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LOHR: Ein Eingreifer mit Humor: Finanzamtschef Hans-Jürgen Nettner

LOHR

Ein Eingreifer mit Humor: Finanzamtschef Hans-Jürgen Nettner

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    Eigentlich habe er Architekt werden wollen, verrät der Jurist. Da ihm die Berufsberatung jedoch vom Traumberuf abriet – Architekten gebe es „wie Sand am Meer“ – entschied sich Nettner für ein Jurastudium und setzte nach dem zweiten Staatsexamen noch einmal 18 Monate Steuerrecht obendrauf. Jetzt ist er „Leitender Regierungsdirektor“ und zuständig für 171 Mitarbeiter. Seine Amtsbezeichnung hört Nettner gar nicht so gerne. Er sagt: „Ich bin zwar hier der Chef aber auch ein ganz normaler Mensch, gleichberechtigt wie alle anderen Mitarbeiter hier im Amt, auf diese angewiesen und umgekehrt.“

    Seit Oktober 2008 ist der 61-Jährige Amtsleiter in Lohr und ebenso lange führt er auch zwei Haushalte. Seine Frau Martina lebt im Heimatort Schweinfurt; er residiert von Montag bis Donnerstag, nach dem Acht- bis Zehn-Stunden-Tag im Finanzamt, in einer kleinen Gemeinde auf der fränkischen Platte. Dort genießt er seinen Feierabend ohne Zahlen und Akten und die Ruhe außerhalb der Stadt, gern bei einem guten Buch und einem Glas Wein. Im Sommer trifft man Nettner abends auch oft auf dem Fahrrad an. So hält er sich fit.

    Nettners Büro liegt im obersten Stock des Finanzamtsgebäudes an der Rexrothstraße 14 in Lohr. Er hat eine Doppelseite mit Fenstern vor und rechts vom Schreibtisch. Ein schöner Ausblick auf den Lohrer Talkessel, wenn man denn Zeit hat, diesen zu genießen. Aber durch die Fensterfronten ist es auch extrem warm im Sommer, denn die Sonne wandert täglich einmal um Nettners Büro und ihre Strahlen heizen den 25 Quadratmeter großen Raum ordentlich auf. „Im Winter habe ich hier angenehme 25 Grad“, erzählt der 61-Jährige, „aber im Sommer ist mein Büro mit das heißeste Zimmer im ganzen Amt.“ Daher hängt das Jackett auch sommers meist am Chefsessel und Nettner sitzt hemdsärmelig am Schreibtisch und über seiner Arbeit.

    Diese besteht hauptsächlich aus der Bearbeitung von Akten, Akten, Akten. Sie haben zwar verschiedene Farben – denn jede Farbe steht für eine andere Steuerart –, aber alle sind voll mit Zahlen, Daten und Fakten. Doch hinter diesen nackten Zahlen stehen Menschen und mit ihnen liegt auch manches Schicksal ausgebreitet auf dem Tisch.

    Die dünnen Akten sind die schweren

    Am Nachmittag sind nur noch die „dünnen Akten“ übrig. „Das sind die schweren“, erzählt der Finanzamtschef, der nie sein Ziel „einen leeren Schreibtisch zu haben“, aus den Augen verliert. „Leider“, zuckt er mit den Achseln und lächelt, „gelingt mir das nie.“

    „Wir haben nicht nur Freunde im Finanzamt“, weiß er. „Als vollziehende Behörde sind wir der Gesetzgebung des Bundesfinanzministeriums verpflichtet.“ Für Otto-Normalverbraucher ist jedoch das Finanzamt vor Ort im Normalfall diejenige Behörde, die ihm „sein Geld aus der Tasche zieht“. Und das mag keiner gerne.

    Beschwerden gehen in Lohr direkt an den Chef. „Wir spüren die Unzufriedenheit im Land hier am ehesten“, weiß Nettner zu berichten. Von einem Bekannten, der einmal mit seinem Steuerbescheid unzufrieden war . . . . . . bekam er vor einiger Zeit einen Wolf geschenkt. Die Figur steht seither auf Nettners Schreibtisch – als Symbol. „Wir sind eine so genannte eingreifende Verwaltung, das heißt, wir greifen den Menschen in die Tasche und das hat keiner gern“, zuckt Nettner bedauernd mit den Achseln.

    Für den Fall, dass es für ihn mal wieder „ganz dick“ kommt und er sich vor Beschwerden nicht retten kann, hat sich Nettner eine Büste von Loriot in Sichtweite gestellt. „Loriot ist mein absoluter Liebling“, erzählt er. Zehn Jahre lang hat er nach genau dieser Figur gesucht. Sie markiert für ihn einen ruhenden Pol, an dem er sich zurückholen und wo er mental ausruhen kann. „Ich liebe Loriots hintergründigen Humor und wenn ich ihn hier so anschaue, geht es mir gleich wieder besser.“

    Nettners Büro ist mit Standardmöbeln ausgerüstet: hellgrauer PVC-Boden, Einheitsmöbel in Buchenoptik mit dunkelgrauen Akzenten. Die Einrichtung hat Nettner von seinem Vorgänger übernommen und setzte mit eigenen Erinnerungen und Besonderheiten seine Akzente. Neben Loriot und dem Wolf seines Bekannten hat er seine Sammlung von Tieren aus Muranoglas in einem der Schränke – die nicht mit Ordnern gefüllt sind – aufgestellt.

    Hinter seinem Schreibtisch, im Regal mit Fachliteratur, steckt ein Bleistift mit der Kinderkultfigur „Der kleine Rabe Socke“. Den habe er von seiner Frau geschenkt bekommen, verrät Nettner. Sie ist Buchhändlerin und versorgt ihn zuverlässig mit seiner Lieblingsliteratur: Kriminalromanen aus aller Welt und denen von Lieblingsautorin Donna Leon. Bücher hat Nettner auch im Büro, aber keine Krimis. Jede Menge Fachliteratur findet sich in den Regalen, denn „Deutschland hat die umfangreichste Literatur, wenn es um Steuern geht“, seufzt er. Da gibt es viel zu lesen für den Chef der Lohrer Finanzbehörde.

    Am Abend ist der Tisch aufgeräumt

    Blumen sucht man vergeblich in Nettners Büro. „Ich mag Pflanzen, aber sie mögen entweder mich nicht oder die Art, wie ich mit ihnen umgehe“, gibt er freimütig zu. Deshalb hat er sich einen Seidenblumenstrauß aufgestellt. Der ist hübsch anzusehen und muss nicht ständig gepflegt, sondern nur ab und an mal abgestaubt werden.

    Die Tür seines Büros steht immer offen für Mitarbeiter, die Fragen oder etwas auf dem Herzen haben. Wenn er abends geht, ist der Schreibtisch aufgeräumt. „Wenn ich am nächsten Morgen reinkomme, möchte ich nicht, dass mir die Freude an der Arbeit durch Aktenstapel vergällt wird“, sagt Nettner.

    Seinem Berufswunsch Architekt weint er keine Träne nach: „Ich mag meinen Job hier, er macht Spaß und ist niemals langweilig“, sagt der 61-Jährige. „Aber ich lege keinen Wert auf den Chef, ich bin der Herr Nettner und genauso gleichberechtigt wie alle anderen.“

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