So begann es oft: Bewohner des Spitals in Lohr beschuldigten Margreth Scherchen, die Spitalmeisterin, der Hexerei. Es musste ein Schadenszauber der Meisterin sein, der für plötzlich auftretende Erkrankungen sorgte. Im Frühjahr 1576 vernichtete dann auch noch der Frost die Ernte. Die Lohrer wussten, wer den Frost gemacht hatte: Margreth Scherchen, die Hexe.
Auf Klagen aus der Bürgerschaft wurde sie nun verhaftet. Zunächst stritt sie alles ab. Aber dann wurde das scharfe Schwert der damaligen Justiz eingesetzt, die Folter. Für eine Verurteilung brauchte man ein Geständnis, und auf dem Weg zum Geständnis war die Folter erlaubt. Wie nahezu immer brachte die Folter auch bei Margreth Scherchen das gewünschte Ergebnis. Sie gestand alles und nannte auch Komplizen. Damit war ihr Todesurteil vorgezeichnet. Margreth Scherchen entging ihm nur, weil sie vorher starb – vermutlich an den Folgen der Folter.
Glaube an Magie und Zauberei
Der Fall vereint vieles, was für die Hexenprozesse der Frühen Neuzeit typisch ist: Glaube an Magie und Zauberei im Alltag, Suche nach Schuldigen für Unglücksfälle, Glaube an Teufel und Dämonen auch auf Seiten der Theologie und schließlich ein Rechtssystem, in dem der Ruf einer Person, ihre Fama, als Indiz galt und in dem der Einsatz der Folter legitim war. All dies stand in der Carolina, dem Strafgesetzbuch Kaiser Karls V. aus dem Jahr 1532, nach dem die Hexenprozesse geführt wurden. Denn die Prozesse wurden, anders als häufig angenommen, von weltlichen Gerichten geführt.
Der Fall Scherchen stand am Anfang eines Zeitraums von rund 60 Jahren, der bis etwa 1630 die schwersten Hexenverfolgungen im Heiligen Römischen Reich sah. Das Delikt "Hexerei" hatte damals verschiedene Bestandteile. Dazu gehörten die Absage an Gott und die Verbindung mit dem Teufel, Teufelsbuhlschaft (also Geschlechtsverkehr mit dem Teufel), Hexenflug und Besuch der Hexentänze.
In Franken gehörte fast immer auch Schadenszauber dazu: Frost hatte Ernten vernichtet, Menschen waren krank geworden, Vieh gab keine Milch mehr. In einem Punkt waren Zauberei und Hexerei mehr als gewöhnliche Kriminalität: Wer sich mit dem Teufel verbündete und von Gott abfiel, der beging aus Sicht der christlichen Juristen und Theologen so etwas wie ein Superverbrechen.
Hunderte Opfer der Hexenverfolgung
Lohr gehörte damals zum Kurfürstentum Mainz. Eine größere Prozesswelle in Kurmainz gab es Mitte der 1590er Jahre, bis 1614 soll sie 231 Menschen in Spessart und Bachgau das Leben gekostet haben. Aus dem benachbarten Hochstift Würzburg werden aus diesen Jahren nur wenige Fälle berichtet. Die erste Hinrichtung in der Amtszeit des Fürstbischofs Julius Echter übrigens erst im Jahr 1600, also dem 28. Jahr seiner Regentschaft (Ort: Arnstein). Auch in der zwischen Kurmainz und Würzburg gelegenen Grafschaft Wertheim gab es Verfahren, zuerst 1590 in Freudenberg.
Nach 1600 gründeten sich in verschiedenen Dörfern der Grafschaft "Bünde gegen die Hexen", die von ihrer Obrigkeit ein entschiedenes Vorgehen gegen die Hexen forderten. Das gab es in anderen Teilen des Reichs auch und zeigt ein von der Forschung immer wieder betontes Merkmal der Hexenprozesse: In aller Regel wurden sie ausgelöst durch Forderungen aus der Bevölkerung, etwas gegen die Hexen zu unternehmen. Prozesswellen entstanden immer dann, wenn diese Wünsche auf eine verfolgungsbereite Obrigkeit trafen.
Wie konnte diese "Obrigkeit" überhaupt Einfluss nehmen auf die Hexenprozesse? In Kurmainz wie in Würzburg wurden die Verfahren von den für Kriminalfälle zuständigen Zentgerichten geführt. In diesen Gerichten saßen Schöffen, die aus den Orten der Zent (heute: Verwaltungsbezirk) kamen. Die studierten Juristen in den Kanzleien sahen natürlich argwöhnisch auf das Treiben dieser Laien. Sie nahmen Einfluss auf die Verfahren an den Zenten und überwachten deren Urteile. Als Reaktion auf die zahlreichen Hexenprozesse in Kurmainz wurde 1604 angeordnet, dass die Zenten nicht mehr selbständig über den Einsatz der Folter entscheiden durften.
