Véronique Mair ist seit 28 Jahren in Deutschland zuhause. „Das ist länger, als ich in meiner Heimat Frankreich gelebt habe“, sagt sie. Ihre französische Staatsbürgerschaft hat sie beibehalten. „Doch selbst wenn ich in Frankreich bin, fühle ich mich nicht mehr 100-prozentig als Französin, sondern eher wie eine Mischung aus zwei Nationen und Kulturen.“
Von Landsleuten sei sie einmal gefragt worden, woher sie komme. Ihr Französisch habe einen schönen deutschen Akzent.
1974 kam die heute 51-Jährige über einen französisch-deutschen Schüleraustausch zum ersten Mal nach Lohr. „Mir gefiel es hier so gut, dass ich die Verbindung zu meinen Gasteltern lange Zeit aufrecht hielt und in den Folgejahren wiederholt an dem Austausch teilnahm.“ Noch ahnte sie nicht, dass Lohr zwölf Jahre später ihre zweite Heimat werden würde.
Sie besuchte die Dolmetscherschule in Lyon, belegte Deutsch und Englisch für Wirtschaft und Industrie und bemühte sich im Rahmen ihres Studiums um einen Praktikumsplatz in Deutschland. „Da ich Lohr bereits kannte, bewarb ich mich hier bei mehreren Firmen.“ Am 1. Oktober 1986 begann sie in der Exportabteilung des damaligen Unternehmens Mannesmann-Rexroth ein neunmonatiges Praktikum. Sie verlängerte es – und blieb ganz hier. Der Grund: Die 24-Jährige war in der Firma dem „Rexröther“ Peter Mair begegnet und hatte sich in ihn verliebt. Über seine private Situation wusste sie damals noch nichts. „Ich wusste nur, dass ich wegen ihm bleiben wollte.“
Sprachliche Vielfalt
Das Paar heiratete 1989. Im selben Jahr kam Sohn Christopher zur Welt. Wie seine Mutter ist er französischer Staatsbürger, hat aber heute auch einen deutschen Pass. Peter Mair stammt aus Klagenfurt in Kärnten und lebt seit 42 Jahren in Lohr. Er ist Österreicher; sein Land erlaubt keine doppelte Staatsbürgerschaft. Die beiden Töchter aus erster Ehe des Witwers, die Véronique Mair liebevoll großzog, sind Deutsche. „Wir waren drei Nationen unter einem Dach und das klappte prima“, sagt sie. Mit den Kindern sprach sie vorwiegend französisch, mit ihrem Mann deutsch. Wie sie sich mit ihren in Sackenbach lebenden Enkeln Paula und Emil und der fünf Monate jungen Clara vom Niederrhein unterhalte? „Deutsch mit französischem Akzent“, scherzt sie. Wenn allerdings die Urgroßeltern aus Frankreich zu Gast in Lohr seien oder die ganze Familie bei ihnen in Saint-Cyr-sur-le-Rhône in der Region Rhône-Alpes, werde französisch geredet.
Der Schüleraustausch, der Véronique Mair einst hierher geführt hatte, lag ihr sehr am Herzen. Nachdem sie in Lohr lebte, organisierte sie ihn selbst sechs Jahre lang. „Dabei lernte ich viele nette Familien kennen und das war gerade in meiner Anfangszeit sehr wichtig.“
Geradlinige Deutsche
Mittlerweile wohnen etliche französische Landsleute in Lohr und Umgebung; mit ihnen unterhielt sie sich anfangs in ihrer Muttersprache. Heute höre sich die Kommunikation zwischen ihnen so an: „In einem Satz fünf Wörter französisch, drei deutsch oder umgekehrt.“ Manchmal passe halt das eine Wort besser, dann wieder das andere.
An den Deutschen schätzt sie die Gradlinigkeit und Pünktlichkeit. Sie bezeichnet sie als „gut strukturiert, fleißig und strebsam.“ Ob sie in ihrer Wahlheimat etwas aus ihrem Heimatland vermisse? Sie lacht: „Höchstens einen Pastis als Aperitif vor dem Essen.“ Dass sich die Franzosen stundenlang kulinarischen Genüssen widmeten, treffe heutzutage nicht mehr zu, sagt sie. „Vor allem die junge Generation unterscheidet sich kaum mehr von der anderer europäischer Länder.“
Unterschiede gebe es zum Beispiel an Ostern oder Weihnachten. „Die Franzosen haben keine Schokoladenhasen, gefärbte Eier oder Schokonikoläuse, auch keinen Adventskranz oder Adventskalender.“ Statt Plätzchen würden Pralinen gemacht. „Und wir zahlen keine Kirchensteuer.“ 1905 wurde in Frankreich das noch heute geltende Gesetz zur Trennung von Kirche und Staat (Laizismus) eingeführt. Die Kirchen sind nicht Körperschaft des öffentlichen Rechts, sondern privatrechtliche Vereine.
Auf die Frage, ob sie je an ein Zurückgehen nach Frankreich gedacht habe, antwortet sie mit einem entschiedenen Nein. „Mein Platz ist in Deutschland, da ist meine Familie.“