Flüchtlinge, islamistischer Terror, Straftaten, „Lügenpresse“ und eine Polizei, die nichts mehr auf die Reihe bekommt – ununterbrochen kursieren Videos, Bilder und Wortbeiträge im Netz, die genau diese Zusammenhänge aufstellen: Wo Flüchtlinge sind, werden Frauen begrapscht, lauern radikale Salafisten hinter der nächsten Ecke, werden Sachen geklaut. Und die Polizei schaue zu, genauso die Presse, verstummt hinter dem Maulkorb „von ganz oben“. Wir haben mit Thomas Miebach, Polizeihauptkommissar in Karlstadt, über Gerüchte und ihren Wahrheitsgehalt, Straftaten von Ausländern, Terrorgefahr und die neuen Aufgabenstellungen der Polizei gesprochen.
Frage: Herr Miebach, Ende Juli 2015 wurde bekannt, dass binnen kürzester Zeit 200 Flüchtlinge ins Arnsteiner Brauerinternat ziehen. Wie hat sich Ihre Polizeiinspektion darauf vorbereitet?
Thomas Miebach: Wir haben uns mit dem Landrat und der Bürgermeisterin zusammengesetzt, sind bei der Bürgerversammlung gemeinsam aufgetreten, um Ängste – etwa, dass bald geklaut wird und es ständig Krawall gibt – zu beseitigen. Klar mussten wir den Leuten sagen: Wir rechnen mit Konfliktpotenzial.
Welche Sorgen hatten Sie aus polizeilicher Sicht?
Miebach: Wir haben vor allem gehofft, dass niemand das Flüchtlingsheim angreift, wie es an vielen Orten geschehen ist. Abgesehen davon, dass Menschen gefährdet werden, entstehen dabei auch hohe Sachschäden, der ganze Prozess verlangsamt sich, weil geplante Unterkünfte ersetzt werden müssen. Und vor allem haben solche Aktionen eine Signalwirkung, die die Stimmung nur unnötig verschärft.
Und jetzt, fünf Monate später, was ist alles passiert? Es gibt Gerüchte von Diebstählen und sexueller Belästigung.
Miebach: Und kaum eines davon können wir bestätigen. Genau drei Ladendiebstähle haben wir in der Zeit aufgenommen: Einmal hat ein neunjähriges Mädchen eine Packung im Supermarkt aufgerissen – weil sie es aus den Lebensmittelläden daheim so kannte. Ein anderes mal hat ein junger Flüchtling ein Päckchen Zigaretten geklaut. Einen dritten, etwas größeren, Ladendiebstahl gab es noch. Da gehen wir aber davon aus, dass keine Flüchtlinge am Werk waren, sondern eine durchreisende Bettlergruppe osteuropäischer Herkunft.
Kam es zu Sexual- oder Gewaltdelikten?
Miebach: Sexualdelikte gar keine. Und wir gehen allen Gerüchten nach. Zweimal kam es in der Unterkunft zu einer Schlägerei, zu der wir gerufen wurden, jeweils zwei Flüchtlinge gegeneinander. Ich bin mir sicher, dass es schon öfters zu Reibereien kommt, alleine aufgrund der beengten Unterbringungssituation. Doch das sind kleinere Sachen, das klärt die dortige Security direkt. Dennoch versuchen wir natürlich, vor Ort viel Präsenz zu zeigen. Schon alleine, um viele Missverständnisse aufzuklären.
Welche sind das?
Miebach: Wer schon in Afrika war, weiß: Wo wir anderthalb Meter Abstand zum Gegenüber halten, ist es dort ein knapper Meter. Dort wird auch lauter geredet und mehr gestikuliert. Ein anderes Beispiel: Wo wir sagen, „da lungert jemand abends vor meinem Haus rum“, ist es in Syrien ganz normal, dass sich das Leben auf der Straße, draußen abspielt – vor dem eigenen Haus, vor dem des Nachbarns, auf Bänkchen und Mäuerchen. Bei uns rufen aber die Leute an: „In meiner Sackgasse war 40 Jahre lang nix los. Jetzt sind die da ständig. Niemand verhält sich so, wenn er nichts im Schilde führt.“
Was machen Sie dann?
Miebach: Wir erklären und vermitteln und werben für beiderseitiges Verständnis. Es geht nicht darum, dass wir uns jetzt alle aufs Mäuerchen setzen. Aber wir können versuchen, uns weniger zu wundern. Dann klappt das gut. Denn entscheidend ist es, den Unterschied zu machen zwischen dem, was ich empfinde, und dem, was ich weitertrage.
Das müssen Sie erklären.
Miebach: Eine Befürchtung haben die Leute aufgrund von Nichtverstehen. Wenn ich dann aber die Befürchtung – jemand könnte mir etwas klauen beispielsweise – als Realität weitergebe, ist der Nährboden für Gerüchte und Ängste gelegt. Es gibt einen großen Unterschied zwischen der realen Sicherheit und einem Sicherheitsgefühl.
Viele der Flüchtlinge kommen aus Ländern, in denen man nicht nur Angst vor Terroristen haben muss, sondern auch vor der staatlichen Polizei. Hat das Auswirkungen auf Ihre Rolle?
Miebach: Es ist eine Gratwanderung. Einerseits müssen wir uns Respekt verschaffen, unsere Gesetze durchsetzen. Andererseits müssen wir den Leuten auch klar machen: Wir wollen euch nichts Böses! Das ist manchmal schwierig, allerdings haben es andere Kollegen noch schwerer.
