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(agä) Paolo Giordanos viel beachteter Debüt-Roman „La solitudine dei numeri primi“ hat seit seinem Erscheinen im Jahr 2008 Millionen von Leser in seinen Bann gezogen und dem damals 26-jährigen Autor Italiens wichtigsten Literaturpreis, den Premio Strega, eingebracht. Im Herbst 2010 wählte „Der Spiegel“ das auch in Deutschland erfolgreiche Buch zu einem der 25 lesenswertesten des Jahres.
In Saverio Costanzos auf Giordanos Roman basierender Leinwandadaption begegnen die Kinogänger Alice und Mattia, die für einander bestimmt zu sein scheinen, ihren Weg zueinander jedoch nicht finden können, da sie das Schicksal zweier benachbarter Primzahlen teilen und wie diese immer durch eine Winzigkeit getrennt bleiben müssen.
Beide haben in der Kindheit Schreckliches erlebt. Die blasse, hinkende, an Essstörungen leidende Alice, Tochter einer depressiven Mutter und eines überehrgeizigen Vaters, ist seit einem Skiunfall an ihrer Schule Zielscheibe des Spotts und Opfer grausamer Demütigungen.
Für Mattia, einem Einserschüler und mathematischem Genie, war der Moment schicksalsbestimmend, als er seine geistig behinderte Zwillingsschwester verlor. Seit ihrer ersten Begegnung in der Schule verbindet die beiden Außenseiter ein unsichtbares Band, als würden sie in dem anderen die eigene Einsamkeit wiedererkennen.
Ihre Freundschaft basiert auf der geteilten, aber nicht ausgesprochenen Erfahrung von Schmerz. Und obwohl sie sich später immer wieder treffen und sich innerlich nahe sind: die Erfüllung in der Zweisamkeit bleibt aus; zu prägend und präsent sind die Verletzungen und Einsamkeitserfahrungen der Kindheit.
Während der präzise konstruierte Roman schlichter und linearer erzählt ist, präsentiert der Film die komplexen, sich über zwanzig Jahre erstreckenden Lebensgeschichten von Alice und Mattia auf mehreren Zeitebenen und liefert erst nach und nach anhand von Rückblenden die psychologische Erklärung für das Verhalten der erwachsenen Figuren. Ganz offensichtlich bevorzugt Costanzos ambitionierte Verfilmung die große Geste, die mit Bildtableaus von enormer visueller Kraft überwältigt und deren Wirkung er noch mit einem zwischen wummernden 90er Rave und feinsinnigen Arrangements changierenden Soundtrack unterstreicht.
Dass die tieferen, wirklich anrührenden Momente nicht durch dieses inszenatorischen Feuerwerk zu sehr überdeckt werden, ist vor allem den brillanten Darstellern der jugendlichen und erwachsenen Protagonisten zu verdanken, allen voran Italiens derzeit stärkster Charakterdarstellerin Alba Rohrwacher in der Rolle der Alice. Deren Spiel lässt diesen Film für ein geduldiges, für psychologischen Probleme aufgeschlossenes Publikum zu einer fesselnden Reise durch seelische Kraterlandschaften werden.
Zu sehen ist der Film in den Burg-Lichtspielen in Karlstadt-Mühlbach, Samstag, 19. November, 17.45 Uhr, Sonntag, 20. November, 11.15 Uhr, Montag, 21. November, 20 Uhr und Dienstag, 22. November, 20 Uhr; freigegeben ab zwölf Jahre, Dauer: 119 Minuten.