Journalisten die Sache mit dem Lohrer Schneewittchen erklärt. Der ehemalige Apotheker und noch aktive Chef-Fabulologe darf bekanntlich als geistiger Vater der Lohrer Schneewittchengeschichte gelten.
Bartels sei derjenige, der „das Märchen nach Lohr geholt“ habe, schreibt denn auch Spiegel-Autorin Katrin Kuntz. Mit ihr war Bartels vor rund drei Wochen einen halben Tag lang durch Lohr gelaufen, hatte ihr die Zusammenhänge zwischen Schneewittchen und der Stadt erklärt, angefangen von der 1729 geborenen Maria Sophia Margaretha Catharina von Erthal alias Schneewittchen, bis, ja bis eben zu Wittstadts Darstellung desselben.
Der 77-jährige Bartels, so heißt es in dem aus dem Stadtrundgang resultierenden Artikel, habe stets gedacht, mit der von ihm stammenden Schneewittchen-Idee die Stadt noch schöner gemacht zu haben, „als sie ohnehin schon ist“ – bis zu dem Tag, an dem er eines Tages die Main-Post aufgeschlagen und ein Bild von Wittstadts Siegermodell erblickt habe: Wirre Haare, kurze Arme, ein Körper wie ein Stamm, so wird die Skulptur im Spiegel beschrieben.
„Ich versuchte, Schneewittchen darin zu erkennen. Doch es gelang mir nicht“, wird Bartels zitiert. Ansonsten blieb der Fabulologe gegenüber der Spiegel-Autorin seiner Linie der vergangenen Wochen treu: Er gab zu der Wittstadt-Skulptur keine weitere Wertung ab.
„Entscheidend ist, dass man daran glaubt“, lautet stattdessen seit jeher Bartels' generelles Motto zum Lohrer Schneewittchen. Ihm war und ist es wichtig, dass die Lohrer Schneewittchengeschichte immer mit einem Augenzwinkern erzählt wird. Deswegen betrachtet Bartels auch den ganzen Wirbel um das Wittstadt-Schneewittchen offenbar nicht bierernst, sondern mit der ihm eigenen Heiterkeit. Allerdings wird aus dem Spiegel-Artikel auch deutlich, dass der 77-Jährige gelegentlich doch ins Grübeln darüber kommt, ob mit der Wittstadt-Skulptur die Lohrer Schneewittchengeschichte wie bisher weitererzählt werden kann. Seit ganz Lohr über die Skulptur spreche, sitze Bartels öfter zu Hause und denke nach, schreibt Spiegel-Autorin Kuntz. Er frage sich, „ob sein Märchen jetzt zu Ende ist“. Oder ob es mit der Wittstadt-Figur neu beginne.
Eine Antwort habe Bartels noch nicht gefunden, ist zu lesen. Er sei jedoch bereit „sein Kind loszulassen“. Lange Zeit sei er der geistige Vater des Lohrer Schneewittchens gewesen. Doch nun, so der Spiegel, könne jeder sehen, dass sich die Märchenfigur selbstständig gemacht und sich von ihrem geistigen Vater gelöst habe. Das Mädchen gehöre nun nicht mehr ihm, wird abschließend Bartels Erkenntnis aus dem Erscheinen der Wittstadt-Skulptur wiedergegeben.
Wenngleich sich an der Figur des Karlstadter Künstler sicher weiter die Geister scheiden werden, dürfte eines mittlerweile unbestritten sein: Den Werbeeffekt, den all die gedruckten oder gesendeten Berichte über Wittstadts Kunstwerk für Lohr gebracht haben, hätte sich die Stadt kaum kaufen können. Schon gar nicht für die gut 100 000 Euro, die Wittstadts Skulptur kosten wird. Von Bad Wildungen spricht jedenfalls niemand mehr. Die an der Deutschen Märchenstraße offiziell als Schneewittchenstadt gelistete nordhessiche Kurstadt taucht in Internetsuchmaschinen jedenfalls aktuell nur „unter ferner liefen“ auf.
Die Schneewittchendiskussion erfährt ihre Fortsetzung in einer öffentlichen Veranstaltung am 9. Dezember. Ab 19 Uhr geht es im Pfarrheim St. Michael um Fragen wie „Was ist Kunst?“, „Was darf Kunst (kosten)?“ oder „Wer bestimmt, was Kunst ist?“. Geplant ist ein Gespräch zwischen Bürgermeister Mario Paul, Bürgern und Mitgliedern einer Lohrer „Mopper-Gruppe“ des Internetnetzwerkes Facebook. Moderator ist Main-Post-Redakteur Roland Pleier.