Die Flüchtlinge, die hier ankommen, hatten meist schon bei ihrer Ankunft in Deutschland Kontakt zu Polizisten.
Wie hat sich denn das Verhalten der Anwohner in den letzten Monaten geändert?
Miebach: Wir merken, dass alles etwas entspannter wurde. Im Spätsommer gingen bei uns noch viel mehr Anrufe ein, Leute, die etwas „komisch“ fanden und sich deshalb gemeldet haben. So ab November hat das nachgelassen. Die Arnsteiner haben gemerkt: Jetzt sind die Flüchtlinge schon 'ne Weile da und Schlimmes ist bislang noch nicht passiert. Man gewöhnt sich aneinander, auch dank der Ehrenamtlichen, die super zwischen Flüchtlingen und Einheimischen vermitteln.
Immer öfter werden mittlerweile Parallelen gezogen zwischen Flüchtlingen und Terroranschlägen, etwa wie die in Paris.
Miebach: Ja, aber das muss strikt getrennt werden, auch wenn es Zusammenhänge gibt, etwa die gleiche Religion. Ich sage: Es gibt in jeder Religion, in jedem Land, einen gewissen Prozentsatz an Leuten, die kriminell werden, töten, das Gesetz mit Füßen treten. Aber prozentual gesehen geben sich da die verschiedenen Kulturkreise nicht viel.
Trotzdem eine Nachfrage dazu: Werden Sie explizit in Sachen Terrorabwehr geschult?
Miebach: Die Einsatzlage schreibt sich immer fort. Wir haben vierteljährlich Übungen, in denen verschiedene Szenarien durchgespielt werden – und die werden der aktuellen Sicherheitslage im ganzen Land angepasst.
Die Befürchtungen, dass in Deutschland bald mehr Gewalt herrscht, frisst sich trotzdem täglich mehr und mehr durch alle Bevölkerungsschichten. Leben wir tatsächlich gefährlicher als zu Beginn Ihrer Beamtenlaufbahn vor 35 Jahren? Und wenn ja, hat die neuen Gefahrenlage etwas mit Zuwanderung zu tun?
Miebach: Ich habe eine Woche nach dem Bombenattentat auf der Wies'n angefangen. Damals bekamen wir die Nachwehen der RAF-Zeit zu spüren, standen Nächte lang auf Straßen und haben Autos kontrolliert, um „rote Zellen“ zu erwischen. Das war eine gefährliche Zeit. Auch heute ist gibt es Gefahren, klar, ich würde nicht sagen, dass die Bedrohung harmloser geworden ist. Aber auch nicht größer. Sie ist anders geworden, die Ausrüstung der Täter – rechter wie linker wie islamistischer – hat eine höhere Qualität. Aber auch die der Polizisten.
Plakativ gefragt: Welche dieser Tätergruppen ist die gefährlichste?
Miebach: Am gefährlichsten sind die, die am meisten bereit sind, das Recht mit Füßen zu treten. Und da muss ich momentan ganz klar sagen: das ist die rechte Szene. So zumindest mein Eindruck.
Wie viel Grundlage für Straftaten birgt eine misslungene Integration?
Miebach: Lassen Sie es mich positiv formulieren: Eine gelungene Integration ist eine Basis dafür, nicht kriminell zu werden.
„Positiv formulieren. . . “ Ich könnte Ihnen ja jetzt entgegnen: „Ist ja typisch Polizei, Sie verschweigen wieder nur, dass viele Flüchtlinge von Haus aus Kriminelle sind. Setzen Sie doch mal den Merkel-Maulkorb ab!“
Miebach: Könnten Sie mir entgegnen, ja. Aber dazu kann ich nur immer wieder ganz klar sagen: Es gibt keine Weisung von oben, irgendwas zu verschweigen. Diesen Vorwürfen aus rechten Kreisen kann ich ganz klar widersprechen.
Da könnte ich Sie jetzt halt „linker Gutmensch“ nennen.
Miebach: Könnten Sie auch, ja. Aber vor ein paar Jahren haben viele noch geschrien, die Polizisten seien alle rechts, jetzt sollen sie alle „linke Gutmenschen“ sein. Ich denke, wenn es von beiden Seiten schreit, befindet man sich ziemlich in der Mitte. Allein wenn ich mir hier meine Truppe anschaue: von konservativ bis öko. Auch Polizisten sind ein bunter Haufen.
Ein Haufen, der irgendwann noch bunter werden könnte?
Miebach: Das wäre mein Wunsch. Dann ist Integration gelungen, wenn welche der Flüchtlinge von heute irgendwann Polizisten werden. Das würde auch unserer Arbeit enorm guttun.
Thomas Miebach
Der Dienststellenleiter der Karlstadter Polizeiinspektion ist 54 Jahre alt und gebürtiger Würzburger. Miebach ist verheiratet und hat zwei erwachsene Söhne.
Seit Oktober 1980 ist er bei der Bereitschafts- polizei, seit 1984 im Schutzbereich Unter- franken/Würzburg in verschiedenen Aufgabenbereichen und Führungsfunktionen tätig. Zum März 2003 wechselte er nach Karlstadt. Thomas Miebach ist Polizeihauptkommissar.
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Auch unser Leseranwalt Anton Sahlender beschäftigt sich immer wieder mit Themen wie der Nennung von Herkunftsländern bei Strafverdächtigen, dem bröckelnden Vertrauen mancher Menschen in die Medien, der Zusammenarbeit von Polizei und Presseoder der Frage, wie mit Gerüchten - aber auch mit Fakten - über straffällige Asylbewerber umzugehen ist.