Heftige Prozesswelle 1616

Eine heftige Prozesswelle traf den Untermain im Frühjahr 1616. Sie führte zu Verfahren in Miltenberg, Freudenberg, Lohr und im Taubertal. Aus dem Taubertal lässt sich das Geschehen anhand von Archivalien genau rekonstruieren: Ausgerechnet in der Walpurgisnacht legte sich starker Nachtfrost über das Land, mitten in der Obst- und Weinblüte. Am Tag darauf wandte sich die Bevölkerung an die Obrigkeiten und forderte die Bestrafung der Schuldigen – wieder hatten Hexen den Frost gemacht. An manchen Orten wurden diejenigen, die ohnehin schon immer im Ruf gestanden hatten, hexen zu können, auf eigene Faust inhaftiert und bei den Zenten abgeliefert. Auch in der Würzburger Zent Rothenfels kam es jetzt zu sechs Hinrichtungen, in Greussenheim zu vier.
Die schlimmste Prozesswelle an Main und Spessart aber folgte in den Jahren nach 1626. Warum gerade jetzt? Zusätzlich zu Kälte und der damals immer wieder grassierenden Pest machte der Krieg den Zeitgenossen das Leben schwer. Einquartierungen im Rahmen des 30-jährigen Krieges bedeuteten zusätzliche Belastungen. Der Würzburger Fürstbischof Ehrenberg schrieb an seinen Gesandten in Wien, Frost und Soldaten hätten seine Untertanen "ins äußerste Verderben" gebracht. Er fürchtete Selbstjustiz, wenn die Obrigkeit nichts unternehme.
Auch der Mainzer Amtmann in Lohr schrieb im August 1626 an seine Regierung, die Untertanen seien wegen der Frostschäden aufgebracht und verlangten Maßnahmen gegen die Hexen. In Lohr wurde Margaretha Nickel am 29. Oktober hingerichtet. Sie hatte weitere Namen genannt. Die Lohrer Bürgerschaft forderte deshalb im Dezember vom Mainzer Erzbischof, mit den Prozessen fortzufahren. Die Hexen, hieß es hier, hätten Töpfe in der Erde vergraben, um die Ernte auch im kommenden Jahr zu schädigen. Die Dörfer Partenstein, Rodenbach, Wombach, Nantenbach, Neuendorf und Lohrhaupten schlossen sich den Forderungen mit einer eigenen Eingabe an. 1627 stand der Lohrer Stadtrat Hieronymus Weidenweber unter Hexereiverdacht, mindestens zwei weitere Hinrichtungen sind belegbar.
Viele Hinrichtung im Raum Main-Spessart
Der Würzburger Fürstbischof erließ 1627 ein Mandat, in dem er die rigorose Bestrafung von Hexen ankündigte. Die folgende Prozesswelle forderte bis 1629 hunderte von Opfern. Darunter waren nun erstmals auch Einwohner der Residenzstadt Würzburg. Aber auch der Main-Spessart-Raum war stark betroffen: 1627 sind 16 Hinrichtungen in Marktheidenfeld belegt, wohl 1628 wurden drei Gössenheimer hingerichtet, acht Opfer gab es in Rothenfels, 17 in Arnstein. In Freudenberg fielen damals 48 Menschen den Prozessen zum Opfer, im benachbarten Kurmainzer Miltenberg gar fast 150. In Unterwittbach, einem Ort der Grafschaft Wertheim, wurden 1633 sieben Frauen und zwei Männer als Hexen hingerichtet.
In der Regel wurden sie erst stranguliert und die Leichen dann verbrannt. Man wollte, dass nichts mehr von dem Körper übrig bleibt, von dem der Teufel Besitz ergriffen hatte. Die Seelen der Hexen konnten dagegen gerettet werden (also das ewige Leben erlangen), wenn sie gebeichtet hatten und nicht mehr rückfällig geworden waren.
Nach 1630 kam es in Kurmainz wie in Würzburg nur noch vereinzelt zu Hexenprozessen. In aller Regel endeten sie nicht mehr mit Hinrichtungen. 1637 ereignete sich ein typischer Fall in Gemünden: Die zehn Jahre alte Sophie bezichtigte sich selbst der Hexerei. Ihre Vormünder baten darum, sie im Juliusspital in Würzburg aufzunehmen und sie dort von dem Laster zu heilen. So kam es auch. Nach einem Jahr in Würzburg wurde das Mädchen wieder nach Hause geschickt.

Am verbreiteten Glauben an Magie im Alltag änderte sich nach Ausweis der Quellen noch lange wenig. Aber die Juristen sahen nun Schadenszauber skeptischer und setzten die Folter seltener ein. Die Fälle von Selbstbezichtigung begann man nun eher als Einbildung oder Krankheit zu behandeln.
Unter Johann Philipp von Schönborn (1605–1673), der Bischof in Würzburg wie in Mainz war, sollen die Hexenprozesse dann ganz eingestellt worden sein. Ein Mandat von ihm in dieser Richtung ist zwar nicht bekannt, aber er stand den Prozessen mindestens skeptisch gegenüber. Damit entfiel der Druck der Obrigkeit, Hexen zu verfolgen. Auch auf Seiten der Bevölkerung wird man irgendwann bemerkt haben, dass Unglücks- und Schadensfälle nicht abnahmen, obwohl man jahrzehntelang die Hexen verfolgt hatte.
Zum Autor: Dr. Robert Meier ist Dozent an der Archivschule Marburg und Lehrbeauftragter an der Universität Würzburg. Er lebt in Würzburg.
Literatur: Zu den Hexenprozessen in Kurmainz siehe https://www.hexenprozesse-kurmainz.de/, zu den Würzburger Prozessen Robert Meier, Hexenprozesse im Hochstift Würzburg, Würzburg 2019.